Impfen: entscheidender Schritt zu Erleichterung, aber keine komplette Entspannung

Von welcher Schutzwirkung kann nach jetzigem Erkenntnisstand nach erstem bzw. zweitem Stich ausgegangen werden?

Univ.-Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt: Endpunkte der Zulassungsstudien waren Schutz vor schweren Verläufen, Hospitalisierungen und Tod. Etwa 3 Wochen nach der ersten Dosis ist bei allen Impfstoffen mit einer gewissen Schutzwirkung zu rechnen. Von einer anhaltenden und vollständigen Schutzwirkung kann nur nach vollständiger Grundimmunisierung ausgegangen werden, d. h. bei den zwei mRNA-Impfstoffen und dem Vektorenimpfstoff von AstraZeneca nach zwei Teilimpfungen, bei den Janssen-Vakzinen etwa 4 Wochen nach der Einmal-Impfung.

In welchem Intervall soll idealerweise die Zweitimpfung erfolgen?

Bei den mRNA-Impfstoffen wurde seitens des nationalen Impfgremiums nun ein Abstand von 4 bis 6 Wochen definiert, beim Vektorenimpfstoff von AstraZeneca soll das Intervall auf bis zu 12 Wochen ausgedehnt werden.

Warum wurden die Empfehlungen zum Impf-Intervall verlängert?

In den Zulassungsstudien von AstraZeneca wurden Impfintervalle von 4, 8 und 12 Wochen untersucht, mit dem klaren Ergebnis, dass die Schutzwirkung bei 12 Wochen am höchsten war. Auch bei den mRNA-Impfstoffen zeigte eine Ausdehnung der Impfintervalle auf 4 bis 6 Wochen eine stabilere Schutzwirkung und längere Schutzdauer.
Für unsere Entscheidung, eine Änderung des Impfschemas zu empfehlen, waren mehrere Aspekte entscheidend: erstens der stärkere Impfschutz bei einem längeren Impfintervall. Zweitens die Beobachtung, dass auch im Intervall schon ein Schutz vorliegt und es im Falle einer Infektion zu keinen schweren Verläufen kommt. Der dritte Aspekt betrifft logistische und epidemiologische Argumente und trägt der Impfstoffknappheit Rechnung. Die Vorgehensweise ist auch dahingehend abzuwägen, möglichst schnell möglichst viele zu impfen und nicht Impfstoff für den 2. Stich zurückzuhalten.

Impfstoffknappheit war jedoch am Anfang ein noch viel größeres Problem?

Damals hat man sich auf die Älteren und Vulnerablen konzentriert und wollte entsprechend der damaligen Studienlage ganz sichergehen. Es ist wichtig zu verstehen, dass in einer Pandemie mit einem Virus, das uns erst seit Kurzem bekannt ist, laufend Adaptationen notwendig sind, weil auch das Wissen im Fluss ist. Auch bei unseren Empfehlungen des nationalen Impfgremiums handelt es sich um ein „lebendes“ Dokument, das anhand aktueller Daten laufend adaptiert wird.

In welchen Fällen sind Antikörperbestimmungen zu empfehlen?

Seitens des Impfgremiums raten wir von routinemäßigen Titerkontrollen ab, weil das Schutzkorrelat und damit die Aussage nicht klar ist. Titerkontrollen sind allenfalls bei Personengruppen angezeigt, bei denen eine schlechte Immunantwort zu erwarten ist – Personen mit besonders schweren Grunderkrankungen oder unter immunsuppressiven Therapien –, und dann nur nach vollständiger Grundimmunisierung. Ich rate Kollegen, dem Bestreben der Patienten nach einem Labortest zumindest nach der ersten Impfung entgegenzuwirken. Das Ergebnis lässt keine verlässliche Aussage zu, ob der Betroffene geschützt ist oder nicht.

Welche Aussage lässt sich aus der Titerhöhe ableiten?

Wir wissen, dass neutralisierende Antikörper entscheidend sind, aber nicht, wie hoch sie sein müssen, um sicher geschützt zu sein. Es gibt derzeit noch kein sogenanntes Correlate of Protection, kein Schutzkorrelat. Hier müssen weitere Daten aus den noch weiterlaufenden Zulassungsstudien abgewartet werden, um zu sehen, wie lange Schutz vor Erkrankung besteht und wie die Schutzwirkung mit Antikörper-Titern korreliert. Zu beachten ist außerdem, dass die „echten“ neutralisierenden Antikörper nur von ganz wenigen Speziallaboren in virusspezifischen Assays bestimmt werden können. Deshalb wurde ein sogenanntes neutralisierendes Äquivalent für ELISA-Messungen etabliert.

