Cranberrys bei Harnwegsinfektionen

Kaum eine Pflanze hat in der Urologie so lange für anhaltende Diskussionen gesorgt wie die Cranberry. Cranberrys entfalten ihre Wirkung als präventives Mittel gegen Harnwegsinfekte durch hohe Konzentrationen von Proanthocyanidin. Die vermutete Wirksamkeit bei HWI erfolgt über zwei zentrale Mechanismen: Proanthocyanidine (PAC) zeigen eine antiadhäsive Wirkung gegen die P-Fimbrien des Uropathogens E. coli und hemmen damit die für das Bakterium typische Anhaftung an Urothelzellrezeptoren. Infolgedessen wird die Motilität des Bakteriums beeinträchtigt und seine Besiedlung verhindert.1 Diese antiadhäsive Eigenschaft führt außerdem zu einer Anti-Biofilm-Aktivität, die besonders gegen Pseudomonas aeruginosa wirksam ist.2
Es gibt zahlreiche Gründe, warum der Einsatz eines Phytopharmakons in Zukunft bei ausgewählten Patientengruppen bevorzugt werden sollte. Die herkömmliche Prophylaxe mit langfristiger Antibiotikagabe hat vor allem Nebenwirkungen auf das Mikrobiom. Dazu gehören Dysbiosen im vaginalen Mikrobiom und im Magen-Darm-Trakt. Darüber hinaus werden die Zunahme multiresistenter Bakterien und die Stagnation der pharmakologischen Forschung auf dem Gebiet der Antibiotikaentwicklung unsere Gesellschaft in Zukunft vor sozioökonomische Probleme stellen, wenn nicht ein Umdenken stattfindet.3

Neues Cochrane-Review

Neue Ergebnisse aus einem Cochrane-Review von Williams et al. lassen aufhorchen.4 In das Review wurden 50 randomisierte kontrollierte Studien mit insgesamt 8.857 Patient:innen zur Wirksamkeit von Cranberry-Produkten bei der HWI-Prävention eingeschlossen. Es handelt sich um die fünfte Aktualisierung und Erweiterung einer Arbeit, die erstmals 1998 veröffentlicht wurde. In der früheren Veröffentlichung im Jahr 2012 konnten die Autor:innen keine eindeutige Empfehlung für die Verwendung von Cranberry-Produkten aussprechen.5 Die aktuelle Auswertung der Studie 2023, die zusätzlich 26 weitere Studien in die statistische Auswertung einschloss, ergab eine deutliche Änderung der Stellungnahme.

Die erweiterten Daten unterstützen nun die Anwendung von Cranberry-Produkten in drei speziellen Patientengruppen: Frauen mit wiederkehrenden HWI, Personen, die nach Eingriffen zu Harnwegsinfektionen neigen, und Kinder. Es sei jedoch angemerkt, dass das vorliegende Review von 2023 noch unzureichende Daten für die Anwendung bei älteren Menschen, Schwangeren oder Patient:innen mit Blasenentleerungsstörungen lieferte. Als weiterer positiver Aspekt der Produkte: In puncto Verträglichkeit wurden keine schwerwiegenden unerwünschten Nebenwirkungen beobachtet. Es wurden lediglich leichte gastrointestinale Nebenwirkungen festgestellt, die in gleicher Anzahl auch in der Placebogruppe auftraten.5, 6
Die aktuelle Datenlage hält sich bedauerlicherweise hinsichtlich einer konkreten Dosierungsempfehlung stark zurück. Die am häufigsten in der Literatur empfohlene Mindestdosierung, die sich in vitro als erfolgreich erwiesen hat, enthält 36 mg Proanthocyanidine oder 300mg Cranberry-Extrakt in flüssiger oder fester Form. Zusätzlich wird in den Studien zwischen der Verabreichung von Saft und Tabletten unterschieden, wobei sich hier kein Vorteil für eine der beiden Darreichungsformen zeigte.2, 3, 7, 8 Ebenfalls anzumerken ist, dass eine Steigerung der Dosierung nicht mit einer erhöhten Wirksamkeit vergesellschaftet war.5
Es bleibt abschließend zu beachten, dass Studien, welche die Wirkung von Cranberry-Produkten untersucht haben, eher von kurzer bis mittlerer Dauer angelegt waren; typischerweise über einen Zeitraum von mehreren Wochen bis zu einigen Monaten. Die Daten zur Langzeiteinnahme sind bis dato äußerst begrenzt und erfordern weitere umfangreiche Studien in den kommenden Jahren. Von Bedeutung ist ebenfalls die weitere Sammlung von Daten, die den Vergleich zwischen langzeitniedrigdosierten Antibiotika und Cranberry-Produkten in der HWI-Prävention näher untersuchen. Denn bei Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlichen Standes wird ersichtlich, dass Cranberry-Produkte im Vergleich zu niedrigdosierten Antibiotika lediglich eine begrenzte Wirkung im präventiven Setting von symptomatischen Harnwegsinfektionen aufweisen.5