Bioresorbierbare Koronarstents – Österreichweit erste Implantation

Nach der Entwicklung der Ballonangioplastie durch Andreas Grüntzig (1977) gelten die Einführung von Metallstents (1994) und von medikamentenbeschichteten Stents (2001) als Meilensteine in der Entwicklung der interventionellen Kardiologie. Verhinderten Metallstents im Vergleich zur reinen Ballonangioplastie akute Gefäßverschlüsse durch Versiegeln von Dissektionsmembranen, so waren sie doch in etwa 20 % mit Restenosierungen durch eine neointimale Hyperplasie behaftet. Medikamentenbeschichtete Stents reduzierten die Restenoserate signifikant, eine Verbesserung, die jedoch vor allem bei Stents der ersten Generation durch eine erhöhte Rate von späten Stentthrombosen kompliziert war. Als zugrunde liegende Pathologie wurden dabei vor allem nicht-endothelialisierte Stentstruts und lokale entzündliche Reaktionen identifiziert. Ein weiterer Meilenstein könnten daher bioresorbierbare Stents sein, die nach der Implantation die Stützfunktion eines Metallstents erfüllen, eine antiproliferative Substanz zum Verhindern der neointimalen Hyperplasie abgeben und in weiterer Folge ohne wesentliche lokale Entzündung vom Organismus abgebaut werden. Durch die Resorption des gesamten Stentmaterials sollen neben dem Vorteil des Fehlens von anorganischen Substanzen wesentliche physiologische Funktionen des Koronargefäßes – wie die Reaktion auf den pulsatilen Blutfluss oder auf vom Endothel abgegebene Faktoren – wiederhergestellt werden.

Medikamentenbeschichtete bioresorbierbare Gefäßstütze

Der im Rahmen der ABSORB-EXTEND-Studie implantierte Stent wird als „bioabsorbable vas­cular scaffold“ (BVS-Stent, Abbott Laboratories, Abbott Park, Il, USA), d. h. als bioresorbierbare Gefäßstütze bezeichnet. Er besteht aus dem Milchsäuremolekül Polylactid, einem Material, das unter anderem auch bei resorbierbarem Nahtmaterial und für den Anker von interventionellen vaskulären Verschlusssystemen verwendet wird. Als ­Thermoplast kann das Molekül bei entsprechender Verarbeitung in eine stabile Stentform (Abb.) gebracht und wie ein Metallstent mittels Ballon implantiert werden. Nach der Implantation versiegelt der BVS bei der Implantation entstandene Dissektionsmembranen und verhindert suffizient den elastischen „recoil“ des intervenierten Gefäßabschnittes (elastische Retraktion der Gefäßwand). Als antiproliferative Substanz wird Everolimus mit derselben Kinetik wie bei medikamentenbeschichteten Stents der letzten Generation abgegeben. Nach einem Jahr ist der Stent fragmentiert, nach 2 bis 3 Jahren vollständig resorbiert und zu Wasser und CO2 abgebaut. Ähnlich wie beim Abbau des Ankers von vaskulären Verschlusssystemen kann eine vollständige Reendothelialisierung ohne wesentliche entzündliche Reaktion der Gefäßwand beobachtet werden. Die klinische Anwendbarkeit und der weitere angiografische Verlauf wurden vorerst in kleineren Studien beobachtet und dann auf größere Serien wie die ABSORB- und ABSORB-EXTEND-Studie ausgeweitet. Wegen der hierbei bewiesenen Sicherheit wird eine Implantation des BVS auch außerhalb von klinischen Studien in nächster Zeit möglich werden.

Potenzielle Vorteile und offene Fragen

Bioresorbierbare Koronarstents weisen im Vergleich zu herkömmlichen (medikamentenbeschichteten) Metallstents mehrere theoretische und praktische Vorteile auf. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass bioresorbierbare Stents beim derzeitigen Stand der technologischen Entwicklung modernen Metallstents in manchen Belangen unterlegen sind, beziehungsweise einige wichtige Aspekte im Verlauf nach der Implantation noch geklärt werden müssen.

