Mutationen in epigenetischen Regulatorgenen 


Durch die Verfügbarkeit neuer leistungsstarker Technologien zur DNA-Sequenzierung konnten in den letzten Jahren eine Menge neuer Genmutationen bei der akuten myeloischen Leukämie (AML) identifiziert werden. Interessanterweise spielen viele der betroffenen Gene eine wesentliche Rolle in der Regulation epigenetischer Mechanismen. Rezente funktionelle Studien gewähren nun erstmals Einblicke in diese zentralen Mechanismen und ihre pathogenetischen Auswirkungen in der Entstehung myeloischer Neoplasien bei Veränderungen in diesen Genen. In diesem Übersichtsartikel sollen eine Auswahl dieser neuen Mutationen bei der AML und ihre pathogenetischen Konsequenzen, soweit bekannt, genauer besprochen werden.

Maligne Transformation von HSPC

Die akute myeloische Leukämie (AML) entsteht durch die maligne Transformation von hämatopoietischen Stamm- und/oder Vorläuferzellen (HSPC). Diese Erkrankung ist die dominante Form der akuten Leukämie beim Erwachsenen, nimmt in ihrer Häufigkeit mit dem Lebensalter beständig zu und erreicht ihre höchste Inzidenz im siebenten und achten Lebensjahrzehnt. Pathogenetisch entscheidend für die maligne Transformation von HSPC ist die kumulative Ansammlung von erworbenen genetischen Veränderungen, die sowohl chromosomale Abberationen als auch Genveränderungen im Sinne von Mutationen einzelner bis weniger DNA-Basen umfassen. Während in etwas mehr als der Hälfte der AML-Patienten chromosomale Veränderungen gefunden werden können und in diesen Fällen oft auch eine Risikostratifizierung bezüglich Therapieansprechen und Überleben der Patienten möglich ist, zeigt der Rest der Patienten in der zytogenetischen Untersuchung einen normalen Chromosomensatz (Kar­yotyp).


Mutationen in epigenetischen Regulatorgenen: Die Verfügbarkeit neuer leistungsstarker Technologien zur DNA-Sequenzierung hat in den letzten zwei bis drei Jahren die Entdeckung neuer genetischer Aberrationen, insbesondere von Genmutationen, revolutioniert. Dabei nehmen rezente wissenschaftliche Untersuchungen, bei denen zum Teil die gesamte genetische Information von Leukämiezellen einzelner AML-Patienten entschlüsselt wurde, eine Vorreiterrolle in der Identifizierung neuer genetischer Veränderungen ein. Zusätzlich haben diese Untersuchungen erstmals die Möglichkeit geschaffen, die genetische Komplexität einer maligner Erkrankung bzw. in diesem Fall einer akuten Leukämie zu erfassen. Die solcherart neu identifizierten genetischen Veränderungen haben nicht nur die Möglichkeit weiterer Prognosefaktoren eröffnet, sondern bieten neue Erkenntnisse in der Pathogenese der AML und somit mögliche Ansätze für zukünftige Therapien. Von großer Bedeutung ist die Tatsache, dass viele dieser Gene, bei denen eine Mutation bei AML-Patienten rezent entdeckt worden ist (Tab.), eine wesentliche Rolle im Rahmen epigenetischer Regulationsmechanismen spielen. Da viele AML-Patienten eine molekulare Aberration in einem epigenetischen Regulatorgen zeigen, werden diese Mutationen von einigen Autoren als so genannte Klasse-III-Mutationen zusammengefasst (siehe auch Beitrag von Armin Zebisch und Literaturliste). Diese neuen Erkenntnisse erweitern nun das klassische Konzept der AML-Pathogenese, das bislang von einem Zusammentreffen von Mutationen der Klassen I und II ausgegangen ist: Mutationen der Klasse I finden sich in Genen, die für Proteine in (intrazellulären) Signalwegen kodieren und somit einen Wachstumsvorteil der entarteten Zelle bedingen; Veränderungen der Klasse II finden sich in Transkriptionsfaktoren, die zu einer Störung der Differenzierung myeloischer Vorläuferzellen führen. Die Entdeckung der Klasse-III-Mutationen in epigenetischen Regulatorgenen hat nun einen wesentlichen neuen pathogenetischen Mechanismus der Transformation myeloischer Zellen zum Vorschein gebracht.

