Kommentar: Die Politik reagiert in der Krise zu langsam

Martin Rümmele ist Chefredakteur von Relatus.

Das jüngste Beispiel der Verhandlungen um eine Verschärfung in der Ostregion zeigt: Bund und Länder bremsen sich gegenseitig, Lobbyisten haben nach wie vor zu viel Einfluss und die Politik reagiert zu langsam.

Die neuen Covid-19-Maßnahmen im Osten Österreichs könnten den aktuell negativen Trend in den Infektionszahlen und auf den Intensivstationen zwar eindämmen, „es wird aber knapp für eine Trendumkehr“, sagte der Komplexitätsforscher Peter Klimek am Donnerstag in Interviews. Nachdenklich stimmt Klimek der politische „Bremsweg“ von nach wie vor rund vier Wochen. Nach all den Erfahrungen nach einem Jahr Pandemie sei der Weg von Prognosen, die klar in Richtung überhandnehmendes Infektionsgeschehen weisen, bis zur Umsetzung von Konsequenzen immer noch deutlich zu lang.

Das gilt nicht nur für Österreich: Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat diese Woche die geplante „Osterruhe“ – einen harten Lockdown über die Feiertage – wegen rechtlicher Probleme gestoppt. Man habe Fehler gemacht, sagte Merkel und bat die Bevölkerung wörtlich um „Verzeihung“. Der Hintergrund war, dass der Druck gegen die Maßnahmen zu groß war. Als Gesundheitsminister stehe man manchmal „allein auf weiter Flur“, sagte Rudolf Anschober (Grüne) zum Wochenbeginn in einem ORF-Interview. Er kämpfe um die „bestmöglichen und effizienten“ Maßnahmen, sagte Anschober in der ZIB2: „Ich dränge, ich drücke, ich fordere.“ Er brauche aber auch Entscheidungen, die breit getragen würden – und die auch von der Regierung und den Bundesländern getragen würden.

All das zeigt, dass Gesundheitsexperten und Gesundheitspolitiker trotz der seit einem Jahr andauernden Pandemie kaum an Gewicht im politischen Alltag gewonnen haben. Entscheidungen treffen nach wie vor Regierungschefs und ihre – in Gesundheitsfragen und Gesundheitskommunikation unerfahrenen Berater –, Landesfürsten und Lobbyisten. Nicht zuletzt deshalb gehen seit Monaten soziale Themen, Kinder- und Jugendprobleme, psychische Folgen oder der Kultursektor unter: sie haben keine Lobby. Das war schon vor der Pandemie so und hat sich auch in den vergangenen Monaten nicht geändert. Es fehlen zudem eine klare und konsequente Linie und der Wille zu Entscheidungen – anders gesagt: es fehlt Führungskompetenz. Gehofft wird auf besseres Wetter und mehr Impfungen. Nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa. Damit wird die Pandemie zu einer Belastungsprobe für die Demokratie. Denn die Menschen sind nicht Corona-müde, sondern primär politikverdrossen. (rüm)

Kurzumfrage: Hat die Politik die Pandemie bis zum Sommer im Griff?