Chronische Niereninsuffizienz und Eiweißkonsum – quo vadis?

2017 litten über 5 % der erwachsenen österreichischen Bevölkerung an einer chronischen Niereninsuffizienz (CKD). Da die CKD-Prävalenz seit den letzten Jahrzehnten stetig steigt, wird ihre Prävention und Therapie in Zukunft noch weiter an Stellenwert gewinnen.1 Neben der medikamentösen Therapie sowie dem allgemeinen Lebensstil stellt vor allem auch die diätologische Therapie einen essenziellen Baustein für eine umfassende CKD-Behandlung dar. Einerseits ist bekannt, dass die sogenannte Western Diet direkte Einflüsse auf das Entstehen und Fortschreiten einer CKD hat, andererseits wird die Mehrheit der inzidenten CKD-Fälle durch Lifestyle-Erkrankungen, v. a. arterielle Hypertonie, Adipositas sowie Diabetes mellitus Typ 2, verursacht, welche wiederum diätologisch günstig beeinflusst werden können.1 Bei weiter fortgeschrittener CKD entstehen zusätzliche ernährungstechnische Herausforderungen, die auf den allmählichen Ausfall renaler Homöostase-Mechanismen beruhen. Das zentrale Thema in der diätologischen Therapie der CKD ist jedoch die Frage nach der optimalen Menge an Eiweiß bzw. ob eine signifikante Restriktion von alimentären Proteinen nephroprotektiv ist.3

Kontroverse Ergebnisse zur Eiweißrestriktion bei CKD

Wie hoch die tägliche Eiweißzufuhr eines CKD-Patienten sein sollte, ist eines der ältesten hochkontroversen Themen in der Nephrologie. Bereits in den 1950er-Jahren wurde vorgeschlagen, die Eiweißzufuhr bei Patienten mit präterminaler CKD zu reduzieren, um diverse Urämie-Symptome zu lindern, welche theoretisch durch das Anfallen von Eiweiß-Abbauprodukten entstehen könnten, wobei dieser Ansatz jedoch mit zunehmender Verfügbarkeit der Dialyse zusehends in den Hintergrund geriet. In weiterer Folge konnte gezeigt werden, dass die Zufuhr von Eiweiß und Aminosäuren die renale Durchblutung sowie den glomerulären Filtrationsdruck vorübergehend steigert.

Studien zu Low Protein Diets und Very Low Protein Diets: Da seit Mitte der 1980er-Jahre angenommen wird, dass ein erhöhter intra­glomerulärer Druck langfristig ein wesentlicher CKD-Progressionsfaktor ist, wurden erneut Studien zu Ernährungsformen mit eingeschränktem Eiweißkonsum, sogenannten Low Protein Diets (LPD), durchgeführt, um eine CKD-Progression idealerweise zu verzögern.4 Nachdem zwar einige v. a. kleinere Studien positive Effekte einer LPD zeigten, andere jedoch keinen signifikanten Benefit aufwiesen, wurden mit dem Ziel, eine höhere statistische Power zu erlangen, zwei groß angelegte randomisierte Studie mit insgesamt 840 Probanden durchgeführt, nämlich die 1994 publizierten Modification of Diet in Renal Disease-Studien A und B (MDRD). In Studie A wurden 585 Patienten mit einer errechneten glomerulären Filtrationsrate (GFR) zwischen 25 und 55 ml/min/1,73 m2 entweder mit ca. 0,6 g Eiweiß/kg/Tag oder einer Kontrollgruppe mit einem Eiweißanteil von ca. 1,3 g/kg/Tag zugeteilt. In Studie B wurden 255 Patienten und einer GFR von 13–24 ml/min/1,73 m2 mit ca. 0,6 g Eiweiß/kg/Tag oder ca. 0,3 g Eiweiß/kg/Tag (Very Low Protein Diet, VLPD) und zudem Keto-Aminosäuren-Substitution zugeteilt. Trotz der größeren Patientenzahlen und eines Beobachtungszeitraums von jeweils über zwei Jahre konnte kein signifikanter Effekt einer LPD auf eine CKD-Progression demonstriert werden.5 Vielmehr konnte eine Post-hoc-Analyse sogar zeigen, dass die Patienten der VLPD-Gruppe nach mehreren Jahren keinen Benefit hinsichtlich der CKD-Progression hatten, aber eine signifikant höhere Mortalität aufwiesen (HR 1,92; 95%-KI 1,15 bis 3,20).6
Trotzdem zeigen einige Metaanalysen einen moderat positiven Effekt einer LPD, weshalb von den meisten Guidelines zur CKD-Therapie eine Einschränkung der Eiweißzufuhr immer noch empfohlen wird.2, 7, 8 So empfiehlt KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes), die tägliche Eiweißzufuhr auf ca. 0,8 g/kg zu beschränken, sobald die GFR unter 30 ml/min/1,73 m2 beträgt (Evidenzgrad von 2B für Patienten ohne Diabetes, 2C für Diabetiker). Außerdem sollte ein Proteinkonsum von über 1,3 g/kg/Tag bei Patienten mit Gefahr einer Progression der CKD vermieden werden.7

