EAU: Aktuelles, Trends, Wendungen: Auf das uroonkologische Tapet gebracht

Prostatakarzinom

Screening: Seit Jahren gibt es eine Vielzahl offener Fragen rund um den medizinischen und gesundheitsökonomischen Nutzen eines Screenings zur Früherkennung von Prostatakarzinomen.
Im Jahr 2009 berichteten die Autoren der ERSPC-Studie (Schröder F et al., NEJM 2009) über eine Reduzierung der relativen Prostatakrebssterblichkeit um mindestens 20 % durch einen jährlichen PSA-Test an 162.000 asymptomatischen Männern im Alter zwischen 55 und 69 Jahren. Die EAU schloss sich den Schlussfolgerungen der ERSPC-Studie (European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer) an und anerkannte den Nutzen von Screeningmaßnahmen im Hinblick auf die Senkung der prostatakarzinombedingten Todesrate, sieht jedoch auch die unerwünschten Wirkungen in Form von Überdiagnose und Übertherapie von Prostatakarzinomen, die erstmals im Rahmen einer randomisierten Screeningstudie quantifiziert werden konnten. Zur Fortführung der Diskussion wurde die Veröffentlichung weiterer relevanter Daten durch die Forschergruppe der ERSPC-Studie erwartet. Am EAU 2012 präsentierte Prof. Dr. Fritz Schröder, internationaler Koordinator der ERSPC ein Update. Die längere Nachbeobachtung brachte nun durch ein Screening eine marginale 1%-ige Zunahme des Überlebensvorteils (von 20 % auf > 21 %) zutage. Laut Expertenmeinung bleibt trotz nachgewiesenem, eindeutigem prostatakarzinomspezifischen Überlebensvorteil das Problem, mittels Screening auch insignifikante Tumoren zu entdecken (Überdiagnostik).

Neue Therapien für das kastrationsresistente PCa

Abirateron: Zu Abirateron wurden Subgruppenanalysen präsentiert, die unter anderem zeigen, dass bei kastrationsresistenten Prostatakarzinompatienten (CRPC) auch in der Altersgruppe > 75 Jahre ein ausgeprägter Vorteil in Hinsicht auf das Gesamtüberleben vorhanden ist. Die präsentierten Subgruppenanalysen bezogen sich auf die Zulassungsstudie mit dem Einsatz von Abirateron nach Docetaxel-Chemotherapie. Die urologische Community (siehe Interview mit A. Heidenreich) erwartet noch in diesem Jahr die Daten zum Einsatz von Abirateron vor Docetaxel-Chemotherapie. Die Ergebnisse könnten die Therapiesequenz neu bestimmen.

Kostendiskussion: Eine Diskussion brachte die Kosten onkologischer Therapien auf das Tapet. In Großbritannien etwa wird Abirateron vom National Health Service (NHS) nicht erstattet, weil die Lebensverlängerung von etwa 4 Monaten als zu gering erachtet wird. Kritik wurde an den Regulationsbehörden geäußert, diese würden durch die immer höheren Hürden zu den hohen Kosten für die Medikamentenzulassung beitragen.

Cabazitaxel: Nach der Zulassung der Substanz als Zweitlinientherapie beim metastasierten kastrationsresistenten PCa blieb der Nachgeschmack der hämatologischen Nebenwirkungen (z. B. Leukopenie, Neutropenie oder Thrombozytopenie). Von Urologenseite wurde auf Basis von Compassionate-use-Programmen festgehalten, dass mit der zunehmenden Anwendungserfahrung auch die Toxizitäten in der Praxis geringer werden.

MDV3100 ist ein Androgenrezeptorantagonist, der zusätzlich die Translokation des aktivierten Androgenrezeptors in den Zellkern verhindert und zur Therapie des kastrationsresistenten PCa äußerst positiv bewertet wurde. Wie schon zuvor am ASCO GU (Genitourinary Cancer) wurden nun auch auf dem EAU die Phase-III-Daten zu MDV3100 nach Chemotherapie gezeigt – mit einem Überlebensvorteil von mehr als 4 Monaten bei gleichzeitig sehr geringer Toxizität.

Alpharadin ist ein Radiopharmakon mit Radium-223-Chlorid als Wirkstoff zur Behandlung von kastrationsresistenten PCa-Patienten mit symptomatischen Knochenmetastasen. Phase-III-Daten brachten einen Überlebensvorteil von 2,8 Monaten. Mit großem Echo wurde die signifikante Reduktion von Knochenfrakturen aufgenommen. Ein Fragezeichen bleibt, wo in der Therapiefolge der Strahler eingebaut wird.

TAK-700: Zu TAK-700, einem selektiven, oralen, nichtsteroidalen Androgensyntheseinhibitor mit ähnlichem Wirkmechanismus wie Abirateron, wurde eine Phase-II-Studie zur Sicherheit und Effektivität bei nichtmestastasierten kastrationsresistenten PCa-Patienten mit steigendem PSA-Wert präsentiert. Parallel laufen derzeit Phase-III-Studien (bei chemonaiven Patienten und bei Patienten nach Docetaxel-Therapie mit mCRPC), für die die Rekrutierung im Sommer abgeschlossen sein wird. Mit ersten Daten ist laut Prüfärzten in einem Jahr zu rechnen.