Was genau ist nun das neutralisierende Äquivalent? Was wird bestimmt?

Als sogenannte Äquivalente der neutralisierenden Antikörper werden spezifische Antikörper bestimmt, die gegen die rezeptorbindende Domäne gerichtet sind. Das ist insofern relevant, als man hier spezifische Antikörper detektiert, die das Andocken des Virus an die ACE-Rezeptoren verhindern.
Zu beachten ist, dass in einzelnen peripheren Labors sehr unterschiedliche Tests, etwa auch auf IgG-S1 angeboten werden, was meiner Meinung nach zur Verunsicherung beiträgt. Meine Empfehlung lautet daher: Wenn man unbedingt eine Antikörperkontrolle machen will, sollte man sich an die Spezialistenlabors wenden.

Ließe sich im Labor zwischen durchgemachter Erkrankung und Impfung differenzieren?

Bei durchgemachter Erkrankung findet man zumindest kurz nach Infektion auch Antikörper gegen das Nukleokapsid. Liegen Antikörper auch gegen das Nukleokapsid vor, ist also von einer durchgemachten Infektion auszugehen.

Wie lange persistieren Antikörper nach der Impfung? Von welcher Schutzdauer ist auszugehen?

Eine rezente Publikation zeigt, dass neutralisierende Antikörper auch noch 10 Monate nach milden Infektionen messbar sind. Wir gehen daher auch nach einer Impfung von diesem Zeitintervall aus. Um abschätzen zu können, ob der Impfschutz darüber hinausgeht, müssen die Follow-up-Daten der Zulassungsstudien abgewartet werden. Diese laufen ja teilweise bereits seit letztem Sommer und werden zeigen, ob es irgendwann zu einem dramatischen Antikörper-Abfall oder zu vermehrten Impfdurchbrüchen vielleicht durch Virus-Varianten kommt. Diese Daten müssen für weitere Empfehlungen abgewartet werden.

Was weiß man über zelluläre Immunität? Wie lange hält sie an?

Die zelluläre Immunantwort ist ein wichtiger Faktor für die Virusabwehr, aber auch damit Antikörper gebildet werden können. Entscheidend ist jedoch, inwieweit humorale und zelluläre Antworten korrelieren: Hat jemand eine sehr gute humorale Antwort, ist auch von einer guten zellulären Antwort auszugehen. Nicht immer stimmt der Umkehrschluss, dass bei fehlenden Antikörpern auch auf eine fehlende zelluläre Immunität geschlossen werden muss. So zeigt eine rezente Publikation, dass Genesene, bei denen nach durchgemachter COVID-Erkrankung keine Antikörper nachweisbar waren, dennoch eine relativ gute zelluläre Antwort, in Form von Interferon-γ-Bildung und virusspezifischen CD4- und CD8-Zellen zeigten. Wir haben somit den Hinweis, dass es sehr wohl zelluläre Schutzkorrelate gibt, die wir heute aber auch noch nicht qualifizieren und quantifizieren können.

Das Schutzkorrelat ist auch bei der zellulären Immunität noch nicht bekannt?

Wir wissen nur, dass die zelluläre Antwort ein wichtiger Teil einer schützenden Immun­antwort ist, aber nicht, wie hoch sie sein sollte. Wir befinden uns derzeit also in einer Phase, in der man die Schutzkorrelate weder auf Antikörper-Ebene noch auf zellulärer Ebene genau qualifizieren kann.

Sind heterologe Impfschemata angedacht?

Zu unterscheiden ist, ob es sich um einen Wechsel während oder erst nach der Grund­immunisierung handelt: Heterologe Impfschemata in der Grundimmunisierung sind derzeit Off-Label-Anwendungen, hier fehlten bislang die Studien sowohl hinsichtlich Effektivität als auch hinsichtlich Nebenwirkungsprofil. Daher empfehlen wir derzeit keinen routinemäßigen Austausch der Impfstoffe im Rahmen der Grundimmunisierung. Allerdings kommen nun schon die ersten Studienergebnisse aus England und Spanien heraus, die positive Ergebnisse zu den Immunantworten und der Verträglichkeit erhoffen lassen. Auch wir führen gemeinsam mit Partnern der MedUni Innsbruck eine derartige Studie durch.

