„Apotheken können weitere Aufgaben im System übernehmen“

Ulrike Mursch-Edlmayr(c) Apothekerkammer

Apothekerkammer-Präsidentin Ulrike Mursch-Edlmayr zieht im RELATUS-Sommergespräch eine Corona-Bilanz und skizziert ihre Pläne für die Zukunft der Apotheken.

Sie wurden für weitere fünf Jahre zur Präsidentin der Apothekerkammer gewählt. Was sind Ihre Pläne und Schwerpunkte für die zweite Amtszeit? Im Grunde bin ich mit allen Themen aus der ersten Amtsperiode, die wir großteils bereits sehr gut umgesetzt haben, auch in zweite Periode gewechselt. Allerdings ist das Ziel jetzt, diese Inhalte langfristig zu verankern und abzusichern. Dazu gehört etwa die wirtschaftliche und politische Stabilisierung der Apotheken als flächendeckenden, niederschwelligen Rund-um-die-Uhr-Zugang zum Gesundheitssystem und der Krankenversorgung. Die Apotheken sind die Basis im Gesundheitswesen und wir wollen nachhaltig mitgestalten. Beratung, Service, Betreuung und die Abgabe von Arzneimitteln sind zentral.

Welche Bilanz ziehen Sie bei diesen Anliegen für die vergangenen fünf Jahre? Was ist Ihnen gelungen, wo sind Sie gescheitert? Ich denke, dass die Positionierung der Apotheken und die politische und öffentliche Wahrnehmung unserer Leistungen erheblich gestiegen sind. Das ist auch der Pandemie geschuldet, wo wir unsere Leistungen durchgehend aufrechterhalten haben, als andere weg waren. Die Apotheken waren von erster Stunde an da und wichtige Erstanlaufstelle. Unser erweitertes Dienstleistungsangebot wollen wir mittelfristig erhalten und fortführen. Die Frage ist, ob es durch Corona einen Peak gab oder ob wir das Niveau halten können. Wir werden jetzt jedenfalls bei fast allen Entscheidungen miteingebunden.

Wie geht es jetzt weiter und wie sehen Sie die Zukunft der Apotheke? In Bezug auf das aktuelle Regierungsprogramm sehe ich einige Aufgaben für Apotheken. Wir haben der Politik vor Augen geführt, wie die Apotheken in Österreich verteilt sind wie gleichmäßig und flächendeckend wir die Wohnbevölkerung abdecken – sowohl bei der Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten als auch mit dem Dienstleistungsangebot. Das waren jetzt während der Pandemie auch für die Regierung wichtige Argumente. Ich denke deshalb, dass wir weitere wichtige Aufgaben wahrnehmen können in der Pandemie und auch darüber hinaus. Eigentlich müssten wir viel vom Regierungsprogramm ausführen und umsetzen können. Wenn man Aufgaben im Gesundheitswesen bedarfsorientiert verteilen will, muss man in den nichtmedizinischen Bereich verlagern. Wir haben die Strukturen an der Basis, um diese Aufgaben zu übernehmen.

Gilt das auch für das Thema Impfungen? Es war ja der Auftrag des Bundes, Ressourcen zur besseren Durchimpfung zu schaffen. Wir haben deshalb auch Apotheker:innen ausgebildet.

Die Politik lehnt Impfungen in Apotheken aber bisher ab, die Ärzteschaft bekämpft das massiv. Setzen Sie hier nicht auf eine unrealisierbare Idee? Mit den Ausbildungen haben wir einen Joker geschaffen, den die Politik jetzt hat und den sie ziehen kann. Dass wir in Vorleistung gehen, um bei Bedarf gerüstet zu sein, wurde immer transparent dargestellt. Es gibt zudem immer wieder Signale von der Politik, dass sie ernsthaft darüber nachdenkt.

Wie groß ist das Problem der Lieferengpässe aktuell? Zur Zeit treten wenige akute Probleme auf, wir beschäftigen uns aber zehn Stunden pro Apotheke und Woche damit, dass aus Lieferengpässen kein Versorgungsengpass wird. Hier hilft uns auch der Pharmagroßhandel. Generell hat Europa eine flächendeckende Abhängigkeit bei der Rohstoffbeschaffung. In der Produktion sehen wir zudem eine Konzentration und Monopolisierung und wir haben zu Beginn der Pandemie gesehen, dass die Grenzen zugehen, wenn es am Markt eng wird. Die Frage ist, wie man Depots regional generieren kann. Große Pufferdepots für Pandemien und andere Krisen kann man nur auf Europaebene schaffen. Für die Versorgung in Österreich breche ich eine Lanze. Mit Deutschland haben wir die Erfahrung gemacht, dass in der Krise das Hemd näher ist als der Rock. Es gibt für die Planung auch keine Daten und Fakten über Landschaft und Struktur der Versorgung. In Österreich war die Solidarität halbwegs gegeben. Knappe Medizinprodukte haben wir etwa österreichweit gerecht aufgeteilt und kontingentiert über alle Apotheken verteilt. Generell braucht es aber Ausschreibungskriterien nach dem besten Gesamtkonzept. Das Billigstbieterprinzip allein hilft nicht.

Ein Thema, das viele Apotheken beschäftigt ist der wachsende Druck durch den Versandhandel. Das Thema ist nicht neu, es wird aber kritisiert, dass die Standesvertretung wenig unternimmt. Es gibt weit über 100 Apotheken in Österreich, die eine Versandhandelslizenz haben. Als Unternehmer:in kann man die Möglichkeit in Anspruch nehmen, wenn man will. In der Zustellung und Belieferung tut sich einiges regional und individuell. In einem Flächenbundesland ist es aber schwieriger als in der Stadt. Wir können also nicht standardisiert und strukturiert Lösungen entwickeln, weil der Bedarf unterschiedlich ist. In der Kammer gibt es eine neue Fachgruppe „Digitalisierung und Zukunft“ mit dem Ziel, voraus und über den Tellerrand zu schauen. Wir werden Rahmenbedingungen und Möglichkeiten entwickeln.

Ein damit verknüpftes Thema ist die Datensicherheit – was unternimmt die Kammer hier? Das ist eines der vorrangigsten Themen – für die Kammer, wie auch für die Betriebe. Wir arbeiten in Sachen Online-Security und Awareness auch in Abstimmung mit den Behörden. Dazu gehört auch die Erstellung und Wartung von Notfallplänen für die Betriebe.

Ein ungelöstes Thema sind Nachdienste und die Honorierung. Zudem machen immer weniger Ärzte Nachtdienste. Gerade dann braucht das Gesundheitssystem die Apotheken erst recht, damit Patient:innen Ansprechpartner in Gesundheitsfragen haben. Der Wert der Nachtdienste, die Apotheker:innen auf eigen Kosten erbringen, liegt bei ist 35 bis 40 Millionen Euro pro Jahr. Das ist kein Geschäftsmodell für uns, sondern ein reines Versorgungsmodell. Die Frage ist, will man das? Je weniger Gesundheitsversorgung sonst angeboten ist, umso wichtiger sind wir als Ansprechpartner. Da braucht es dann aber jedenfalls in Zukunft wirtschaftliche Unterstützung. (Das Interview führten Martin Rümmele und Katrin Grabner)