Biobank für Erwachsene mit primärer Immunthrombozytopenie: Jährlich etwa 240 Neuerkrankungen in Österreich

Die ITP ist eine Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer Thrombozytopenie aufgrund eines vermehrten Thrombozytenabbaus und einer verminderten Thrombozytenbildung kommt.1 Die Inzidenz der ITP liegt bei Erwachsenen bei 0,2–0,4/10.000 Einwohner/Jahr, wobei in Österreich mit ungefähr 240 Neuerkrankungen pro Jahr zu rechnen ist.2, 3 Die Prävalenz eines chronischen Verlaufs der Erkrankung mit einer Dauer von > 12 Monaten liegt bei ungefähr 2/10.000 Erwachsenen. Dieses seltene Auftreten qualifiziert die ITP als seltene Erkrankung. In ungefähr 80 % der Fälle tritt die ITP als primäre Erkrankung ohne bekannte zugrundeliegende Ursache auf. Die Diagnose einer primären ITP kann folglich nur nach Ausschluss bekannter assoziierter Erkrankungen erfolgen.1 Der sekundären ITP zu Grunde liegende Erkrankungen umfassen unter anderem hämatologische Systemerkrankungen wie die chronisch lymphatische Leukämie oder Lymphome, rheumatologische Erkrankungen wie den systemischen Lupus erythematodes und infektiöse Ursachen wie eine Infektion mit HIV oder HCV.

Die Symptomatik der ITP variiert je nach Schweregrad der Thrombozytopenie. Blutungen treten zumeist erst bei schwerer Thrombozytopenie vor allem in Form von Haut- und Schleimhautblutungen auf, eine Thrombozytopenie kann aber auch als Zufallsbefund bei asymptomatischen Patienten diagnostiziert werden.2 Generell korreliert die individuelle Blutungsneigung oftmals schlecht mit der Thrombozytenzahl, sodass weitere wesentliche, bisher weitgehend unbekannte Einflussfaktoren vermutet werden.4

Inside Biobank

Aufgrund des seltenen Auftretens der primären ITP und einer bisher fehlenden, systematischen Erfassung und Analyse dieser Patienten gibt es bisher wenige bis keine Informationen zu klinischen Patientencharakteristika, Krankheitsverläufen und der Behandlungspraxis in Wien oder Österreich. Um diesem Missstand zu begegnen, wurde im Jahr 2016 die „ITP Biobank zur Erfassung und Charakterisierung von Patienten mit primärer Immunthrombozytopenie und Evaluierung möglicher prädiktiver Faktoren für den Krankheitsverlauf“ an der Medizinischen Universität Wien etabliert. 2018 konnte als weiteres ITP-Zentrum mit Oberarzt Dr. Michael Fillitz das Hanusch-Krankenhaus der WGKK als Kooperationspartner gewonnen werden.