KDOQI-Empfehlungen in der Diskussion

Im Gegensatz zu KDIGO empfiehlt die US-amerikanische National Kidney Foundation Disease Outcomes Quality Initiative (KDOQI) in ihrer kürzlich veröffentlichten klinisch praktischen Guideline zu Ernährung bei CKD, dass Patienten ohne Diabetes mit einer GFR < 45 ml/min/1,73 m2 eine Eiweißrestriktion auf 0,55–0,6 g/kg/Tag oder sogar auf 0,28–0,43 g/kg/Tag im Sinne einer VLPD mit zusätzlicher Substitution von Aminosäuren mit Evidenzgrad Level 1A vornehmen sollten, um CKD-Progression und sogar das Mortalitätsrisiko zu senken.8 Weshalb diese Empfehlung jedoch mit dem höchsten Evidenzgrad untermauert wurde, ist nicht nachvollziehbar, nachdem im Hinblick auf diese Empfehlung lediglich fünf Studien zitiert wurden.8
Eine Studie mit der größten Patientenanzahl – 1991 von Locatelli et al. publiziert – randomisierte 456 Patienten mit einer GFR < 60 ml/min/1,73 m² zu einer Gruppe mit einer Eiweißzufuhr von 0,6 g/kg/Tag und einer Kontrollgruppe mit 1,0 g/kg/Tag. Trotz eines negativen statistischen Ergebnisses mit einem p-Wert von 0,06 wurde diese Studie in der KDOQI-Guideline als „borderline-signifikant“ positiv bewertet und als Begründung für den Nutzen einer Eiweißrestriktion herangezogen.8, 9
Zwei weitere Studien, welche aufgrund ihres positiven Outcomes hinsichtlich der LPD angeführt sind, wurden von Rosman et al. 1984 und 1989 veröffentlicht.8 In der Studie aus dem Jahr 1984 wurden insgesamt 228 Patienten mit einer GFR < 60 ml/min/1,73 m2 für zwei Jahre einer LPD mit einer Eiweißzufuhr von nur 0,4 g/kg/Tag und eine Kontrollgruppe ohne Eiweißrestriktion randomisiert.10 Die 1989 veröffentlichte Studie ist eine Follow-up-Untersuchung derselben Patientenkohorte nach vier Jahren.11 In diesen Studien zeigte sich zwar in den ersten zwei Jahren ein verminderter Anstieg des Serumkreatinins in der LPD-Gruppe, jedoch wurde dieser Effekt im Langzeit-Follow-up selbst von den Studienautoren als „limitiert“ beschrieben.10, 11
Eine weitere Studie, welche die Empfehlung der LDP unterstützte, ist eine von Hansen et al. 2002 veröffentlichte randomisierte Studie, welche die Auswirkungen einer Eiweißeinschränkung von 0,6 g/kg/Tag im Vergleich zu einer Diät ohne Eiweißeinschränkung bei Typ-1-Diabetikern mit einer diabetischen Nephropathie untersuchte.12 Zwar zeigte diese Studie, dass Patienten mit einer LPD ein geringeres relatives Risiko hatten, ein terminales Nierenversagen zu erleiden oder zu versterben, jedoch spricht die Guideline der KDOQI ihre Empfehlung explizit nur für Patienten ohne Diabetes aus.8, 12 Die letzte in dieser Guideline zitierte Arbeit wurde 2009 von Cianciaruso et al. veröffentlicht: Hier wurden 423 Patienten mit einer GFR < 30 ml/min/1,73 m2 randomisiert einer Proteinzufuhr von 0,55 g/kg/Tag oder 0,8 g/kg/Tag zugeteilt und über vier Jahre beobachtet. In dieser Studie konnte jedoch überhaupt kein Benefit einer LPD nachgewiesen werden.13 Die Autoren der KDOQI-Guideline argumentieren zwar, dass diese Studie eine geringe Patientenanzahl aufwies, und relativieren deshalb die gewonnenen Erkenntnisse, jedoch handelt sich dabei um die zweitgrößte in der Guideline zitierte Studie.8

