Wie viel Medikamenteninteraktion ist verträglich?

Obwohl die meisten klinischen Richtlinien die Monotherapie mit einem „Mood Stabilizer“ für Patienten mit bipolaren Erkrankungen favorisieren, bleibt diese Option für viele Betroffene ein kaum erreichbares Ziel. Die mittlere Anzahl der bipolaren Patienten verschriebenen Psychopharmaka liegt im stationären Bereich bei über drei, auch ambulant werden kaum weniger Medikamente eingesetzt1. Meist handelt es sich um Kombinationen von Lithium oder Valproin – säure mit atypischen Antipsychotika, aber auch Antidepressiva werden in der Praxis regelmäßig eingesetzt. Wegen häufiger Komorbiditäten – insbesondere arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie und Diabetes – erhöht sich die Zahl der gleichzeitig verschriebenen Präparate oft noch weiter. Auch werden von den Betroffenen selbst nicht selten zusätzlich rezeptfreie Medikamente, Nahrungsergänzungsmittel, pflanzliche Heilmittel oder diätetische Präparate eingenommen, die ebenfalls zu Interaktionen beitragen können und deren Einnahme meist nicht berichtet wird, wenn keine explizite Frage danach erfolgt. Schließlich können auch Lifestyle-Faktoren wie Nikotin- und Alkoholgenuss Wechselwirkungen mit Medikamenten auslösen.

Erkennung von Wechselwirkungen: ein Schnittstellenproblem

Die Mehrzahl medikamentöser Interaktionen entsteht nicht etwa durch die Kombination verschiedener Psychopharmaka untereinander, sondern vielmehr durch Zusatzverordnungen anderer (z. B. internistischer) Präparate. Überdies treten die ersten klinischen Symptome einer Wechselwirkung häufig nicht sofort, sondern erst nach einiger Zeit auf – z. B. innerhalb der ersten Wochen nach einem stationären Aufenthalt, sodass etwa „Normwerte“ einer vor der Entlassung durchgeführten Laborkontrolle irreführend sein können.

Es ist daher von großer Bedeutung, eine kontinuierliche Betreuung mit sehr regel- mäßigen Kontrollterminen anzubieten und an dieser Stelle sämtliche Informationen evident zu halten und zu aktualisieren. Eine Liste wichtiger Fragen zu Faktoren mit Gefahr für Wechselwirkungen findet sich in Tabelle 1. Es empfiehlt sich, diese mit den Betroffenen Punkt für Punkt zu besprechen, da eine allgemeine und offen gestellte Frage meist nicht ausreichend beantwortet wird. Nach einer medikamentösen Umstellung sollte in jedem Fall im ersten Folgemonat routinemäßig zumindest eine Kontrolle des EKG, RR, Labor (Blutbild, Elektrolyte, NFP, LFP, TSH, BZ/HbA1c) und Körpergewichts erfolgen, auch wenn die letzten Messungen im Normbereich lagen.

Wichtige Wechselwirkungen mit Lithium

Die potenziell bedrohlichsten Wechselwirkungen entstehen mit Substanzen, die die renale Ausscheidung von Lithium beeinträchtigen und so den Spiegel in den toxischen Bereich heben können. Oft sind dies internistische Medikamente wie Antihypertensiva, Antibiotika, Schmerzmittel, Diuretika und Laxanzien (Tab. 2). Im Beobachtungszeitraum der letzten 5 Jahre war die Lithiumintoxika – tion als Interaktionsfolge mit anderen Medikamenten bereits die zweithäufigste berichtete UAW unter Lithiumtherapie innerhalb des Netzwerks der österreichischen und deutschen Arzneimittelsicherheit in der Psychiatrie (AMPS/ÖAMSP)2. Neben medikamentösen Wechselwirkungen können auch einige Lifestyle- und Ernährungsfaktoren den Plasmaspiegel anheben. Besonders trifft dies auf Umstände zu, die mit Dehydratation einhergehen (exzessives Schwitzen, Sport, Sauna, Diarrhoe) oder die renale Ausscheidung von Lithium behindern können (Koffein/Teein-Reduktion oder -entzug, salzarme Kost, manche Phytotherapeutika).

