Lieferengpässe: Das sind die potenziellen Bruchstellen in Europa

(c) Stefan Seyfert

Nicht nur die Auslagerungen der Produktion nach Asien sind das Problem von Lieferengpässen. Zu bestehenden Schwierigkeiten kamen laut Experten in der Corona-Krise auch die mangelnde Solidarität in EU.

Viele Dutzend nicht lieferbarer Arzneimittelspezialitäten und zeitweise echte Versorgungsengpässe bei wichtigen Medikamenten nach Produktionsausfällen sind in Europa in den vergangenen Jahren nicht nur vorübergehend aufgetreten. Die SARS-CoV-2-Pandemie hat die Problemlage akzentuiert, nicht ursächlich geschaffen, erklärten Experten nun bei einem Online-Round-Table des Generikaverbandes. Die Krise warf demnach ein Schlaglicht auf komplexe Probleme rund um die Arzneimittelversorgung in Österreich und in der EU, auf Ursachen rund um Produktion, Verteilung, gesetzliche Regelungen und die Erstattung der Kosten durch Krankenversicherungen, fasste Christoph Stoller von Medicines for Europe, der Dachorganisation von Generika- und Biosimilar-Herstellern, die Situation zusammen.

Nachahmepräparate würden in Europa 70 Prozent der abgegebenen Mengen ausmachen, aber in Deutschland schon weniger als zehn Prozent der Kosten verursachen. Kein Wunder, dass die Pharmaindustrie aus Kostengründen für die Produktion Unternehmen in China und Indien beauftragt. Doch es gibt jede Menge EU-hausgemachte potenzielle Bruchstellen, die speziell im Krisenfall schlagend werden. Wolfgang Andiel, Präsident des Österreichischen Generika-Verbandes (OeGV), nannte etwa ein aktuelles Beispiel während der Corona-Krise: „Von Italien nach Österreich waren medizinische Produkte schwieriger zu bekommen als aus China.“ Plötzliche Exportsperren für Arzneimittel und medizinische Güter innerhalb des EU-Binnenmarkts verstärkten die bestehenden Probleme.

Und Andiel skizzierte eine Lösung: „Wenn man Fertig-Wirkstoffe und Intermediärstoffe lagert, wäre man wahrscheinlich resistenter.“ Die Crux liegt nämlich auch darin, dass Generika in aller Regel national zugelassen sind. Jedes einzelne EU-Mitgliedsland leistet sich hier eigene Vorschriften für die Packungen, Beipacktexte etc. Das macht den schnellen Transfer von einem Land ins nächste oft schwierig. Eine Möglichkeit wäre die Einführung eines E-Beipacktexts, der in der Apotheke bei Bedarf ausgedruckt werden oder einfach auf das Handy geladen werden könnte. Auch liege das Problem in den Bemühungen von Krankenkassen, billigst zu erstatten oder zu kaufen. „Wir müssen unbedingt davon wegkommen, dass regelhaft der Preis das einzige Kriterium ist“, sagte Stoller. Das gelte für die Preisverhandlungen mit den Krankenkassen genauso wie für Großbestellungen von Krankenhausträgern und sonstigen Institutionen. Auch das Kriterium Lieferfähigkeit müsse da in Zukunft Bedeutung haben. (red/APA)