Effektivität einer Eiweißrestriktion im Gesamttherapiekontext

Meistens weiche Endpunkte: Ein generelles Problem im Zusammenhang mit Studien zur Therapie einer CKD mittels LPD ist, dass selten harte Endpunkte wie v. a. das Patientenüberleben untersucht werden. Meistens wird auf weiche Endpunkte wie Albuminurie, CKD-Progression mittels errechneter GFR (Kreatinin als muskelmassenabhängiger Biomarker) oder Zeit bis zur Nierenersatztherapie (subjektiver Endpunkt) zurückgegriffen. Diese Endpunkte könnten aber gerade direkt durch eine proteinreduktionvermittelte Abnahme der Muskelmasse beeinflusst werden: So kann eine Eiweißrestriktion zur einer Änderung der gemessenen CKD-Studienparameter führen und damit das Fortschreiten der Erkrankung maskieren und den Beginn einer Nierenersatztherapie scheinbar verzögern, ohne damit einen wesentlichen Einfluss auf das Überleben der Patienten zu haben.14, 15

Eine gleichzeitige Therapie mit RAAS-Inhibitoren ist ein weiterer Faktor, der die Effektivität einer Eiweißrestriktion beeinflussen könnte. Diese werden aufgrund ihrer nephroprotektiven Wirkung seit über zwei Jahrzehnten als Standardtherapie bei CKD-Patienten, idealerweise bei bestehender Albuminurie, eingesetzt. Der Erfolg der RAAS-Blockade beruht ebenfalls auf einer Senkung des glomerulären Filtrationsdrucks. Ob nun ein synergistischer Effekt bei einer Kombination bei gleichzeitiger Therapie mit RAAS-Hemmern und LPD bestehen könnte, ist rein hypothetisch. Es könnte auch argumentiert werden, dass eine allfällige dauerhafte Erhöhung des glomerulären Filtrationsdrucks durch eine proteinreiche Ernährung bei CKD-Patienten durch eine RAAS-Blockade verhindert wird.
Bemerkenswert ist auch, dass der Großteil aller Studien zur CKD-Therapie mittels LPD, welche auch von KDOQI angeführt werden, vor dem Einzug der RAAS-Inhibitoren in der CKD-Therapie durchgeführt wurden, zudem existiert lediglich eine Handvoll Studien, welche die Effekte einer Kombinationstherapie dieser beiden Ansätze untersuchten.16 So zeigten Dunkler et al. in einer Analyse von 6.213 Patienten mit Diabetes mellitus, welche ursprünglich in der ONTARGET-Studie teilnahmen und randomisiert entweder Telmisartan, Ramipril oder eine duale RAAS-Blockade erhielten, keinerlei Zusammenhang zwischen Eiweißkonsum und CKD-Progression; vielmehr zeigte sich ein signifikant höheres Risiko für eine CKD-Progression bei erhöhter Kohlenhydratzufuhr.17
Eine 2020 von Kramers et al. publizierte Studie observierte 589 Patienten mit einer autosomal-dominanten polyzystischen Nierenerkrankung. Über einen Zeitraum von vier Jahren wurden regelmäßig 24-h-Harnanalysen durchgeführt und die Zufuhr von Protein und Salz durch Analyse des ausgeschiedenen Harnstoffs und Natriums berechnet. Die Patienten erhielten eine RAAS-Blockade je nach Ermessen der behandelnden Ärzte. In dieser Studie zeigte sich ebenfalls keinerlei Zusammenhang zwischen der Progression der Erkrankung und der Menge des Eiweißkonsums, stattessen korrelierte eine Verschlechterung der CKD signifikant mit einem erhöhten Salzkonsum.18