 

 

Der Begriff „Epigenetik“

Dieser Begriff umfasst alle molekularen Vorgänge, die zu einer veränderten Aktivität der Gentranskription führen und weiter vererbt werden können, ohne dass dabei die DNA-Sequenz selbst verändert wird. Dabei spielen kovalente Modifikationen der DNA-Basen, wie z. B. die Methylierung von Cytosin oder die Modifikation von Histonen eine entscheidende Rolle. Histone bilden den Kern der Nukleosomen und stellen so zusammen mit der DNA die Grundstruktur des Chromatins dar. Abhängig von den Modifikationen einzelner Histone und dem Methylierungsgrad der DNA liegt das Chromatin dicht gepackt vor, oder es kommt zu einer Öffnung der Chromatinstruktur und damit zu einer Genaktivierung. Epigenetische Mechanismen regulieren nicht nur die Vielfalt der Zellen eines Organismus, sondern spielen auch eine wesentliche Rolle in der Entstehung von Neoplasien.

IDH1-, IDH2- und TET2-Mutationen

Mutationen in der Isocitrat-Dehydrogenase (IDH) 1 und 2 beeinträchtigen den gleichen Regulationsmechanismus wie Mutationen in der Methycytosin-Dioxygenase TET2: Die erste wiederkehrende Mutation, die im Rahmen einer vollständigen Sequenzanalyse eines AML-Genoms identifiziert wurde, fand sich im Gen, das für die Isocitrat-Dehydrogenase Typ 1 (IDH1) kodiert. In weiterer Folge wurden bei der AML auch Mutationen im IDH2-Gen gefunden. Die Mutation betrifft jeweils ein hochkonserviertes Arginin (Position 132 in IDH1, Position 140 oder 172 in IDH2), das im Falle einer Mutation zu einer Änderung der Enzymfunktion führt. Während IDH1 im Zytoplasma lokalisiert ist und dort für die Regeneration von NADPH durch die Umwandlung von Isocitrat in α-Keto­glutarat verantwortlich ist, findet man IDH2 in Mitochondrien. Interessanterweise kommt es nicht zu einem Aktivitätsverlust des Enzyms, sondern anstelle von α-Ketoglutarat entsteht aus Isocitrat in der Folge 2-Hydroxyglutarat. Mutationen in den IDH-Genen kommen in ca. 15 % aller AML-Patienten vor und finden sich in bis zu einem Drittel aller AML-Patienten mit normalem Karyotyp. Pathogenetisch entscheidend ist nun die Tatsache, dass der erhöhte Gehalt an Hydroxyglutarat in den Zellen zu einer Hemmung von Enzymen führt, die für die Hydroxylierung der DNA-Base Methylcytosin verantwortlich sind (Abb.).

 

 

In den hämatopoietischen Zellen ist dafür das Enzym TET2 zuständig. Interessanterweise wurden Mutationen in diesem Gen in myeloischen Neoplasien – darunter auch der AML – in einer ähnlichen Frequenz wie IDH-Mutationen gefunden (bis 30 % aller AML mit normalem Karyotyp), wobei entweder IDH- oder TET2-Mutationen, aber niemals beide Mutationen zusammen vorkommen. Im Gegensatz zu den IDH1- und IDH2-Mutationen sind die bislang gefundenen Mutationen in TET2 über das gesamte Gen verstreut und führen so zu einem Funktionsverlust dieser Dioxygenase. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die Hydroxylierung von Methylcytosin eine entscheidende Auswirkung auf den Methylierungsgrad der DNA und somit auf einen wesentlichen epigenetischen Regulationsmechanismus hat, wobei die relevanten betroffenen Gene, die dadurch unterschiedlich methyliert werden, noch nicht identifiziert werden konnten. Obwohl inzwischen bereits mehrere Kohorten bezüglich dieser Mutationen charakterisiert wurden und sich mehrheitlich eine negative Auswirkung auf das Therapieansprechen und die Prognose der AML zeigte, ist die prognostische Bedeutung dieser Veränderungen im Einzelnen noch nicht endgültig geklärt.

