Kongress in Wien: Jeder Zweite hat neurologische Beschwerden

Neurologische Erkrankungen nehmen durch die Pandemie stetig zu. Beim europäischen Neurologenkongress werden ab Samstag im Austria Center Vienna moderne Behandlungsansätze und Präventionsmaßnahmen diskutiert.

„Jeder zweite Europäer leidet an neurologischen Beschwerden. Neurologische Erkrankungen sind damit – nach kardiologischen und onkologischen Leiden – die dritthäufigste Erkrankungsart. Die Bandbreite reicht von Kopfschmerzen und Schlafstörungen über neurodegenerative Erkrankungen wie Demenz und Alzheimer bis hin zu Schlaganfällen“, sagt Univ. Prof. Dr. Thomas Berger, Präsident des Organisationskomitees des europäischen Neurologenkongresses, Vorstandsmitglied der European Academy of Neurology (EAN), Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) und Leiter der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Universität Wien. Man sehe zudem, dass die neurologischen Probleme im Zuge der Pandemie sowohl bei an Covid-19 erkrankten und genesenen Personen als auch bei Menschen, die nun mit stärkeren Belastungen zu kämpfen haben, zunehmen.

60 bis 80 Prozent der an Covid-19 erkrankten Personen leiden an Geruchs- und Geschmacksstörungen. „Für die meisten Patienten sind diese Geruchs- und Geschmacksstörungen temporär und vergehen nach 8 bis 10 Tagen. Bei einem Fünftel kann dieses neurologische Problem aber auch langanhaltend – manchmal sogar Monate lang – sein“, erklärt Berger. Missgerüche, z. B. von Aas oder Moder, sind höchst unangenehm, aber Ausdruck der Regeneration des Geruchsinns. Je nach Schweregrad der Covid-19-Erkrankung können auch andere neurologische Komplikationen wie Verwirrtheit, Bewusstseinsstörungen und sogar Schlaganfälle auftreten. „Bis zu 3 % der hospitalisierten Patienten erleiden im Zuge von durch Covid-19 ausgelösten Gerinnungsstörungen Schlaganfälle“, erklärt der Neurologe. In sehr seltenen Fällen kann die Covid-19-Erkrankung auch neurologische Erkrankungen wie eine Enzephalitis oder eine Autoimmunerkrankung, die das Gehirn, Rückenmark oder das peripheren Nervensystems betrifft, auslösen. Ist eine Covid-19-Erkrankung überstanden, leiden bis zu 30 % der Genesenen an Folgeerscheinungen neurologischer Komplikationen.

„Typische neurologische Long Covid-Symptome sind Schlafstörungen, subjektive kognitive Störungen wie Gedächtnisstörungen, Belastungsintoleranzen, erhöhte Ermüdbarkeit und Störungen des autonomen Nervensystems, die beispielsweise ein erhöhtes Schwindelgefühl auslösen können“, erklärt der Neurologe. Diese entstehen bis zu 12 Wochen nach einer Covid-19-Erkrankung oder bleiben unmittelbar danach bestehen. Noch 6 Monate nach einer Erkrankung leiden nach derzeitigem Wissenstands rund 10 Prozent der ambulant behandelten Personen an diesen Langzeit-Symptomen. Auch Menschen, die einen milderen Covid-19-Verlauf hatten, können unter Long Covid leiden. „Wir merken, dass nicht nur Menschen, die an Corona erkrankten, mit neurologischen Beschwerden und Folgesymptomen zu kämpfen haben, generell steigen in der Pandemie die neurologischen Beschwerden in der Bevölkerung an“, betont Berger. Ob Menschen, die in Intensivstationen arbeiten oder Eltern, die sich mit Home Schooling und Home Office durchs Leben kämpfen: Die Restriktionen, Ängste, neuen und stärkeren Belastungen drücken sich verstärkt in körperlichen Beschwerden aus. Schlaf- und Kopfschmerzen sind typischer Ausdruck dieser Belastungssituation und nehmen stark zu. (red)