Kommentar: Niemand will schuld am Lockdown sein

Martin Rümmele ist Chefredakteur von Relatus.

Der nächste Lockdown ist fix, die Frage ist nur noch, wer in ausruft. Die ÖVP hat in den vergangenen Tagen bereits präventiv versucht, den Gesundheitsminister als Schuldigen aufzubauen. Die SPÖ wiederum tut in den Bundesländern so, als gäbe es keine steigenden Fallzahlen und will öffnen. Wenn das nicht geht, ist die Regierung die Böse.

„Die aktuelle Diskussion um die Rücknahme der Öffnungsschritte von Handel und persönlicher Dienstleister ist angesichts leicht steigender Infektionszahlen mehr als fragwürdig. Die Schutzmaßnahmen funktionieren und dank der Eintrittstests ist Österreich weltweit Test-Champion. Angesichts dessen sind die Überlegungen des Gesundheitsministers Anschober oder der SPÖ Vorsitzenden Rendi-Wagner entbehrlich.“ So tönte in dieser Woche der Generalsekretär des ÖVP-Wirtschaftsbundes Kurt Egger. Davor hatte die ÖVP bereits versucht, das Gesundheitsministerium dafür verantwortlich zu machen, dass die Regierung nicht alle verfügbaren Impfstoffmengen gekauft hat. Tatsächlich hängen die gesamte EU und mit ihr auch Österreich nach. Der neue US-Präsident Joe Biden hat etwa das Bremsen seines Amtsvorgängers längst wettgemacht. 100 Millionen Menschen wollte er in den ersten 100 Tagen seiner Amtszeit impfen. Das Ziel hat er bereits nach 50 Tagen erreicht. Österreich liegt aktuell bei etwas über 13 % der Bevölkerung, die zumindest eine Impfdosis erhalten haben – 85 Tage nach dem Impfstart.

Warum alle politischen Vertreter verzweifelt versuchen einen Schuldigen zu finden, hat einen simplen Grund: „Die Stimmung in der Bevölkerung ist an der Kippe. Ein erneuter Lockdown wäre wirtschaftlich und psychisch eine Katastrophe, da werden auch die besten Wirtschaftshilfen nur wenig helfen“, erklärt Wirtschaftsbundmann Egger recht offen. Während Deutschland mit der Hälfte der Inzidenzzahlen von Österreich wieder einen landesweiten Lockdown plant, wird es in Österreich wohl einen klassisch österreichischen Weg geben. In der Bekämpfung der Corona-Pandemie zeichnet sich in Österreich ein regionales Vorgehen ab. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) sprach sich am Sonntag für eine „Notbremse“ in besonders stark betroffenen Regionen aus.

Das Problem: Eigentlich hätte es am Montag um weitere Lockerungsschritte gehen sollen: Die Bundesregierung hat ja ursprünglich avisiert, ab 27. März eine Öffnung der Outdoor-Gastronomie zuzulassen. Doch die Zahlen sind, wie von Experten erwartet, nach den ersten Lockerungen stark gestiegen. Anschober spielt den Ball deshalb an die ÖVP zurück: „Wir müssen den Mut haben, in einzelnen besonders stark betroffenen Regionen die Notbremse zu ziehen.“ Eine eindringliche Warnung kam am Sonntag auch vom Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), Klaus Markstaller: Die Lage sei „zunehmend dramatisch“, sagte er in einer Aussendung. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) versucht, den Menschen die bittere Pille mit einem rosigen Ausblick schmackhaft zu machen: Er gibt sich überzeugt, dass Österreich im Sommer zur „Normalität“ zurückkehren kann.

Einfacher und wohl auch zielführender wäre, den Menschen reinen Wein einzuschenken. Wir haben die Öffnungen alle selbst in der Hand. Dass die Politik allerdings nur auf Umfragewerte schaut, löst das Problem nicht, sondern macht es nur noch größer. Denn was die von den Menschen geforderte Lockerungen trotz hoher Zahlen und Mutationen bringen, haben die vergangenen Wochen gezeigt. (rüm)

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