„Stehen vor Phase signifikanter therapeutischer Innovationen“

© Philipp Zach

Alexander Rosenkranz, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Innere Medizin, spricht im Relatus-Interview über Versorgungslücken, neue Behandlungspfade und Therapien gegen kardiovaskuläre Erkrankungen. 

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Österreich. Wo sehen Sie derzeit die größten Herausforderungen in Prävention und Versorgung? Die größten Herausforderungen liegen derzeit weniger in fehlendem Wissen, sondern in der Umsetzung. In der Prävention sehen wir vor allem drei Problembereiche: Erstens sind zentrale Risikofaktoren wie Bewegungsmangel, Übergewicht und Rauchen weiterhin sehr verbreitet. Zweitens werden präventive Angebote wie die Vorsorgeuntersuchung trotz guter Zugänglichkeit zu wenig genutzt – gerade in sozial benachteiligten Gruppen. Und drittens nehmen chronische Risikofaktoren wie Diabetes und Hypertonie kontinuierlich zu und betreffen mittlerweile auch Jüngere. 

Und in der Versorgung? In der Versorgung besteht die zentrale Herausforderung in der Fragmentierung des Systems. Vielen Patientinnen und Patienten fehlt ein kontinuierlicher Behandlungspfad über Hausarzt, Facharzt, Spital, Reha und Nachsorge hinweg. Die ÖGIM bemüht sich hier gerade zusammen mit der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin und dem Gesundheitsministerium, solche Patientenpfade für verschiedene Erkrankungen zu definieren. Zugleich verstärken regionale Unterschiede die Ungleichheit, wie etwa beim Zugang zu internistischen Spezialstrukturen. Die zunehmende Belastung der Primärversorgung und die Überlastung der Spitalsambulanzen machen es zusätzlich schwer, chronische Herz-Kreislauf-Patienten adäquat zu begleiten. Große Potenziale sehe ich in der Digitalisierung: Telemonitoring, integrierte Daten und digitale Therapieunterstützung könnten Risiken früh erkennen und Therapien stabilisieren – sind aber Zukunftsmusik und werden bisher kaum genutzt. 

In den vergangenen Jahren wurden neue Wirkstoffe und Therapiekonzepte entwickelt, etwa in der Lipid- oder Herzinsuffizienztherapie. Welche halten Sie aktuell für besonders vielversprechend? Besonders relevant für Österreich sind die neuen RNA-basierten Lp(a)-Therapien, weil wir hier – wie viele EU-Länder – einen hohen Anteil an Patientinnen und Patienten mit genetisch erhöhtem Lp(a) haben, für die es bisher keine gezielte Behandlung gab. Auch die erweiterten lipidsenkenden Optionen wie Inclisiran oder Bempedoinsäurepassen gut in die Versorgungsrealität Europas: Sie ermöglichen eine verlässliche LDL-Kontrolle, auch bei Statinintoleranz oder eingeschränkter Adhärenz, was in der Praxis ein häufiges Problem ist. In der Herzinsuffizienz gehören die SGLT2-Inhibitoren inzwischen zum europäischen Standard und bieten klare Vorteile für Prognose und Lebensqualität – unabhängig vom Diabetesstatus. Für Hochrisikopatient:innen, wie sie in Österreichs alternder Bevölkerung zunehmend auftreten, eröffnen neue Therapien wie Vericiguat zusätzliche Optionen nach wiederholten Dekompensationen. In Summe bewegen wir uns in Europa klar in Richtung personalisierter, leitliniennaher Therapie mit deutlich besseren Chancen auf langfristige Risikoreduktion – ein Trend, der auch in Österreich die Versorgung nachhaltig verbessern kann. 

Welche medizinischen Innovationen oder Erkenntnisse im Bereich von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erwarten Sie für die kommenden Jahre? Wir stehen vor einer Phase signifikanter therapeutischer Innovationen, die das Potenzial haben, Morbidität, Mortalität und Gesundheitskosten langfristig zu senken. Besonders relevant sind hier erstens RNA-basierte Lipidtherapien und Lp(a)-Senker: Neue siRNA- und Antisense-Therapien ermöglichen eine deutlich stärkere und länger anhaltende Senkung von LDL und erstmals auch von Lipoprotein(a). Diese Wirkstoffe adressieren wesentliche genetische Risikofaktoren, die in der österreichischen Bevölkerung häufig vorkommen. Der zweite Bereich umfasst Präzisionsmedizin, KI und potenziell einmalige Gentherapien. KI-gestützte Diagnostik und nationale Register könnten die Früherkennung verbessern und Versorgungspfade effizienter gestalten. Erste klinische Gen-Editing-Ansätze zeigen das Potenzial, Risikofaktoren dauerhaft zu modifizieren, aber hier sind wir tatsächlich noch weit davon entfernt. Diese Technologien benötigen eine frühzeitige regulatorische und ethische Rahmensetzung sowie spezialisierte Zentren. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um die strukturelle Vorbereitung für innovative Therapien zu starten, Versorgungsprogramme und Register zu modernisieren und Erstattungspfade zu entwickeln, die sowohl medizinische Innovation als auch Kosteneffizienz berücksichtigen. Eine proaktive politische Strategie kann sicherstellen, dass Österreich von diesen Entwicklungen frühzeitig und breit profitiert. (Das Interview führte Silke Tabernik)