Die klinischen Symptome einer Intoxikation werden häufig erst spät erkannt und als „depressive Episode“, „kognitiver Abbau“ oder „unspezifischer Infekt“ fehlgedeutet. Es sollte selbstverständlich sein, dass bei jedem neuaufgetretenen körperlichen oder psychischen Symptom eine Spiegelkontrolle veranlasst wird. Bei der Interpretation des Plasmaspiegels ist zu beachten, dass gerade bei älteren Patienten und bei vorgeschädigtem ZNS typische Intoxikationssymptome in einigen Fällen auch schon im „therapeutischen Referenzbereich“ auftreten können und die Diagnose einer Lithiumintoxikation daher primär klinisch zu stellen ist. Die Kardiotoxizität von Lithium kann durch einige Substanzen verstärkt werden. Besonderes Augenmerk ist dabei auf Substanzen zu legen, welche die QTc-Zeit verlängern können und so das Risiko für eine Torsade-de-pointes-Arrhythmie vergrößern (H1-Blocker, trizyklische Antidepressiva, zahlreiche Antipsychotika u.v.m.). Einen guten Überblick hierzu bietet die nichtkommerzielle Webseite www.torsades.org. Bei Risikokombinationen sollten in jedem Fall engmaschige EKG-Kontrollen erfolgen. Manche Substanzen erhöhen das Risiko für Neurotoxizität und für die Entstehung eines Serotonin-Syndroms. Hierzu zählen alle Medikamente mit serotoninerger Wirkung (unter anderem SSRI, SNRI, trizyklische Antidepressiva, Opioide, Appetitzügler vom Fenfluramin-Typ, Triptane), aber auch einige Antipsychotika (z. B. Haloperidol) und Stoffe, die als „Nahrungsergänzungsmittel“ oder pflanzliche Heilmittel vertrieben werden (z. B. Johanniskraut, Trytophan). Komplikationen sind insgesamt eher selten, können jedoch im Einzelfall lebensbedrohliches Ausmaß annehmen (Tab. 2).

Wichtige Wechselwirkungen mit Antiepileptika als „Stimmungsstabilisierer“

Valproinsäure: Die häufigsten durch Wechselwirkung bedingten UAW von Valproinsäure beziehen sich auf eine Verstärkung der hepatotoxischen und neurotoxischen Wirkung. Relativ wenig beachtet und bekannt, tritt bei bipolaren Patienten unter Valproat-Therapie in bis zu 50 % aller Fälle eine Hyperammonämie auf, die durch eine Störung der Leberfunktion bedingt ist und deren Entstehung oft durch Kombinationen mit zusätzlich potenziell hepatotoxischen Medikamenten begünstigt wird3.

Sie kann klinisch stumm verlaufen und muss nicht immer mit einer Erhöhung der Leberfunktionsproben einhergehen (!). In einigen Fällen können aber auch Symptome einer hepatischen Enzephalopathie entstehen. Sind diese nur mild ausgeprägt, können diskrete Koordinationsstörungen oder verhältnismäßig leichte kognitive Funktionseinbußen das klinische Bild beherrschen und als subdepressive Stimmungslage fehlgedeutet werden. In schweren Fällen kann jedoch auch eine lebensbedrohliche Enzephalopathie resultieren.

Als Risikokombination gilt unter anderem die gleichzeitige Verschreibung von Topiramat und Carbamazepin. Letzteres führt zusätzlich durch Enzyminduktion zu einer Veränderung des Valproat-Metabolismus mit höheren Konzentrationen eines hepatotoxischen Metaboliten. Umgekehrt beeinflusst auch Valproinsäure den Metabolismus von Carbamazepin und kann dessen Toxizität erhöhen. Salicylate, insbesondere Aspirin, verdrängen Valproinsäure aus der Plasmaeiweißbindung und können so zu höheren Konzentrationen der frei verfügbaren Fraktion mit mehr Nebenwirkungen führen. Ein ähnlicher Mechanismus wird auch für die Kombination mit Risperidon angenommen. Die routinemäßige Überprüfung des Valproinsäure-Plasmaspiegels ist in diesem Fall irreführend (!), da in der Regel nur die Gesamtkonzentration angegeben wird, die unverändert bleibt.

Besondere Vorsicht ist geboten bei der gleichzeitigen Verschreibung von Lamotrigin. Valproinsäure reduziert dessen Metabolismus und führt somit zu einer Erhöhung des Spiegels und des Risikos für UAW – insbesondere von potenziell lebensbedrohlichen Hautreaktionen. Allgemein wird empfohlen, die Dosierung von Lamotrigin zu halbieren und die Zeit des Auftitrierens auf das Doppelte zu verlangsamen (Tab. 3).