Theoretische/praktische Vorteile von bioresorbierbaren Stents:

• Durch das Fehlen eines permanenten metallischen Implantats kann die natürliche Gefäßreaktion auf physiologische Stimuli wiederhergestellt werden. Zusätzlich besteht ähnlich wie beim Zustand nach reiner Ballonangioplastie die Möglichkeit einer späten luminalen Expansion des intervenierten Gefäßabschnitts.
• Durch die vollständige Resorption des Stentmaterials liegt kein anhaltender Stimulus für eine chronische Entzündungsreaktion vor. Dadurch kann möglicherweise die Notwendigkeit einer langen dualen Thrombozytenaggregationshemmung entfallen.
• Spätere Reinterventionen wie eine neuerliche Stentimplantation, aber auch das Anlegen der distalen Anastomosen bei einer aortokoronaren Bypassoperation werden erleichtert.
• Organische Materialien wie Polylactid sind nicht röntgendicht oder in der Magnetresonanz signalgebend, weshalb das Stentgerüst in der Darstellung mittels Koronar-CT oder kardialer MRT keine Artefakte erzeugt oder anderweitig die Gefäßdarstellung behindert. Eine nicht-invasive Beurteilung des intervenierten Gefäßabschnitts im Follow-up wird damit möglich.

Nachteile/offene Fragen bei bioresorbierbaren Stents:

• Die mechanische Belastbarkeit des Stentgerüsts bei der Platzierung des bioresorbierbaren Stents ist nicht mit der von Metallstents vergleichbar. Bislang wurden bioresorbierbare Stents nur nach Vordilatation in nicht höchstgradige, nicht wesentlich verkalkte Stenosen in leicht zugänglichen Gefäßabschnitten implantiert. Ihr Verhalten bei verkalkten Stenosen, In-Stent-Restenosen, in peripheren Gefäßabschnitten, in Bifurkationen, dem Hauptstamm der linken Koronararterie oder Bypässen ist noch nicht evaluiert worden.
• Wenn auch bei den bislang nachverfolgten Patienten keine späten Stentthrombosen aufgetreten sind, ist ein diesbezüglicher Vergleich mit medikamentenbeschichteten Metallstents wegen der kleineren Patientenzahlen und des limitierten Follow-ups nicht möglich. Für Patienten mit akutem Koronarsyndrom inklusive des ST-Hebungsinfarkts gibt es bislang überhaupt keine Erfahrungen mit bioresorbierbaren Stents. Die theoretisch mögliche Kürzung der Dauer der dualen Plättchenaggregationshemmung nach Implantation eines bioresorbierbaren Stents ist deshalb zurzeit nicht möglich.
• Das Gerüst eines bioresorbierbaren Stents dürfte vor allem während der ersten Phase der Resorption (einige Monate nach der Implantation) vulnerabel gegenüber mechanischer Beanspruchung sein. So könnte eine in diesem Zeitraum durchgeführte Intervention distal der Implantationsstelle des bioresorbierbaren Stents diesen durch Vorbeischieben z. B. von Drähten, Ballons, Stents derart verformen, dass das bioresorbierbare Stentmaterial mit einem konventionellen Metallstent versiegelt werden muss.

FAZIT: Sollten sich die bislang gemachten positiven Erfahrungen mit bioresorbierbaren Stents im Rahmen ihrer breiteren klinischen Anwendung bestätigen, könnte ihre Entwicklung ein weiterer Meilenstein in der interventionellen Kardiologie sein. Ob ihre Anwendung auch bei anderen angiografischen Szenarien als den bisher getesteten und bei allen klinischen Manifestationen der koronaren Herzkrankheit sicher ist, bedarf noch einer ausgedehnten klinischen Erforschung. Auch wird eine kontinuierliche Verbesserung des resorbierbaren Stentmaterials erforderlich sein, um die „Performance“ der bioresorbierbaren Stents an die der gängigen Metallstents anzugleichen und damit die Herausforderungen der immer komplexer werdenden koronaren Pathologien meistern zu können.

Literatur beim Verfasser
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Bioresorbierbare Koronarstents bestehen vollständig aus resorbierbarem Material wie z. B. Polymilchsäure (Polylactid), welches vom Körper während der ersten 2 bis 3 Jahre nach der Implantation abgebaut wird. Die Vorteile der Resorption bestehen darin, dass die natürliche Gefäßreaktion auf physiologische Stimuli wiederhergestellt wird und durch das Fehlen eines permanenten metallischen Implantats kein anhaltender Reiz für eine chronische Entzündungsreaktion vorliegt. Auch neuerliche Interventionen und eine nicht-invasive Bildgebung im Bereich der Implantationsstelle werden erleichtert. Bevor bioresorbierbare Koronarstents die herkömmlichen Metallstents in der breiten klinischen Anwendung ersetzen können, sind jedoch noch zahlreiche Fragen in klinischen Studien zu klären.