„Geschwindigkeit ist bei klinischen Studien wichtiger Faktor“

(c) Medizinische Universität Wien/APA-Fotoservice/Hömandinger

Der Rektor der Medizinischen Universität Wien, Markus Müller, erklärt im RELATUS-Sommergespräch, warum Bürokratie in vielen Bereichen hemmend ist.

Sie waren Leiter der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien am Wiener AKH. Wie attraktiv ist Österreich als Forschungsstandort? Dank der Novelle des Arzneimittelgesetzes Anfang der 2000er Jahre stand Österreich zu Beginn des Jahrtausends sensationell gut da. Auch weil damals die Begutachtungszeit für klinische Studien vom Gesetzgeber aktiv reduziert wurde. Zu dieser Zeit war Österreich sehr wettbewerbsfähig, heute sieht das glaube ich etwas anders aus. Ich verfolge die aktuelle Lage nicht mehr so intensiv, aber was uns immer gut tun würde ist eine beschleunigte Administration. Hier ist auch die Universität in der Bringschuld, aber auch das Ministerium mit der AGES. Geschwindigkeit ist bei klinischen Studien ein sehr wichtiger Faktor.

Wie beurteilen Sie den Reformbedarf in anderen Bereichen? Es passiert alles sehr langsam, was auf Strukturdefizite zurückzuführen ist. Dazu gehören Pflegemangel, infrastrukturschwache Regionen und ein veraltetes, tradiertes Berufsbild. Ich sehe hier alle Stakeholder, Kammern, Kassen, Spitalsbetreiber und auch Universitäten in der Verantwortung. Die Zusammenarbeit ist zwar in den vergangenen Jahren besser geworden, aber einige Player versuchen nach wie vor, vor allem eigene Interessen wahrzunehmen. Die Universität versucht durch intensive Kontakte mit den Sozialversicherungsträgern, aber auch den Ländern, Verbesserungen durchzubringen. Wir bieten beispielsweise den Landesvertreter:innen an, Messen zu veranstalten und so Kontakt zu jungen Studierenden zu bekommen. Wenn man als Arbeitgeber:in Workforce braucht, sollte man früh mit dem Rekrutieren anfangen und zeigen, warum man als Arbeitgeber:in attraktiv ist.

Es ist immer wieder zu hören von einem Ärzt:innenmangel in Österreich. In einer Publikation von 2021 stellen Sie fest, dass es hierzulande genügend ausgebildete Ärzt:innen gibt, es aber an den Rahmenbedingungen scheitert – woran genau? Wir bilden in Österreich im internationalen Vergleich sehr viele junge Mediziner:innen aus, sind aber nicht in der Lage, sie im Land zu halten. Derzeit beginnen in Österreich über 2.000 Studierende pro Jahr mit dem Medizinstudium. An öffentlichen Universitäten werden 75 Prozent der Studienplätze fix an Österreicher:innen vergeben, und viele österreichische Maturant:innen mit sehr gutem Maturazeugnis studieren im EU-Ausland, vorzugsweise an deutschen Universitäten. Mehr als 30 Prozent eines Jahrgangs bleiben aber nicht in Österreich, sondern beginnen – aufgrund attraktiverer Arbeitsbedingungen – die postpromotionelle Ausbildung und Tätigkeit im Ausland. Noch mehr Studierende an den öffentlichen Universitäten würde die hohe Qualität der Ausbildung gefährden. Die Analogie zur derzeitigen Situation ist: Wir haben einen Kübel mit Loch. Wir schütten viel hinein, aber es wird wegen des Lochs immer ein Problem mit dem Wasserpegel geben.

Wie kann man dieses Loch stopfen? Ein entscheidender Punkt ist die Wertschätzung. Das fällt mir vor allem auch im Zusammenhang mit Wortmeldungen politischer Verantwortlicher auf. Es wird kritisiert, dass der Aufnahmetest angeblich nur „hochintelligente“ Menschen herausfiltere, die nicht über ausreichend Empathie und die soziale Kompetenz verfügen, eine Darstellung, die inhaltlich falsch ist und die ich auch als Botschaft von Arbeitgeber:innen an die junge Generation für kommunikativ paradox und äußerst problematisch erachte. Wenn man möchte, dass die Studierenden in Österreich bleiben und hier arbeiten, sollte man sie willkommen heißen und ihnen darlegen, warum es toll ist, hier zu arbeiten. Wir haben uns verpflichtet, sukzessive und moderat Studienplätze auszubauen, was zwar das Problem nicht lösen wird aber zeigt, dass die öffentlichen Universitäten bereit sind ihren Beitrag zu leisten. Allerdings wandern nicht nur viele Studierende ab, es kommen auch deutlich weniger internationale Mediziner:innen nach Österreich als im OECD Schnitt. Ein Vorbild könnte hier für uns die Schweiz sein.

Was macht die Schweiz besser als Österreich? Natürlich ist nicht alles Gold was glänzt, aber man hört, dass der Umgang mit Arbeitnehmer:innen, vor allem mit jungen, ganz anders ist als hier. Junge Mediziner:innen werden offenbar nicht für minderqualifizierte Tätigkeiten und Administration ausgenutzt. Wir haben hierzulande schon länger einen gravierenden Pflegemangel, auch im internationalen Vergleich, eine Situation die erst langsam öffentlich diskutiert wird und die lange vom Narrativ eines angeblichen Ärzt:innenmangels überlagert wurde. Wenn es im Spital nicht genügend Pflege- und Administrationskräfte gibt, dann ist das ein Problem. Es braucht eine gesunde Personalpyramide. Die Leute sollen die Tätigkeiten machen, für die sie qualifiziert sind. In der Schweiz ist diese Pyramide gesünder.

Was muss also getan werden, um Jungmediziner:innen im Land zu halten? Vor allem in niedergelassenen Kassenordinationen steht oft aus ökonomischen Gründen Quantität im Vordergrund. Diese Form des Einzelunternehmertums wollen sich viele junge Kolleg:innen offenbar nicht mehr antun. Es wurde jedoch wenig unternommen, um diese Situation zu verbessern. Gruppenpraxen sind ein Hebel für Verbesserungen, aber auch Digitalisierung kann hier helfen. Der niedergelassene Bereich ist in Österreich nach wie vor sehr traditionell organisiert. Durch die Pandemie hat sich das ein bisschen verbessert: Jetzt gibt es das e-Rezept und auch Skype-Visiten. (Das Interview führte Katrin Grabner)