„Es braucht einen Masterplan gegen Hausärzt:innenmangel“

Susanne Rabady(c) Rümmele

Die neue Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM), Susanne Rabady, skizziert im RELATUS-Sommergespräch Forderungen für die Zukunft.

Wie haben Hausärzt:innen die Pandemiezeit erlebt? Wir sind und waren für unsere Patient:innen da und die Kontinuität ist ganz generell ein wesentliches Merkmal unserer Arbeit. Das heißt auch: Hausärzt:innen und Fachkräfte der hausärztlichen Primärversorgung – ob in Einzel- oder Gemeinschaftspraxen oder auch in Zentren – sind da, wo und wann immer sie gebraucht werden. Sie bauen Vertrauensbeziehungen auf und kümmern sich kontinuierlich um die Patient:innen in allen Lebensphasen. Die Corona-Pandemie hat auch eines gezeigt: Die allgemeinmedizinische Primärversorgung ist die Basis jedes Gesundheitssystems. Sie ist üblicherweise die erste Anlaufstelle, die allen Menschen einen offenen und unbegrenzten Zugang bietet.

Warum sind gerade die Hausärzt:innen Ihrer Meinung nach so wichtig für das Gesundheitswesen? Die zunehmende Komplexität des Gesundheitswesens birgt auch das Risiko der Unter- oder Fehlversorgung von Patient:innen. Hier kann die Allgemein- und Familienmedizin gegensteuern, hat sie doch die bedeutendste Rolle in der primärztlichen Versorgung durch ihren Erstkontakt mit den Patient:innen, ihrer kontinuierlichen Betreuung und Koordination. Letztendlich geht es um den Schutz und das Wohl der Patient:innen und damit um das Grundrecht auf Gesundheit.

Es wird viel über einen aktuellen und künftig noch stärkere Ärzt:innenmangel geredet. Gibt es den wirklich? Die niederschwellige, gerechte, nachhaltige und qualitativ hochwertige Versorgung ist keine Selbstverständlichkeit. Österreich steht bereits jetzt – und zukünftig noch viel mehr – vor der Herausforderung, dass trotz absolut hoher Ärzt:innenzahlen nicht genügend Ärzt:innen für die solidarische Grundversorgung der österreichischen Bevölkerung gefunden werden. Dazu kommt, dass derzeit knapp ein Drittel der Medizinabsolvent:innen in Österreich ins Ausland geht, um dort zu arbeiten.

Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen dafür? Die Gründe für den Ärtz:innenmangel in der hausärztlichen Primärversorgung sind vielfältig. Deshalb kann dieses Problem auch nicht mit einer Maßnahme gelöst werden. Es braucht ein Bündel von Maßnahmen, die zwingend gesamtheitlich umgesetzt werden müssen, um Wirkung zu entfalten.

Welche Auswege schlägt Ihre Organisation vor? Sie sind ja doch sehr nahe an der Arbeit und den Bedrüfnissen Ihrer Kolleg:innen. Die ÖGAM hat auf Basis österreichischer und internationaler Studien einen Masterplan entwickelt, mit dem der Beruf in der Allgemein- und Familienmedizin wieder attraktiver werden soll. Demnach ist bereits in der Ausbildung an den Universitäten eine kontinuierliche Auseinandersetzung der Studierenden mit der hausärztlichen Allgemein- und Familienmedizin notwendig. Dazu zählen etwa Praktika bei Hausärzt:innen während des klinisch-praktischen Jahres. Positive praktische allgemeinmedizinische Erfahrungen führen nachweislich zu einem signifikant höheren Interesse am hausärztlichen Beruf. Damit dieses Fach häufiger als Karriereweg gewählt wird, braucht es nach dem Studium auch eine weiterführende Ausbildung, die mit der Anerkennung als Fach einhergeht: Denn die Allgemein- und Familienmedizin ist ein eigenständiges Fachgebiet auf einer soliden und spezifischen wissenschaftlichen Grundlage, die für alle Fachärzt:innen für Allgemein- und Familienmedizin Verbindlichkeit hat.

Das ist das Stichwort Facharzt für Allgemeinmedizin. Was braucht es noch? Um nach der Facharztausbildung die Absolvent:innen in der allgemeinmedizinischen Primärversorgung zu halten, ist notwendig, umfangreiche und niederschwellige Einstiegsmöglichkeiten in den Beruf zu bieten. Eine Barriere stellen etwa die unzureichende Erfahrung im Führen einer Praxis oder Sorgen und Vorurteile zu den Voraussetzungen und Rahmenbedingungen dar. Eine Lösung sind hier flexible Einstiegsformen wie Job-Sharing, Gruppen-, Übergabe- und Weiterbildungspraxen oder die Anstellung von Ärzt:innen bei Ärzt:innen. Diese Flexibilität in den Arbeitsmöglichkeiten im haus- und familienärztlichen Beruf führen nachweislich auch zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Darüber hinaus müssen die Arbeitsbedingungen im niedergelassenen Bereich verbessert werden. Die stetig steigende Verhältniszahl von Patient:innen und Hausärzt:innen ist so zu modifizieren, dass mehr Zeit für die Patient:innen – ohne Leistungseinbußen – zur Verfügung steht. Ein Honorierungssystem, das die speziellen hausärztlichen Kompetenzen fördert, ist ein weiterer wesentlicher Aspekt, den Beruf zu attraktivieren. Internationale Modelle gibt es dafür. (Das Interview führte Martin Rümmele)