Kassen aus Ärztesicht ungenügend auf Long Covid vorbereitet

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Das heimische Krankenkassensystem ist nicht auf die Behandlung von Long-Covid-Patienten vorbereitet und stößt an seine Grenzen. Davor warnte die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) am Donnerstag.

Von den gesundheitlichen Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung könne jeder Patient betroffen sein. „Diese zu diagnostizieren und zu behandeln ist sehr aufwendig“, konstatierte Johannes Steinhart, Vizepräsident der ÖÄK und Obmann der Kurie der niedergelassenen Ärzte. Die Kardiologin Bonni Syeda wies darauf hin, dass bei einigen Symptomen Untersuchungen eingeleitet werden müssen, um abzuklären, ob die Infektion Organschäden verursacht hat – etwa eine Lungenfibrose, eine Herzschwäche oder eine Nierenerkrankung. Nicht alle diese Untersuchungen werden der Medizinerin zufolge von den Kassen zur Gänze übernommen. Zum Beispiel wäre es notwendig, den Laborparameter pro-BNP zu ermitteln, um festzustellen, ob ein Covid-19-Patient im Rahmen der Infektion eine Herzmuskelbeteiligung hatte oder sogar eine Herzschwäche dadurch ausgebildet hat. Der Parameter ist jedoch keine Kassenleistung.

Bei anderen Untersuchungen hätten die Kassen Deckelungen eingezogen: Beim Herzultraschall sind das 40 Prozent der Fälle pro Quartal. „Mehr Untersuchungen werden von der Kasse nicht bezahlt, unabhängig vom tatsächlichen Bedarf“, betonte Syeda. Lungenfunktionsuntersuchungen sind ihren Angaben zufolge mit 35 Prozent, Blutgasanalysen mit 30 Prozent der Fälle gedeckelt. Auch neurologische Untersuchungen wie die Nervenleitgeschwindigkeit, die Elektroenzephalographie (EEG) oder der neurologische Status seien ebenfalls limitiert. Sogar das ärztliche Gespräch sei sowohl bei Haus- als auch bei Fachärzten gedeckelt.

Der steirische Psychiater und Vizepräsident der steirischen Kammer, Dietmar Bayer, wies auf psychische Folgen einer Covid-19-Erkrankung hin, etwa die Zunahme von Ängsten, Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen. „Menschen, die vorher Sport betrieben haben, sind nicht mehr in der Lage, auch nur ein Stockwert Stiegen zu steigen“, schilderte Bayer. Zu den möglichen Langzeitfolgen gehöre auch ein chronischer Erschöpfungszustand. „Wir gehen davon aus, dass in Österreich derzeit 100.000 bis 150.000 Menschen aufgrund der Pandemie zusätzlich therapiebedürftige psychiatrische Komorbidität aufweisen“, sagte der Arzt. „Die Psychiatrie hat eindeutig zu wenig Ressourcen“, lautete sein Resümee. Die Ärztekammer fordert nun, dass Long Covid als Krankheitsbild akzeptiert und als Leistungsposition in den Katalog der Österreichischen Gesundheitskasse aufgenommen werden muss. „Wir haben gerade einen Leistungskatalog verabschiedet, sind aber durch das Faktische überholt worden. Der Katalog muss adaptiert werden“, sagte Steinhart.

Zentrale Forderungen der Ärztekammer:

  • Long Covid muss als ein Krankheitsbild akzeptiert werden, das uns voraussichtlich noch lange Zeit begleiten wird. Es muss der Konsens bestehen, dass davon Betroffene nicht sich selbst überlassen bleiben, sondern bestmöglich versorgt werden. Das ist bei den zu erwartenden Patientenzahlen eine enorme Herausforderung und erfordert eine Flexibilisierung des Kassensystems.
  • Die Leistungsposition Long Covid muss in den kassenärztlichen Leistungskatalog der ÖGK aufgenommen werden. Im kassenärztlichen Honorarkatalog müssen der Krankheit angepasste Verrechnungspositionen für Long Covid geschaffen werden.
  • Deckelungen und Degressionen bei kassenärztlichen Leistungen müssen zunächst überall dort aufgehoben werden, wo sie die Betreuung von Long Covid behindern.
  • Der in der Betreuung von Long-Covid-Patienten erforderliche Austausch zwischen den medizinischen Fächern darf nicht durch Limitierungen beschränkt werden. Er muss, jeweils auf die bestmögliche Betreuung des einzelnen Patienten bezogen, bedarfsorientiert möglich sein.
  • Für eine adäquate Versorgung dieser komplexen und langwierigen Krankheit muss die öffentliche Hand im Interesse Betroffener die erforderlichen Ressourcen bereitstellen. (red)