Gesundheitsreform als Richtungsentscheidung

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Die Regierung hat weitere Eckpunkte der Reform vorgelegt. Ob sie ausreichen den enormen Herausforderungen zu begegnen, wird sich zeigen. Es braucht ein Zusammenwirken aller Kräfte.

Viel wird in der Gesundheitspolitik derzeit darüber diskutiert, wie sich die Vertreter:innen der verschiedenen Berufsgruppen im Hinblick auf Reformen verhalten. Zuletzt haben Gesundheitsminister und Bundeskanzler die Apotheken bei deren Jubiläumskongress als kompromissbereit gelobt. Gleichzeitig wird die Ärztekammer für ihren harten Kurs von vielen in der Politik offen und hinter vorgehaltener Hand als reformunwillig kritisiert. Dass die Politik gerne dabei den Weg des geringsten Widerstandes geht, ist wenig überraschend. Nicht zuletzt dann, wenn der Unmut bei Beschäftigten im System wächst und immer mehr Probleme auch medial öffentlich werden.

Tatsächlich ist die Lage im Gesundheitswesen dramatisch. Die Situation der Beschäftigten in Krankenhäusern und der Pflege ist mehr als angespannt. Viele Ärzt:innen weichen in Wahlarztpraxen aus. Aus Flucht aus dem Spital und weil sie umgekehrt im niedergelassenen Bereich keine Kassenpraxen (oder solche mit Teilzeitangeboten) finden. Ärztekammer und Krankenversicherungen haben hier Jahre lang einen deutlichen Ausbau gebremst. Dafür haben Privatversicherungen aufgrund der öffentlichen Diskussionen über Lücken im System Zulauf erhalten. Knapp ein Drittel der Menschen in Österreich haben bereits eine Zusatzversicherung. Das schafft einen Markt, in dem auch Wahlärzt:innen wirtschaftlich überleben können. Die Zweiklassenmedizin nimmt so zu und verstärkt diesen Trend. Dazu kommt, dass das Gesundheitswesen insgesamt ein gigantischer Wirtschaftsfaktor ist – in Österreich immerhin mit einem Volumen von 52 Milliarden Euro. Jede kleine Veränderung hat folglich große Auswirkungen und erzeugt Widerstand. Oder Begehrlichkeiten. Die Ursachen für die jetzt sichtbar werdenden Probleme liegen nicht in der Pandemie, sondern reichen viele Jahre zurück.

Sie jetzt zu beheben, wird schwierig. Nicht zuletzt, weil alle Stakeholder in eingefahrenen Strukturen verhaftet sind. Dazu kommen Entwicklungen, die das System in den kommenden Jahren massiv herausfordern werden: Der Einsatz Künstlicher Intelligenz wird die Versorgungsformen grundlegend verändern – etwa im Hinblick auf die Diagnostik. Dadurch werden auch Erkrankungen öfters und früher entdeckt. Die Frage wird sein, ob das System therapeutisch dabei mithalten kann. Immer öfters werden dank der Genomsequenzierung auch neue Medikamente entwickelt. Auch für seltene und bisher nicht therapierbare Erkrankungen. All das ist aber nur dann ein Segen für die Patient:innen, wenn die Therapien auch finanzierbar bleiben. Dazu kommt die demographische Entwicklung: mehr ältere Menschen benötigen auch mehr Versorgung. Auch das braucht mehr Geld und mehr Menschen, die im System arbeiten.

Auf all das werden wir das Gesundheitssystem vorbereiten müssen. Und zwar rasch. Es wird nicht reichen, bestehende Prozesse einfach digital abzubilden. Wir werden das System auch neu denken müssen. Dazu braucht es die Mitwirkung und Einbindung aller Beteiligten. Für die Stakeholder wird das eine besondere Herausforderung: sie müssen Rücksicht auf die aktuellen Probleme der Beschäftigten nehmen und Lösungen erkämpfen um die Rahmenbedingungen zu verbessern und gleichzeitig in die Zukunft blicken und die Welt der Beschäftigten auch grundlegend verändern. Dabei werden viele über ihren Schatten springen müssen. (rüm)