In welche Richtung wollen Sie einen Austausch untersuchen, von Vektoren- auf mRNA-Impfstoff?

Sowohl von Vektoren- auf mRNA-Impfstoff als auch umgekehrt von mRNA- auf Vektorenimpfstoff. Die Frage des Wechsels ist in beide Richtungen relevant, um im Falle einer nicht ausreichenden Verfügbarkeit reagieren zu können bzw. um Alternativen bei schlechtem Ansprechen oder Verträglichkeit eines Impfstoffes anbieten zu können. Sobald die Studiendaten in publizierter Form vorliegen, können sie auch vom nationalen Impfgremium hinsichtlich der generellen Möglichkeit der heterologen Impfung geprüft werden.

Sind heterologe Booster-Impfungen denkbar?

Wenn die Grundimmunisierung mit einem Impfstoff abgeschlossen ist, bestehen aus immunologischer Sicht keine Bedenken, einen anderen Impfstoff für eine Booster-Impfung zu verwenden. Da alle derzeit zugelassenen Impfungen dasselbe Impfstoff-Antigen vermitteln, ist davon auszugehen, dass man auch mit einem anderen Impfstoff boostern kann – so wie wir das auch von anderen Impfungen kennen.

Alle Impfstoffe haben dasselbe Antigen, dennoch dürften sie auf die Mutationen nicht gleich reagieren. Ist das ein Widerspruch?

Das würde ich so nicht unterstreichen! Das ist vielmehr eine Frage, wie und wann die Studien gelaufen sind und welche Rückschlüsse sie zulassen. Manche Produkte – jedoch nicht alle – wurden erst in einer Phase evaluiert, als bereits Varianten aufgetreten sind. Somit konnte unter klinischen Bedingungen beobachtet werden, ob der Impfstoff auch gegen Mutanten wirkt. Die Zulassungsstudien zu den mRNA-Impfstoffen liefen jedoch schon vor dem Auftreten der Mutanten, sie lassen daher keine robusten Aussagen zur In-vivo-Wirkung auf Mutanten zu. Hier muss man auf In-vitro-Untersuchungen zurückgreifen. Und diese haben nur eine begrenzte Aussagekraft.
Wenn eine Neutralisation im Reagenzglas nicht mehr ganz optimal funktioniert, bedeutet das für den geimpften Menschen, bei dem eine gesamte Immunantwort induziert ist, noch nicht, dass diese Impfung gegen eine Variante nicht wirkt. Ich erachte es als sehr fraglich, ob In-vitro-Daten 1 : 1 auf die Gesamtwirkung einer Impfung übertragbar sind, wo eine zelluläre Immunantwort und auch die mukosale Komponente mitwirken und ein viel holistischeres Ansprechen als in vitro vorliegt.

Hier braucht es epidemiologische Daten?

Die Daten, die uns dieses Wissen tatsächlich generieren können, sind Real-Life-Daten, die Rückschlüsse anhand der Häufigkeit von Virusdurchbrüchen zulassen.

Wie beurteilen Sie nun den Schutz vor Varianten – mit den derzeitig zugelassenen Impfstoffen?

Die aktuellen Daten zeigen, dass durch die Impfung auch bei einer Infektion mit Varianten ein Schutz vor schweren Verläufen, Hospitalisierung und Tod erreicht wird. Wahrscheinlich wird man damit rechnen müssen, dass dennoch leichte Infektionen stattfinden können. Das ist für Normalgesunde eine akzeptable Situation. Hier ist es nun wichtig zu beobachten, ob trotz Impfung reinfizierte Personen für andere ansteckend sind und welches Verhalten gegenüber Risikopersonen dadurch notwendig wird. Leidtragend sind immer Menschen mit reduziertem Immunsystem. Zum einen besteht bei diesen immer ein Risiko, dass auch durch die Grund­immunisierung nur ein Teilschutz – auch gegen die ursprüngliche Virusvariante – erreicht wird. Zum anderen stellt sich die Frage, inwiefern andere, die selbst nicht schwer erkranken, für diese Risikopersonen ansteckend sein können.

Wie beurteilen Sie generell die Wahrscheinlichkeit einer Transmission durch Geimpfte?