Mutationen in der DNA-Methyltransferase 3A

Eine weitere ähnlich häufige Genmutation, die einen wesentlichen epigenetischen Mechanismus beeinflusst, wurde kürzlich für die DNA-Methyltransferase 3A (DNMT3A) beschrieben. Die meisten Patienten mit Veränderungen in diesem Gen zeigen eine Punktmutation, die eine zentrale Aminosäure (Position 882) für die Funktion dieses Enzyms verändert. Ein Teil der Patienten weist jedoch Mutationen in anderen Bereichen des Proteins auf. Das Auftreten von solchen Mutationen ist mit einer myelomonozytären Differenzierung der AML-Zellen assoziiert und hat in den meisten Fällen ein schlechteres Therapieansprechen sowie eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit zur Folge. Während Mutationen in DNMT3A in ca. 20 % aller Patienten mit De-novo-AML vorkommen, konnte unsere Arbeitsgruppe kürzlich eine noch höhere Häufigkeit in Patienten mit sekundärer AML zeigen, die auf dem Boden einer Myelodysplasie bzw. chronisch-myeloproliferativen Erkrankung entstanden ist. In diesen Fällen zeigt ca. ein Drittel aller Patienten eine Veränderung des DNMT3A-Gens. Obwohl die Aktivität des Enzyms durch die Mutationen beeinflusst wird, scheint das Vorliegen einer DNMT3A-Mutation nicht ein einheitliches Methylierungsmuster der DNA in AML-Zellen zu induzieren. So finden sich im Vergleich zwar sowohl hypomethylierte als auch hypermethylierte DNA-Regionen, diese sind jedoch in Patientenproben mit der gleichen Mutation nicht einheitlich ausgeprägt. Daher können auch Proben von AML-Patienten mit DNMT3A-Mutationen mittels Genexpressionsanalyse nicht eindeutig identifiziert werden. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Konsequenzen dieser molekularen Aberration sehr komplex sind und – wenn überhaupt – erst in Ansätzen verstanden werden. Ein erster Hinweis über die Rolle von DNMT3A im Transformationsprozess von HSPC kommt von einem rezent publizierten Mausmodell, bei dem DNMT3A in den hämatopoietischen Zellen fehlt. HSPC dieser Mäuse zeigen nach serieller Transplantation einen Wachstumsvorteil und verdrängen damit normale HSPC.

Veränderungen in histonmodifizierenden Enzymen

Neben diesen Mutationen, die kovalente Modifikationen der DNA beeinflussen, finden sich bei der AML und anderen myeloischen Neoplasien auch Veränderungen in Genen, die für histonmodifizierende Proteine kodieren. Am häufigsten findet man bei der AML Aberrationen im Bereich des MLL-Gens, das für eine Histon-Methyltransferase kodiert. Hier finden sich jedoch keine Punktmutationen, sondern ca. 5 % aller AML-Patienten weisen eine Translokation des Gens auf. Eine Vielzahl von Fusionspartnern des MLL-Gens bei der AML ist bekannt und auch die Stellen der Translokation am MLL-Gen selbst variieren zwischen den Patienten, liegen aber in einem eng begrenzten Bereich. Ein weiteres Gen, das bei myeloischen Neoplasien in mutierter Form vorliegen kann, kodiert für die Histon-Deacetylase EZH2. Mutationen in diesem Gen finden sich zwar nur selten bei Patienten mit De-novo-AML, treten aber häufig bei chronisch-myeloproliferativen Erkrankungen wie der chronischen myelomonozytären Leukämie und der Myelofibrose sowie bei myelodysplastischen Syndromen auf. EZH2 bildet das katalytische Zentrum eines Polycomb-Repressor-Komplexes, der eine zentrale Rolle in der Unterdrückung der Gentranskription spielt.

Die epigenetische Therapie der AML hat bereits begonnen.

Obwohl die Auswirkungen dieser hier beschriebenen epigenetischen Veränderungen in der Pathogenese der AML bislang nur teilweise verstanden werden, werden Medikamente, die epigenetische Regulationsmechanismen beeinflussen, bereits zur Therapie der AML verwendet. So ist das für die AML-Therapie zugelassene 5-Azacytidin ein Inhibitor von DNA-Methyltransferasen und führt nach seinem Einbau zu einer Demethylierung der DNA. Des Weiteren werden derzeit Inhibitoren von Histon-Deacetylasen, wie z. B. Vorinostat, Panobinostat und Valproinsäure in klinischen Studien zur Behandlung der AML getestet. Es ist daher für die nächsten Jahre zu erwarten, dass nicht nur neue Erkenntnisse über epigenetische Regulationsmechanismen und ihrer Störungen unser Verständnis der Pathogenese der AML deutlich erweitern werden, sondern auch die Verfügbarkeit von Medikamenten, die dysregulierte epigenetische Mechanismen gezielt beeinflussen, die Therapie der AML bzw. von myeloischen Neoplasien revolutionieren werden.

Literatur:
– Cimmino L et al., TET family proteins and their role in stem cell differentiation and transformation. Cell Stem Cell 2011; 9:193–204
– Figueroa ME et al., Leukemic IDH1 and IDH2 mutations result in a hypermethylation phenotype, disrupt TET2 function, and impair hematopoietic differentiation. Cancer Cell 2010; 18:553–67
– Fried I et al., Frequency, onset and clinical impact of somatic DNMT3A mutations in therapy-related and secondary acute myeloid leukemia. Haematologica 2012; 97:246–50
– Ley TJ et al., DNMT3A mutations in acute myeloid leukemia. N Engl J Med 2010; 363:2424–33
– Patel JP et al., Prognostic relevance of integrated genetic profiling in acute myeloid leukemia. N Engl J Med 2012; 366:1079–89
– Shih AH, Abdel-Wahab O, Patel JP, Levine RL, The role of mutations in epigenetic regulators in myeloid malignancies. Nat Rev Cancer 2012 Aug 17; 12(9):599–612