DGHO 2012: Von der Mutation zum neuen Angriffspunkt zur neuen Therapieoption

Die „Best of the year 2012“-Sitzung wurde in die beiden Kernbereiche Hämatologie sowie solide Tumoren unterteilt. Die wesentlichen Highlights des Jahres 2012 im Bereich der hämatologischen Neoplasien wurden von Professor Carsten Müller-Tidow, Universitätsklinikum Münster, vorgestellt: „Mutationen definieren Erkrankungen, sagen Therapieansprechen voraus und bedingen die Prognose der Erkrankung“, eröffnet Müller-Tidow seinen Vortrag. In den letzten Jahren konnten neue krankheitsdefinierende „Driver“-Mutationen detektiert werden.

Highlights in der Hämatologie 2012

Neue krankheitsdefinierende Mutationen: Die BRAF-Mutation V600E kommt bei der Haarzell-Leukämie in 100 % der Fälle vor, bei anderen lymphatischen Erkrankungen liegt ihre Häufigkeit unter 1 %. Erste Berichte über eine erfolgreiche Behandlung mit dem BRAF-Inhibitor Vemurafenib (noch nicht zugelassen) wurden dieses Jahr in den Journalen Blood und NEJM publiziert (Arcaini L et al., Blood 2012; Dietrich S et al., NEJM 2012).
Auch bei Morbus Waldenström konnte eine krankheitsdefinierende Mutation, MYD88-L265P, entschlüsselt werden (Treon et al., NEJM 2012). Bei diesem Krankheitsbild sind 90 % der Fälle von der Mutation betroffen, bei anderen hämatoonkologischen Erkrankungen (multiples Myelom, CLL, Marginalzonenlymphom) liegt die Zahl dieser Mutation bei < 10 %. MYD88 aktiviert den NF-kappa-­Signalweg.
Die AML ist, so Müller-Tidow, eine klonale Erkrankung mit Subklonen, welche wiederum Rezidive verursachen können. Im Alter kommt es zu einer Zunahme von somatischen Mutationen. Die modernen molekulargenetischen Analysemethoden ermöglichen es nun, genauer als bisher diese tumorrelevanten genetischen Veränderungen zu identifizieren.

Therapeutische Fortschritte: Laut Professor Müller-Tidow war das Jahr 2012 geprägt von therapeutischen Fortschritten vor allem auf dem Gebiet der antikörperbasierten Behandlungsstrategien. Dies zeigte sich am Beispiel von Brentuximab-Vedotin bei CD30-positiven Erkrankungen (anaplastisches großzelliges Lymphom sowie Morbus Hodgkin) sowie von Blinatumomab in der Therapie der minimalen Resterkrankung bei der ALL. Besonders eindrucksvoll sind auch die aktuellen Überlebensdaten beim älteren Patienten mit Mantelzell-Lymphom: Die Therapiestrategie mit R-CHOP als Induktion, gefolgt von einer Rituximab-Erhaltungstherapie ergibt bei primär chemotherapiesensitiven Patienten eine Überlebenszeit von mehr als 70 % nach 5 Jahren – Daten, die bis vor Kurzem unerreichbar schienen (Abb. 1). Einen Überblick der präsentierten Highlights Hämatologie 2012 gibt Tabelle 1.

 

 

 

Highlights der Onkologie 2012

Professor Günther Gastl, Vorstand der Abteilung für Hämatologie und Onkologie an der Universitätsklinik Innsbruck sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (ÖGHO), präsentierte im Rahmen der „Best of 2012“-Sitzung die Highlights aus Sicht der Onkologie. Einen Überblick über die Highlights der Onkologie 2012 gibt Tabelle 2.

 

 

Fortschritte beim NSCLC: Das Überleben von Patienten mit metastasiertem nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom hat sich in den letzten Jahren verbessert. Lagen die Überlebenszeiten zwischen 1980 und 1990 median bei lediglich 4–6 Monaten, so konnten sie ab dem Jahr 2005 auf bis zu 12 Monate gesteigert werden. Seit 2010 liegt nun die Hoffnung in der personalisierten Medizin, hier stehen die zielorientierten Therapien im Vordergrund, betont Professor Gastl. Beim Adenokarzinom sind die wichtigsten heute bekannten Angriffspunkte die Mutationen KRAS und EGFR sowie die ALK-Translokation. Diese nun bekannten molekularen Profile führten unter anderem zur Charakterisierung neuer Zielstrukturen, welche medikamentös beeinflusst werden können (z. B. ROS1 für Crizotinib, MEK1 für Selumetinib). Abbildung 2 zeigt neue, optimierte Therapiealgorithmen beim NSCLC (Adenokarzinom).