Aktuell 60 Patienten in der ITP-Biobank: Generell stellt eine Biobank eine Sammlung von Proben verschiedener menschlicher Substanzen dar, die mit Daten und Informationen der Spender verknüpft werden können. Von jedem Patienten muss vor Asservierung des Probenmaterials eine schriftliche Einverständniserklärung eingeholt werden („informed consent“). An der Biobank der Medizinischen Universität werden derzeit ungefähr 50 Probensammlungen nach ISO-9001: 2008-zertifizierten Standards betreut. Europaweit operieren annähernd 200 Biobanken.
Ein- und Ausschlusskriterien der Biobank für Erwachsene mit primärer Immunthrombozytopenie sind in der Tabelle zusammengefasst. Die Patientenpopulation wird in zwei Gruppen mit unterschiedlichen Kontrollintervallen eingeteilt: Gruppe 1 schließt Patienten mit neu diagnostizierter ITP ein und Gruppe 2 Patienten mit bekannter primärer ITP mit und ohne laufende Behandlung. Studien-Nachfolgeuntersuchungen finden in Gruppe 1 nach 1 Woche, 1 und 3 Monaten, 1 Jahr und dann jährlich statt. Patienten mit bekannter ITP (Gruppe 2) werden 1-mal jährlich im Rahmen eines Routinebesuchs kontrolliert. Bei jedem Studienbesuch wird eine allgemeine Anamnese unter Verwendung eines standardisierten Fragebogens erhoben. Die individuelle Blutungsneigung wird mittels zweier unterschiedlicher Blutungsfragebögen (bleeding assessment tools, BATs) dokumentiert, von denen einer ITP-spezifisch ist (ISTH ITP-BAT).5–7 Neben einer Vielzahl von Routineuntersuchungen, die vorwiegend der Bestätigung der Diagnose einer primären ITP dienen (unter anderem Blutbild aus EDTA und Citratblut, Blutausstrich, Gerinnung, klinische Chemie, Immunologie, Virologie), wird im Rahmen einer Routineblutabnahme auch Blut zu Studienzwecken abgenommen. Aus einem Teil dieser Proben werden periphere mononukleäre Zellen (PBMCs) im Forschungslabor der Abteilung für Hämatologie, Klinik für Innere Medizin I isoliert und dort aufbewahrt. Im Thrombozytenlabor der Abteilung für Blutgruppenserologie und Transfusionsmedizin, Medizinische Universität Wien, erfolgt die Untersuchung der Thrombozytenfunktion mittels P-selectin-Expression in vivo und nach In-vitro-Zusatz von Agonisten. Ein Teil der Proben wird in der Biobank für weitere Untersuchungen aufbewahrt.
Bis September 2018 konnten 60 Patienten in die ITP-Biobank eingeschlossen werden. Zwei Diplomarbeiten werden im Rahmen der ITP Biobank betreut. Patienten werden laufend für die ITP-Biobank rekrutiert, und Kontrolluntersuchungen werden im Rahmen der Routine durchgeführt.

2 Projekte als Hauptfokus: Der Hauptfokus der mit der Biobank betrauten Forscher liegt derzeit auf zwei Projekten: Im ersten Projekt soll die Thrombozytenfunktion der ITP-Patienten in Hinblick auf ihren Einfluss auf die individuelle Blutungsneigung untersucht werden. Die Untersuchung der Thrombozytenfunktion erfolgt mittels flow-zytometrischer Messung der P-selectin-Expression in vivo und nach In-vitro-Zugabe von verschiedenen Agonisten. Außerdem wird solubles P-selectin (sP-selectin), ein Marker der Thrombozyten- und Endothelzellaktivierung, aus Plasma der ITP-Patienten bestimmt und mit den Ergebnissen der Thrombozytenfunktion sowie mit dem individuellen Blutungsphänotyp verglichen.8 In der zweiten Analyse werden verschiedene klinische Patientencharakteristika und Laborparameter und deren Zusammenhang mit der individuellen Blutungsneigung der ITP-Patienten ausgewertet. Ziel dieser Analyse ist es, Einflussfaktoren auf den Blutungsphänotyp zu identifizieren.

Patientenzuweisung

Das Format der Biobank bietet eine einmalige Ressource für die Durchführung zukünftiger Forschungsprojekte und die Möglichkeit von Kooperationen mit Forschern im In- und Ausland. Bei Interesse können erwachsene Patienten mit primärer Immunthrombozytopenie der Gerinnungsambulanz des AKH nach telefonischer Terminvereinbarung unter 01/404 00-44970 oder nach Kontaktaufnahme mit Dr. Johanna Gebhart zugewiesen werden.


1 Cines DB et al., Blood 2009;113(26):6511–6521
2 Matzdorff A et al., Oncol Res Treat 2018; 41 Suppl 5:1–30
3 Pabinger I et al., Wien Klin Wochenschr 2012;1 24(3-4):111–123
4 Frelinger AL et al., Thromb Haemost 2018; 118(1):143–151
5 Rodeghiero F et al., J Thromb Haemost 2005; 3(12):2619–2626
6 Rodeghiero F et al., Blood 2013; 121(14):2596–2606
7 Rodeghiero F et al., J Thromb Haemost 2007; 5 Suppl 1:157–166
8 Kappelmayer J et al., Clin Chem Lab Med 2004; 42(5):475–486