Auch weitere Studien zur gleichzeitigen CKD-Therapie mittels RAAS-Blockade und LPD mit geringerer Patientenanzahl kamen zu keinem eindeutigen Ergebnis. Zwar zeigte sich teilweise ein Rückgang der Proteinurie während einer LPD, ein klarer Benefit auf eine CKD-Progression oder das Überleben konnte bis dato aber nicht nachgewiesen werden.16 SGLT-2-Hemmer und LPD: Eine neue Substanzklasse in der CKD-Therapie, welche sowohl die Progression der Erkrankung verlangsamen als auch die Mortalität senken kann, stellen die SGLT-2-Hemmer dar.19 Diese Substanzklasse wird bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 und CKD bereits als First-Line-Therapie empfohlen und dürfte in den nächsten Jahren die gesamte CKD-Therapie revolutionieren.20 Auch bei dieser Substanzklasse wird diskutiert, ob die nephroprotektiven Effekte ursächlich auf eine Verminderung des glomerulären Filtrationsdrucks zurückzuführen sind.21 Nachdem die CKD-Studien mit SGLT-2-Hemmern bereits unter gleichzeitiger Gabe von RAAS-Hemmern durchgeführt wurden, ist ein synergistischer Effekt dieser beiden Therapieansätze möglich.19 Inwiefern sich eine LPD mit einer gleichzeitigen Gabe von SGLT-2-Hemmern auf renale Endpunkte auswirkt, wurde bislang jedoch noch nicht untersucht.

Fazit

Zusammenfassend ist die Datenlage zur Proteinrestriktion als Eckpfeiler einer umfassenden CKD-Therapie nach wie vor dürftig. Trotzdem scheinen sich die theoretischen Hypothesen zu den möglichen Benefits einer LPD, wie Beeinflussung des glomerulären Drucks oder ein reduzierter Anfall potenzieller Urämietoxine in fortgeschrittenen CKD-Stadien, hartnäckig als solide Fakten zu halten. Dem stehen nicht nur Daten aus kontrollierten Studien zu möglicherweise schädlichen Effekten einer LPD gegenüber, sondern auch die Tatsache, dass bei Einschränkung eines Makronährstoffes andere Makronährstoffe (Kohlenhydrate, Fett) kompensatorisch erhöht werden müssen, um eine ausgeglichene Energiebilanz bei CKD-Patienten zu gewährleisten. Dass etwa die damit verbundene Erhöhung z. B. von Kohlenhydraten bei prädiabetischen oder diabetischen CKD-Patienten vermutlich auch deletäre Konsequenzen zeigen könnte, wurde in den meisten Überlegungen zur Ernährungstherapie bei CKD bislang nicht berücksichtigt. Weitere innovative Ansätze und Studien müssen deshalb Ernährung als essenziellen Bestandteil einer erfolgreichen CKD-Therapie im Sinne einer individualisierten Therapie etablieren.


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