Wirkstoffverschreibung: Aufregung nach Anschober-Vorstoß

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Das RELATUS-Interview von Gesundheitsminister Anschober sorgt für Debatten: Ärztekammer und Pharmavertreter beurteilen den Vorstoß zu einer möglichen Aut-Idem-Debatte kritisch. Man will das Gesprächsangebot aber annehmen.

„Sehr gerne stellen wir Bundesminister Anschober unsere Expertise zur Verfügung“, lautet die Reaktion von Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, auf „die medial kolportierte Absicht des Ministers“, Gespräche über Wirkstoffverschreibung aufnehmen zu wollen. Anschober hatte im Interview mit RELATUS MED erklärt im Herbst über die mögliche Einführung einer Wirkstoffverschreibung diskutieren zu wollen. „Die Kurzfassung lautet: Rezeptierungen dürfen aus gutem Grund nur Ärztinnen und Ärzte leisten“, sagt Steinhart. Die Aut-idem-Regelung, die besagt, dass Apotheker ein anderes als das vom Arzt namentlich verordnete, aber wirkstoffgleiches Arzneimittel abgeben dürfen, bringe nämlich mehrere große Sicherheitsprobleme mit sich: „Die Wirkstoffe von Original und Generikum mögen ident sein, aber es gibt durchaus wesentliche Unterschiede bei Füllstärke und Zusätzen“, erklärt Steinhart: „Die Einschätzung von möglichen Wechselwirkungen mit der Medikation der Patienten können Apotheker fachlich gar nicht leisten. Darüber hinaus könnten ältere Personen völlig unnötig verunsichert werden, wenn sie nicht ihre gewohnten Medikamente erhalten und womöglich ständig wechselnde Medikamente bekommen. Statt medizinischer Aspekte würden dann der Lagerstand des Apothekers beziehungsweise die Interessen der Pharmariesen, in deren Eigentum ein guter Teil der Apotheken stehen, entscheiden, welche Medikamente ein Patient erhält. Hier sehen wir als Experten die Sicherheit der Patienten in Gefahr.“

Wenn Ärzte keine Produkte, sondern lediglich nur noch Wirkstoffe verschreiben, werde das etwaige Lieferproblematiken bei Arzneimitteln nicht lösen, sondern sogar noch verschärfen, sagt Alexander Herzog, Generalsekretär der Pharmig. „Vielmehr sollten Ärzte in dem Moment, in dem sie ein Rezept ausstellen, darüber informiert werden, ob das entsprechende Medikament auch verfügbar ist“, betont er. Leidtragende einer solchen Verordnung wären nach Ansicht der Pharmig in erster Linie die Patienten, speziell jene, die laufend Medikamente zu sich nehmen müssen. Denn sie wären womöglich gezwungen, sich auf einen oftmaligen Wechsel ihres Medikamentes einzustellen. „In Wahrheit gefährdet man dadurch die Therapietreue und das Vertrauen in die Arzneimittel.“ Wiewohl eine solche Verordnung in vielen anderen Ländern bereits existiert, gelten dort andere Preismechanismen. In Österreich würden weit- und tiefgreifende Regularien herrschen, „die ohnehin in den vergangenen Jahren bereits zu starken Preiserosionen geführt haben.“

Auch der Österreichische Generikaverband (OeGV) zeigt sich skeptisch. „Wenn man sich die Erstattungssysteme anderer EU-Länder anschaut, ist es natürlich auffällig, dass Österreich eines der wenigen Länder ohne Wirkstoff-Verschreibung ist. Das hat aber gute Gründe“ und er freue sich, dass Bundesminister Anschober offene und faire Gespräche darüber angekündigt hat, an denen der Generikaverband sehr gerne teilnehmen wird, sagt dessen Präsident Wolfgang Andiel und warnt: Einzelmaßnahmen aus anderen Systemen zu übernehmen berge die Gefahr, mehr Schaden anzurichten als Nutzen zu stiften. „Innerhalb unserer Rahmenbedingungen bewirkt eine Wirkstoff-Verschreibung fast zwangsläufig häufige Therapie-Umstellungen.“ Was den angesprochenen Versorgungsaspekt anbelangt müsse bedacht werden, dass die ökonomischen Regeln für die Abgabe in der Apotheke weitere Preissenkungen erzwingen werden. „Insbesondere auch bei jenen 45% aller abgegebenen Medikamenten, deren Preise ohnehin bereits unter Rezeptgebühr liegen. Wenn aber eine wirtschaftliche Vermarktung unmöglich wird und die Verwendung eines Produktes vom Zufall der Abgabeentscheidung in der Apotheke abhängt, werden viele günstige Arzneimittel vom Markt verschwinden.“ Es seien ja gerade die ökonomischen Rahmenbedingungen, die die Produktionsabwanderung aus Europa beschleunigen und damit die wesentliche Ursache für Lieferengpässe darstellen. (rüm)