Mittlerweile ist mehr als 1 Jahr seit dem ersten Lockdown aufgrund der COVID-19-Pandemie vergangen. Von kompletter Unsicherheit sowohl auf der Patienten- als auch auf der ärztlichen Seite im ersten Lockdown bis zur „Fast-Normalität“ bewegt sich die Vorsorgekoloskopie in Pandemiezeiten.
Im ersten Lockdown kam es aufgrund verschiedener Empfehlungen, von Unsicherheit sowie Unwissenheit und Mangel an Schutzausrüstung zu einem Rückgang der heimischen Vorsorgekoloskopien um 90 % (Abb. 1).
Das spiegelte sich auch in den Zahlen der entdeckten Adenome und der fortgeschrittenen Adenome (Abb. 2) und somit der durch Abtragung von Adenomen und Eingreifen in die Adenom-/Karzinom-Sequenz verhinderten kolorektalen Karzinome (CRC; Abb. 3) wider.1
Die Rate der verhinderten Karzinome wird von der Reduktion der entdeckten und entfernten Adenome und fortgeschrittener Adenome abgeleitet. Man geht davon aus, dass sich 1 fortgeschrittenes Adenom mit einer Wahrscheinlichkeit von 4 %/Jahr zum CRC entwickelt. Analog werden 4 % der nichtfortgeschrittenen Adenome pro Jahr zu fortgeschrittenen Adenomen.2 Diese Reduktion bringt mehrere Probleme mit sich: Erstens müssen die verschobenen Untersuchungen irgendwann nachgeholt werden, was zu einer Überlastung der Kapazitäten führen kann, zweitens muss gerade im niedergelassenen Bereich auf die Wirtschaftlichkeit der Endoskopie besonders Acht gegeben werden. Nicht nur in Österreich wurde das CRC-Screening drastisch reduziert, z. B. in den Niederlanden wurde das komplette FIT (fäkal-immunologischer Test) basierte Darmkrebs-Screening für einige Wochen gestoppt, da es unmöglich wäre, das Workload der positiven Tests aufgrund der lockdownbedingten Reduktion der Koloskopiekapazitäten abzuarbeiten. In Australien wurden ausschließlich die geplanten Polypektomien von > 20 mm großen Polypen durchgeführt.
Ein Jahr später, im bereits dritten Lockdown, finden die heimischen Koloskopien – mit Schutzausrüstung, Personal- und Patiententestung sowie Lüftung nach jeder Endoskopie – fast im Normalbetrieb statt. Und das ist gut so!
6 % der Normalbevölkerung und 12 % der Bevölkerung mit positiver Familienanamnese entwickeln ohne adäquate Darmkrebsvorsorge im Laufe des Lebens Darmkrebs. Patienten mit familiären Darmkrebssyndromen wie Lynchyndrom oder FAP noch häufiger. In Österreich verstirbt derzeit die Hälfte der Patienten mit Diagnose Darmkrebs.
Im Fall neuerlicher Restriktionen, die länger andauern sollten, sollte eine Risikostratifizierung der Patienten z. B. mit dem FIT-Test unbedingt angeboten werden. Wie die Bevölkerung trotz aller Sorgen um die Arbeitsstelle, mögliche Arbeitslosigkeit, Homeschooling etc. zum Screening motiviert werden kann, wurde von Samir Gupta und David Lieberman im Oktober 2020 in Gastroenterology vorgeschlagen3:
Derzeit wird in Österreich die Vorsorgekoloskopie ab dem 50. Lebensjahr alle 10 Jahre empfohlen. Bei Auffälligkeiten verkürzt sich das Intervall meistens auf 3 Jahre. Bei Patienten mit positiver Familienanamnese sollte die erste Koloskopie bereits mit 40 Jahren erfolgen bzw. 10 Jahre vor dem Erkrankungsalter der Angehörigen.
Mittlerweile gibt es einige internationale Studien, die zeigen, dass das COVID-19-Ansteckungsrisiko für einen Patienten während einer Endoskopie minimal bis nicht vorhanden ist. In einer bei den ESGE Days vorgestellten Arbeit4 wurden im Zeitraum März bis Mai 2020 1.267 Endoskopien bei 1.222 Patienten in neun Endoskopiezentren in sechs Ländern durchgeführt. Patienten wurden 7 und 14 Tage nach der Endoskopie angerufen und zu deren Infektionsstatus befragt. Von 1.135 Patienten, die ein niedriges Risiko für COVID-19-Infektion hatten bzw. negativ getestet wurden, wurden 254 nochmals auf COVID-19 getestet. Von diesen Patienten wurden lediglich 8 (0,6 %) positiv auf COVID-19 getestet. Somit ist die Übertragung von COVID-19 während der Endoskopie als irrelevant einzustufen. Weiters wurde im Rahmen derselben Studie das Endoskopiepersonal untersucht. Von 163 eingeschlossenen Personen wurden 5 (3 %) während des Studienzeitraums positiv getestet. Vier der sechs Infektionen wurden auf die Arbeitsumgebung (2 %) zurückgeführt. Obwohl das Ansteckungsrisiko während einer Endoskopie minimal ist, wird die Endoskopie mit zunehmender Durchimpfungsrate in der Zukunft noch sicherer.
Es ist nach wie vor kontroversiell, ob eine COVID-19-Testung aller Patienten vor der Endoskopie zwingend notwendig ist. In Österreich existieren diesbezüglich unterschiedliche Strategien: obligatorischer negativer PCR-Test innerhalb der letzten 48 bzw. 72 Stunden, negativer Ag-Schnelltest innerhalb der letzten 48 Stunden bzw. vom selben Tag bzw. – bevor die Ag-Schnelltests möglich waren – kein Test, jedoch Reiseanamnese, Symptomanamnese und Fiebermessung vor der Endoskopie. Seitens der Europäischen Gesellschaft für Gastrointestinale Endoskopie (ESGE) ist eine Testung in Niedriginzidenzgebieten nicht vorgesehen.