Kommentar: Warum Arzneimittel-Notlager zum Streitpunkt werden

Martin Rümmele ist Chefredakteur von Relatus.

Die Frage, wie man die Arzneimittelversorgung im Hinblick auf künftige Krisen sichern kann, führt zu Spannungen zwischen Pharmaindustrie und Großhandel. Der Hintergrund des Konflikts geht tief.

Die Staats- und Regierungschef von sechs EU-Ländern haben am Donnerstag zum Aufbau eines europäischen Vorrats an wichtigen Medikamenten und medizinischer Ausrüstung aufgerufen, um die Gemeinschaft besser gegen Gesundheitskrisen zu wappnen. Die Vertreter Deutschlands, Spaniens, Dänemarks, Frankreichs, Belgiens und Polens plädieren in ihrem Schreiben an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zudem für die gemeinsame Forschung und Entwicklung von Impfstoffen und Arzneimitteln. Auch die Kommission präferiert die Schaffung von Notlagern und auch aus Österreich kommt dazu Zustimmung. Denn klar ist, solche Notlager lassen sich rascher schaffen, als sich die Arzneimittelproduktion aus Asien zurückholen lässt.

Und dennoch sorgt ein Punkt für Spannungen: die Frage, ob diese Lager zentral für ganz Europa angelegt werden oder national. Der Großhandel spricht sich vehement für eine nationale Lösung aus und führt ins Treffen, dass während Corona auch wichtige Produkte nicht so leicht über die Grenzen gekommen sind und manche Länder in der Krise die im Land gelagerten Produkte nicht freigeben wollten. Dazu kamen andere Problem, wie das Risiko, dass sich ein Lager möglicherweise in einem Epizentrum einer Krise befinden könnte. Im Fall der Lombardei und Mailand war das etwa zu Beginn der Corona-Krise der Fall, weil dortige europäische Zentrallager von Herstellern plötzlich nicht mehr so einfach arbeiten konnten. Nationale Versorgung vor Ort ist also die Forderung des Großhandels, der damit auch seine Position festigen will. Denn zuletzt kamen die Hersteller durch direkte Belieferung von Apotheken durch die Industrie und sinkende Spannen unter Druck.

Die Industrie wiederum hat ebenfalls ein schlüssiges Interesse für ihre Position. Über ein Zentrallager lassen sich regionale Engpässe besser ausgleichen. Andernfalls könnte es sein, dass vielleicht in einem Land Produkte ausgehen, während woanders noch ausreichende Mengen verfügbar sind und dieses Land – wie während Corona gehabt – einen Export bremst. Dazu kommt, dass die Industrie den Großhandel durch Parallelexporte für bestehende Lieferengpässe innerhalb der europäischen Länder mitverantwortlich macht.

So einfach, wie sich manche also eine Sicherung der Notversorgung für Krisen vorstellen, ist die Sache nicht. Das Thema ist vielschichtig und komplex. Eine Lösung die allen gerecht wird braucht also Weitsicht und Fingerspitzengefühl – und vor allem eines: Zeit. (rüm)