Kommentar: Wie wir aus der Pandemie jetzt wieder rauskommen

Martin Rümmele ist Chefredakteur von Relatus.

Am Dienstag wird wohl der Lockdown verlängert. Die Omikron-Mutation zeigt zudem erneut die Grenzen aller bisheriger Maßnahmen auf. Es braucht globale Konzepte, niederschwellige Aufklärung und entschiedene Maßnahmen gegen rechte Spalter.

Österreich verschärft seine Einreisebestimmungen wegen der neuen südafrikanischen Corona-Virusvariante. Südafrika, Lesotho, Botswana, Simbabwe, Mosambik, Namibia und Eswatini werden als Virusvariantengebiete eingestuft und Einreisen aus diesen Ländern ist grundsätzlich untersagt, teilte das Gesundheitsministerium am Freitag mit. Österreichische Staatsbürger seien zur Einreise berechtigt, hätten aber besonders strenge Quarantäneregelungen einzuhalten. Derartige Maßnahmen sind wichtig, aber wohl eher kosmetisch. Denn wenn wir eines gelernt haben in der Pandemie ist es das: entdecken wir irgendwo ein gefährliches Virus, hat es sich aufgrund der globalen Vernetzung der Welt bereits verbreitet. Aufhalten lässt es sich nicht.

Mutationen werden immer wieder auftreten, solange die Menschen nicht überall immunisiert sind. Es braucht also einen globalen Kampf und eine Erhöhung der Impfquote auf der ganzen Welt. Rein nationale Konzepte bringen wenig. Es zeigt sich erneut, dass wir nur dann sicher sind, wenn alle sicher sind. Sonst werden die Mutationen zu immer neuen Lockdowns oder wie jetzt wohl zu Verlängerung der Bestehenden führen. Dass am 12. Dezember der Lockdown endet, glauben nur noch unverbesserliche Optimisten. Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, warnt sogar vor der Entstehung gefährlicher Varianten des Coronavirus. „Meine große Sorge ist, dass es zu einer Variante kommen könnte, die so infektiös ist wie Delta und so gefährlich wie Ebola“, sagte er den Zeitungen der deutschen Funke Mediengruppe (Samstag). Die neue südafrikanische Variante B.1.1.529 sei ein gutes Beispiel dafür, dass man dem Virus keine Chance zur Mutation geben dürfe. Um weitere Varianten zu verhindern, werde es nötig sein, die Welt noch jahrelang zu impfen, sagte Montgomery.

Bekommen wir das Problem aber nicht rasch global in den Griff, stärkt das auch rechte Parteien. Sie heizen derzeit Spaltungen an und versuchen Kapital zu schlagen aus Impf-Skeptikern, sie hoffen die Massen mobilisieren zu können und manche träumen gar von einem Umsturz. Freudestrahlend und geifernd teilen FPÖ-Politiker und Neonazis derzeit Filme und Fotos von Demos in den sozialen Medien. Dass es vor 11 Monaten auch FPÖ-Politiker gab, die sich vordrängelten, um möglichst rasch eine Impfung zu ergattern, ist vergessen. Es zeigt aber, dass es ihnen nicht um die Sorge der Impfskeptiker geht, sondern um die Instrumentalisierung von Ängsten. Es geht nicht um die Sache, sie ist nur Mittel zum Zweck. Wäre die Regierung für jene Freiheit, die die FPÖ fordert, würde die FPÖ wohl für Impfungen eintreten. Und so lähmt die Angst vor der FPÖ die Regierung seit Monaten.

Das ist umso problematischer, als dass erstens wichtige Schritte wie sachliche Aufklärung unterbleiben, und zweitens rechte Ideologen die Bevölkerung weiter spalten. Während von der WHO über den Hersteller und Ärzte bis hin zu Apothekern von der Selbstmedikation bei einer Coronavirusinfektion gewarnt wird, betreibt die Freiheitliche Partei – allen voran FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl – ungeniert etwa Werbung für ein Anti-Wurmmittel und irgendwelche Naturmittel. Warum Impfungen verpönt sind, erklärt sich auch historisch. Es ist nämlich kein Zufall, dass gerade in deutschsprachigen Ländern die rechte Hetze gegen Impfstoffe so groß ist. Ein kurzer Blick zurück: es waren einst die Nazis, die gegen die von ihnen abgelehnte jüdisch geprägte „Schulmedizin“ – wie sie diese nannten – an den Medizinuniversitäten auftraten und deutsche Naturmediziner verherrlichten, um eine „Neue deutsche Heilkunde“ zu entwickeln – mit dem Ziel der Gesunderhaltung des „deutschen Volkskörpers“, wie sie es formulierten.

Damals wie heute wurde auf die Verunsicherung in der Bevölkerung aufgebaut. Schon vor der Machtergreifung der Nazis gab es in Deutschland Stimmen, die den naturwissenschaftlichen Charakter der Medizin als zu eng kritisierten. Diese damals offen geführte und sogar als „Krise der Medizin“ bezeichnete Debatte griffen die Nationalsozialisten auf. So gesehen wiederholt sich die Geschichte: der rasante Fortschritt der Medizin seit der Entschlüsselung des Humangenoms, lässt viele Menschen verunsichert zurück. Eine aktuelle Studie der Uni Wien und der Sigmund-Freud-Uni zeigt: 70 Prozent der Impfskeptiker fordern die Gleichstellung von „Schulmedizin“ mit „Alternativmedizin“, ebenso viele wollen mehr „spirituelles und ganzheitliches Denken“ der Gesellschaft, 68 Prozent glauben an natürliche Selbstheilungskräfte bei Corona. Biotechnologie in der Medizin macht unter dem Schlagwort „Genmutation“ Angst – auch wenn sie bereits weit verbreitet ist. Rechte Demagogen versuchen nun die Menschen, darunter auch viele Zweifler in Gesundheitsberufen, auf ihre Seite zu ziehen. Diese drohende Vereinnahmung müssen sich all jene bewusst machen, die an den neuen Impfstoffen oder auch nur der Strategie der Regierung zweifeln.

Wie aber tun? Wie Maßnahmen kritisieren, ohne rechte Impfskeptiker zu bestärken? Viele Menschen haben Ängste und viele Verunsicherte suchen nach Informationen. Sie aufzugeben oder zu bedrängen, treibt sie der Rechten in die Arme. Es braucht deshalb entschlossene Maßnahmen und Aufklärung. Und es braucht auch eine neue Art der Medizin und der Wissenschaft, sich und ihre Ergebnisse zu präsentieren. Sie müssen sich erklären, informieren und zuhören. Das gilt auch für die Regierung: Sie muss auf die Menschen zugehen. Sich einfach nur ruhig zu verhalten, um die rechten Parteien nicht weiter anzustacheln und zu hoffen, dass das Grauen aufhört, ist die falsche Strategie. Und es wird darum gehen, rechte Impfgegner zu demaskieren und zeigen was sie sind: plumpe Demagogen, die selbst nicht davor zurückschrecken unter dem Deckmantel der „freien Entscheidung“ unsinnige Alternativmittel zu empfehlen – auch wenn sie damit Menschen gefährden. (rüm)