Carbamazepin ist ein klassischer Enzyminduktor, insbesondere am CYP4503A4, jedoch in geringerem Maße auch an anderen Cytochromsystemen. Auf diesem Weg kann der Serumspiegel zahlreicher Medikamente verändert werden, deren Liste kaum vollständig abdruckbar ist. Bei einer Neueinstellung empfiehlt sich daher in jedem Fall eine Rückversicherung durch eine elektronische Datenbank (z. B. die kostenfreie Online-Ressource www.drugs.com) und die Serumspiegelkontrolle vor und nach Medikation.

Wichtig ist die Aufklärung aller Patientinnen im gebärfähigen Alter, dass durch Enzyminduktion die sichere Wirksamkeit oraler Kontrazeptiva verhindert wird. In umgekehrter Weise kann eine Hemmung des CYP4503A4 zu toxischen Carbamazepinspiegeln führen. Derartige Komplikationen wurden bei Kombination mit Makrolidantibiotika und Verapamil beschrieben. Ein regelmäßiger Konsum von Baldrian, Gelbwurzel oder Ginseng kann gleichartige Effekte aufweisen.

Lamotrigin: Die wichtigste Wechselwirkung mit Praxisrelevanz besteht bei einer Kombination mit Valproinsäure. Diese hemmt den Abbau von Lamotrigin und kann zu erhöhten Spiegeln und damit einem erhöhten Risiko für Hautreaktionen führen. Allgemein wird empfohlen, bei einer entsprechenden Kombinationstherapie die Lamotrigindosis zu halbieren und die Titrationszeit zu verdoppeln.

Wichtige Wechselwirkungen mit Antidepressiva

Die am häufigsten verschriebenen Antidepressiva bei bipolaren Erkrankungen sind SSRI und Bupropion. Bei Therapieresistenz werden jedoch auch regelmäßig SNRI und verschiedene Kombinationen eingesetzt, sodass insgesamt routinemäßig einige Dutzend Substanzen verwendet werden und theoretisch eine Vielzahl an Wechselwirkungen auftreten können. Auf Trizyklika sollte wegen ihrer geringeren Wirksamkeit bei bipolarer Depression, aber auch wegen ihres un – günstigeren Neben- und Wechselwirkungsprofils wenn möglich verzichtet werden.

Serotonin-Syndrom: Das serotoninerge Syndrom als Komplikation ist insgesamt selten, jedoch unter Umständen vital bedrohlich mit Hyperthermie, neuromuskulären und vegetativen Symptomen. Risiko – erhöhend wirkt sich die Kombination verschiedener serotoninerger Substanzen miteinander aus (Tab. 2).

Hyponatriämie: Erniedrigtes Serum-Natrium findet sich unter antidepressiver Medikation bei bis zu 28 % aller Patienten und stellt somit eine der häufigsten UAW für die Substanzgruppe überhaupt dar4. Die klinischen Symptome entwickeln sich allerdings in der Regel eher langsam über Wochen und werden daher häufig vom „Erstbehandler“ nicht mehr gesehen. Im Vordergrund stehen oft Lethargie, körperliches Unwohlsein (insbesondere gastrointestinale Beschwerden) und depressive Verstimmung. Diese werden nicht selten im Rahmen einer Kontrollvisite vom Nachbehandler als „depressiver Rückfall“ fehlinterpretiert. Später entwickeln sich Cephalea und kognitive Störungen.

Wird keine Therapie eingeleitet, kann ein lebensbedrohlicher Zustand resultieren. Das Risiko ist erhöht durch Polypharmazie mit Thiaziddiuretika, Carbamazepin und Oxcarbazepin, ACE-Hemmer und NSAR – allesamt Substanzen, die wegen der überdurchschnittlich häufigen Komorbidität mit metabolischem Syndrom und kardiovaskulären Erkrankungen bei bipolaren Patienten häufig in Verwendung sind. Als allgemeine Regel ist es daher empfehlenswert, in den ersten Wochen nach Einstellung auf Antidepressiva in jedem Fall eine Laborkontrolle inklusive Bestimmung der Elektrolyte zu veranlassen.

Wichtige Wechselwirkungen mit atypischen Antipsychotika

Prokonvulsives Potenzial: Alle Antipsychotika können die Krampfschwelle senken. Eine Kombination mit anderen prokonvulsiven Substanzen kann daher problematisch sein. Dies ist insbesondere zu beachten, wenn gleichzeitig mit dem Antidepressivum Bupropion behandelt wird. Vor allem in höherer Dosierung und bei Kombinationen sind EEG-Kontrollen empfehlenswert.