Degarelix: Die Phase-IIIb-Studie CS30 bewertete die Anwendung des GnRHRezeptorblockers Degarelix als neoadjuvante Hormontherapie bei PCa-Patienten mit mittlerem bis hohem Risiko. Hintergrund: eine kürzlich veröffentlichte Überblicksstudie zeigt, dass die Androgendeprivationstherapie (ADT) vor der Strahlentherapie die krankheitsspezifische Mortalität und das Gesamtüberleben im Vergleich zur Strahlenmonotherapie bei Männern mit lokalisiertem Prostatakarzinom mit hohem Risiko oder lokal fortgeschrittenem PCa verbessert (Payne H, Mason M, BJC 2011; 105:1628– 1634). Die in einer Late-breaking- News-Sitzung vorgestellten Ergebnisse der CS30-Studie in Woche 12 zeigten im Hinblick auf das Schrumpfen der Prostata die Nichtunterlegenheit von Degarelix im Vergleich zu Goserelin und Bicalutamid (mittlere prozentuale Veränderung des Prostatavolumens: –36,0 % mit Degarelix vs. –35,3 % mit Goserelin und Bicalutamid) bei Patienten mit fortgeschrittenem, hormonabhängigen PCa. Zusätzlich war unter Therapie mit Degarelix die Linderung der Symptome des unteren Harntrakts (LUTS) stärker ausgeprägt als bei Goserelin plus Bicalutamid.

Hodentumor

In dieser Indikation wurden zwei Studien zum klinischen Stadium I präsentiert, in denen es um die Frage ging, ob man Hodenkrebspatienten die Chemotherapie ersparen könnte. Die größte Gruppe mit Keimzellentumoren sind Patienten mit Nichtseminom im Stadium I (45 %). Abhängig von Risikofaktoren gibt es verschiedene Therapieoptionen. Im Fall einer vaskulären Invasion des Primärtumors liegt das Rezidivrisiko bei etwa 50 %. Liegt dies nicht vor, beträgt das Rezidivrisiko rund 12 %. Die Frage ist, wie man die Gruppe der Patienten, die chemotherapeutisch behandelt werden muss, noch weiter reduzieren kann. Nicolai et al. untersuchten in diesem Zusammenhang die laparoskopische Lymphadenektomie bei Patienten im klinischen Stadium I. Als finales Ergebnis zeigte sich, dass damit ein Staging akkurat erfolgen kann und nur 2,2 % der Patienten, die als PN0 bewertet werden, im Verlauf der Erkrankung rezidivieren, d. h. man könnte einem Teil der Patienten auf diese Weise die Chemotherapie ersparen.

Harnblasenkarzinom

Die neoadjuvante Chemotherapie beim muskelinvasiven Harnblasenkarzinom wird kritisch betrachtet. Während eine Cisplatin-basierte Chemotherapie im metastasierten Setting Einsatz findet, wird um deren neoadjuvante Bedeutung (vor der Zystektomie und/oder Strahlentherapie) diskutiert. 2011 wurden die Phase-III-Daten der EORTC/MRC-Studie 30894/BA06 mit einem medianen Follow-up von 8 Jahren publiziert. Demnach verbesserte die neoadjuvante Therapie das Patientenoutcome signifikant (verglichen wurden 3 Zyklen CMV vs. keine neoadjuvante Chemotherapie) mit einer Steigerung des 10-Jahres-Überlebens von 30 % auf 36 %. Am EAU 2012 wurde erneut die Frage diskutiert, ob jeder Patient mit muskelinvasivem Blasenkarzinom eine neoadjuvante Chemotherapie erhalten soll. Ähnlich wie bei der adjuvanten Chemotherapie besteht das Problem, dass ein Gutteil der Patienten für die neoadjuvante Therapie nicht geeignet ist. Der neoadjuvante Einsatz wird trotz der derzeit bestehenden Evidenz in der urologischen Community kritisch gesehen. Andere Stimmen kommen aus den onkologischen Reihen, wonach die Option einer neoadjuvanten Chemotherapie vor Zystektomie allen Patienten mit muskelinvasivem Blasentumor gegeben werden sollte (Editorial Bajorin D und Herr H in JCO 2011; 29(16):2135–2137).

Nierenzellkarzinom

Neue Daten zum operativen Vorgehen: Hier zeigte sich, dass die Nierenteilresektion, die zur Tumorkontrolle ebenso effektiv ist wie die Nephrektomie und auch bei größeren Tumoren angewandt werden kann, nach wie vor zu wenig eingesetzt wird. Am EAU präsentierte Daten belegen erneut, dass die Nierenteilresektion heute schonender als in der Ver – gangenheit durchgeführt werden kann. Mit der an hochspezialisierten Zentren durchgeführten roboterassistierten Nierenteilresektion kann heute die Operation am durchbluteten Organ vorgenommen und damit die Ischämiezeit beinahe auf null gehalten werden.

Früherkennung: Früherkennung ist für Nierenzelltumorpatienten wesentlich, Screeningdaten existieren aber nicht. Aus dem schwedischen Krebsregister vorgestellte Daten zeigen, dass sich deutlich mehr als ein Drittel der Patienten zum Zeitpunkt der Operation bereits in einem metastasierten oder lokal fortgeschrittenen Tumorstadium befinden. Vergleichbare Zahlen kommen aus den USA, auch hier war der Anteil der fortgeschrittenen Stadien deutlich höher als erwartet. Dies spricht dafür, dass man der Früherkennung einen noch höheren Stellenwert einräumen sollte. Da es im metastasierten Stadium keine Heilung gibt, erachten Experten eine einmal jährliche Nierensonographie als sinnvolle Früherkennungsmaßnahme.

 

Der EAU 2013 findet vom 15.–19. März in Mailand statt