 

 

Neues vom HER2+-Mammakarzinom: Die am diesjährigen ESMO in Wien präsentierten Resultate der HERA- sowie der PHARE-Studie konnten deutlich aufzeigen, dass die 12-monatige Therapie mit Trastuzumab der Goldstandard in der Therapie des adjuvanten HER2+-Mammakarzinoms bleibt.
Der Antikörper Pertuzumab bindet an der HER2-Dimerisierungsdomäne (Subdomäne II); in der Phase-III-Studie CLEOPATRA (Baselga et al., NEJM 2012) wurde Pertuzumab in Kombination mit Docetaxel und Trastuzumab versus Docetaxel + Trastuzumab + Placebo bei Patienten mit metastasiertem HER2+-Mammakarzinom in der Erstlinientherapie erfolgreich untersucht. Die Kombination mit dem neuen Antiköper führte zu Ansprechraten von 80 % vs. 69,3 %; es konnte keine erhöhte Kardiotoxizität durch die Hinzunahme von Pertuzumab beobachtet werden. Für Professor Gastl stellt die Kombinationstherapie mit Pertuzumab einen neuen Therapiestandard für Patienten mit HER2+-Mammakarzinom im Stadium IV dar.

Antiangiogenese beim mCRC: Ein wichtiger Eckpfeiler in der Therapie des metastasierten Kolorektalkarzinoms (mCRC) ist das Prinzip der Angiogenesehemmung. Die von Professor Dirk Arnold am ASCO 2012 präsentierten Resultate der TML-Studie bestätigen das Konzept der Weiterführung von Bevacizumab über die Krankheitsprogression hinaus („beyond progression“), gewechselt wurde lediglich die Chemotherapie. Die Studienergebnisse zeigen eine signifikante Verlängerung des Überlebens um 1,4 Monate ab Randomisierung in der ITT-Population. Eine Hoffnung mit dem neuen Multikinase-Inhibitor Regorafenib liegt in der Durchbrechung von Resistenzmechanismen gegenüber antiangiogenetischen Therapien. Die Ergebnisse der CORRECT-Studie (Van Cutsem E, ASCO 2012) lassen vermuten, dass mit Regorafenib eine Substanz verfügbar wird, welche auch nach Standardchemotherapie, Bevacizumabgabe und EGFR-Antikörper-Therapie erfolgreich zum Einsatz kommen kann. Die Substanz hat im September 2012 die FDA-Zulassung erhalten und ist in Europa, so Gastl, über ein Early-Access-Programm erhältlich. Der Multikinase-Inhibitor stellt somit eine neue Therapieoption unabhängig vom KRAS-Status dar.

Fortschritte beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom: Die am diesjährigen ASCO vorgestellte Phase-II-Studie COU-302 (Ryan C et al., ASCO 2012) untersuchte die Gabe von Abirateron im chemotherapienaiven Setting. Sowohl hinsichtlich des primären Studienendpunktes (rPFS) als auch bezogen auf die sekundären Studienendpunkte zeigte sich der Verumarm mit Abirateron gegenüber dem Kontrollarm überlegen. Die Substanz stellt somit laut Professor Gastl eine neue antihormonelle Therapieoption vor Chemotherapie dar.
Enzalutamid (MDV 3100), ein neuer „dreifacher“ oraler Androgenantagonist, bindet stärker als Bicalutamid am Androgenrezeptor und verhindert die Translokation des Rezeptors in den Zellkern sowie dessen Bindung an der DNA. Die Substanz veranlasst im Mausmodell eine Tumorregression beim kastrationsresistenten humanen Prostatakarzinom. Diese Beobachtungen konnten nun in der AFFIRM-Zulassungsstudie eindrucksvoll bestätigt werden (Scher H et al., ASCO 2012). Enzalutamid führte zu einem PFS von 8,3 Monaten (Placebo: 3 Monate). Das Gesamtüberleben betrug im Enzalutamid-Studienarm 18,4 vs. 13,6 Monate im Placeboarm. Laut Professor Gastl zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass eine Androgenblockade beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom auch nach einer Therapie mit Docetaxel effektiv ist.