Es ist davon auszugehen, dass die Transmission durch die Impfung sehr effektiv reduziert wird. Hier liegen zunehmend bereits sehr beeindruckende Daten vor, die uns große Hoffnung geben. Allerdings ist es ein Unterschied, ob man Transmission unter Immungesunden beurteilt oder in Richtung immuninkompetente Personen. Hier müssen wir wachsam bleiben. Im Kontakt mit alten Menschen, mit Krebspatienten unter Therapie, mit Immunsupprimierten, eventuell auch mit Personen unter Biologika-Therapie muss berücksichtigt werden, dass ihre Immunantwort unter Umständen schwächer ist und sie daher empfänglicher bleiben – auch gegenüber Varianten, die bei einem Gesunden vielleicht weniger gefährlich sind als bei einem Kranken. Solange wir keine Daten zum Transmissionsrisiko haben, ist es trotz Impfung wichtig, im Kontakt mit chronisch Kranken und Immunsupprimierten vorsichtig zu bleiben, um die Übertragungswahrscheinlichkeit zu reduzieren.

Wie beurteilen Sie den Schutz bei Escape-Varianten wie E484-K?

Bei B1.1.7 scheint der Schutz gegeben zu sein, vermutlich auch bei der südafrikanischen Variante. Zu allen anderen Mutationen, insbesondere auch der indischen Variante sind Daten abzuwarten. Das ist ein Kontinuum an Überwachung und Erkenntnis. Unser Tenor lautet: Sind Leute geimpft, so mag das ein Schritt zu einer Besserung der Situation sein, aber nicht zur kompletten Entspannung!

Wann rechnen Sie mit variantenadaptierten Booster-Impfungen?

Das ist derzeit schwer zu sagen, die Firmen bereiten sich sicher vor. Aber auch hier sind Daten notwendig, um zu erkennen, wann eine modifizierte Impfstoffvariante erforderlich ist. Die gute Nachricht ist, dass die Adaptationen der Impfstoffe gegebenenfalls relativ rasch erfolgen können. Aussagen sind insbesondere auch darum schwer, weil ja noch nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung geimpft ist und daher das gesamte epidemiologische Geschehen noch nicht ausreichend beeinflusst werden kann. Um die Zirkulation effektiv zu unterbinden oder zu erschweren, liegt das Hauptaugenmerk auf der möglichst breiten Immunisierung der Masse der Bevölkerung. Das heißt nicht, dass das Virus ausgelöscht werden kann, aber die Ausbreitung wird deutlich erschwert.

Bei den Vektorenimpfstoffen wird eine Immunreaktion gegen den Vektor diskutiert …

Es ist davon auszugehen, dass auch Antikörper gegen den Vektor gebildet werden. Ob insbesondere bei Menschen, die davor schon mit anderen Adenoviren Kontakt hatten, kreuzreaktive Antikörper gebildet werden, die das primäre Angehen der Impfung beeinflussen können, bleibt zu beobachten. In eigenen laufenden Studien sehen wir beim AstraZeneca-Impfstoff ein sehr gutes Ansprechen von 90 %. Das spricht dafür, dass der Adenoviren-Vektorimpfstoff eine sehr gute Immunität hervorrufen kann. Eventuell wird man aber bei der Booster-Impfung nicht neuerlich einen Adenoviren-Impfstoff geben, sondern einen mRNA- oder Subunit-Impfstoff bevorzugen.
Ich gehe davon aus, dass wir noch eine Reihe neuer Impfstoffe bekommen, die auf unterschiedlichen Technologien basieren, sodass man variieren kann.

Gehen Sie davon aus, dass alle Impfstoffe letztendlich boosterbar sind?

Ja, jedenfalls. Wurde generell nach einer Impfung eine Immunität induziert, dann ist in der Regel nach längerem Intervall die Boosterfähigkeit sehr gut. Es ist daher davon auszugehen, dass das auch bei den zugelassenen COVID-Impfstoffen ähnlich sein wird. Vielleicht wird es hilfreich sein, mRNA-Grund­immunisierte mit Vektoren- oder den kommenden Subunit-Impfstoffen zu boostern und Vektor-Impfstoff-Grundimmunisierte mit mRNA- oder Subunit-Impfstoffen.

Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: 21. Mai 2021

COVID-19-IMPFUNGEN
Anwendungsempfehlungen des Nationalen Impfgremiums
Version 4.0, Stand: 31. 5. 2021Österreichische Gesellschaft für Vakzinologie (ÖgVak)