Reizleitungsstörungen: Viele Antipsychotika führen zu einer Beeinträchtigung der Reizleitung am Herz (QTc ),und verstärken das Risiko für Arrhythmien. Einige Substanzen können synergistisch wirken, insbesondere Makrolidantibiotika und Fluoroquinolone, aber auch SSRI/ SNRI und Lithium. Allgemein sollte daher vor und nach Neueinstellung auf Antipsychotika eine EKG-Kontrolle erfolgen, desgleichen bei Zusatzverordnung von Medikamenten mit Risikopotenzial.

Lifestyle-Faktoren mit möglichen „Wechselwirkungen

Nikotin induziert das CYP4501A2 und kann zu einer starken Verminderung der Plasmaspiegel verschiedener Medikamente führen. Besonders relevant ist diese Interaktion bei bipolaren Patienten unter anderem für Olanzapin, Clozapin, zahlreichentrizyklischen Antidepressiva und Agomelatin.

Klinisch noch bedeutsamer ist jedoch ein eventueller Wegfall der gewohnten Enzyminduktion im Rahmen eines gewollten oder ungeplanten Nikotinentzugs, der in umgekehrter Weise zu einem massiven, unter Umständen vital bedrohlichen Anstieg der Plasmaspiegel von CYP4501A2- Substraten führen kann (Rhythmusstörungen, massiver Blutdruckabfall, Neurotoxizität, Kardiotoxizität). Eine genaue Kenntnis der Rauchgewohnheiten und eventueller Veränderungen und die Aufklärung der Betroffenen gehören daher zu den unbedingt notwendigen Bedingungen für die qualitativ hochstehende Betreuung im Sinne der Medikamentensicherheit.

Alkohol: Der gelegentliche oder regelmäßige Gebrauch von Alkohol ist gerade bei bipolaren Patienten eine klinische Realität. Jede Substanz mit ZNS-dämpfender Wirkung – darunter zahlreiche atypische Antipsychotika, Mood Stabilizer (Lithium, Antiepileptika) – können in dieser Wirkung verstärkt werden. Patienten sollten über den möglichen Effekt aufgeklärt werden und mit Blick auf rechtliche Konsequenzen die Aufklärung auch dokumentiert werden.

Diät, Nahrungsergänzungsmittel und Phytotherapeutika: Es gibt wohl kaum bipolare Patienten, die nicht zu irgend – einem Zeitpunkt auch auf komplementär – medizinische Methoden zurückgreifen. Johanniskraut ist rezeptfrei erhältlich und wird häufig als vermeintlich „harmloser, pflanzlicher Stimmungsaufheller“ verwendet. Es induziert jedoch, ähnlich wie Carbamazepin, das CYP4503A4- Sys tem und kann so den Plasmaspiegel zahlreicher Medikamente senken. Sein serotoninerger Effekt kann bei gleichzei – tiger Verwendung anderer gleich wirk – samer Substanzen (Tab. 2) die Entstehung eines Serotoninsyndroms begünstigen.

Jede Form von Diät kann Plasmaspiegel verändern und sollte daher ausschließlich unter ärztlicher Kontrolle und Plasmaspiegelbestimmung erfolgen. Salzrestriktion führt zu einer Verminderung der Lithiumausscheidung, ebenso können einige Phytotherapeutika mit diuretischer Wirkung (Wacholder, Löwenzahn u.v.a) den Lithiumspiegel relevant anheben. Zahlreiche pflanzliche Heil- oder Nahrungsmittel unserer oder anderer Kulturkreise besitzen enzyminduzierende oder -hemmende Wirkung (z. B. Baldrian, Gelbwurz, Grapefruit) oder wirken potenziell hepato- und nephrotoxisch, sodass die Ausscheidung von Medikamenten behindert werden kann. Es empfiehlt sich daher, alle Patienten über mögliche Wechselwirkungen auch durch komplementärmedizinische Mittel aufzuklären, spezifisch nach deren Gebrauch zu fragen sowie regelmäßige Laborkontrollen zu veranlassen. Die für bipolare Patienten empfohlenen Kontrolluntersuchungen werden in den Tabellen 4 und 5 aufgelistet5.

1 Mojtabai R et al., Arch Gen Psychiatry 2010; 67:26-36

2 Mühlbacher M, Bipolar Symposium Innsbruck 2011, 20. Mai

3 Raja M, Azzoni A, Valproate-induced hyperammonaemia. J Clin Psychopharmacol 2002; 22:631-633

4 Egger C et al., International Journal of Psychiatry in Clinical Practice 2006; 10(1):17/26

5 Mühlbacher M, Bipolare Erkrankungen. UNIMED Science, 2009