Medikamenteninteraktionen beim älteren kardiologischen Patienten

Spektakuläre Innovationen für ältere kardiologische Patienten im letzten Dezennium können in der medizinischen Praxis umgesetzt werden. Das Management des akuten Koronarsyndroms mit invasiven und medikamentösen Methoden, die Behandlung der Herzinsuffizienz und die Klappenersatzoperationen wurden verbessert. Die Behandlung des Vorhofflimmerns und der Schutz vor Embolien durch moderne Gerinnungshemmer sind für ältere kardiologische Patienten wichtig.1 Gleichzeitig sind alle betreuenden Ärzte mit einem Wandel der Patientencharakteristik konfrontiert. Begleiterkrankungen, Multimorbidität und die damit einhergehende Problematik der Polypharmazie erfordern klare Konzepte. Diagnostische und therapeutische Maßnahmen der Altersmedizin bieten Chancen zur Optimierung dieser Situationen.2

Herausforderung Pharmakotherapie im Alter

• Dosis zu hoch: bei Niereninsuffizienz, Leberfunktionsstörung, Störung des Flüssigkeits- und Elektrolytaushaltes, ZNS-Veränderungen (erhöhte Empfindlichkeit – Frailty)
• Dosis zu niedrig? Das Prinzip lautet: „Start low, go slow, but go!“
• Unterbehandlung häufig: z. B. Antikoa – gulation bei Vorhofflimmern, Herz – insuffizienz, Hypertonie
• Interaktionen zwischen Medikamenten sind zu erwarten bei Begleiterkrankungen sowie bei Interaktionen auf Basis des Medikamentenabbaus
• Adhärenz zu Verordnungen ist herab – gesetzt bei Störung der Mnestik, bei Störung der Arzt-Patienten-Beziehung, bei inadäquaten Erwartungen, geweckt durch Printmedien und Internet
• Zugang zur Medikation ist herabgesetzt bei beeinträchtigter Mobilität, Funktiona – lität, geringen sozialen Ressourcen und schwieriger Wohnsituation • Medikationsfehler infolge mangelhafter Monitorisierung, Kontrollen und Anpassung
• ungeeignete Medikation im Sinne des Mottos: „Das Bessere ist der Feind des Guten“

Polypharmazie beim älteren Patienten

Für Patienten mit einem geriatrischen Profil gelten aufgrund der Begleiterkrankungen, der besonderen Pathophysiologie, Funktionalität und daraus resultierenden Polypharmazie besondere Behandlungsgrundsätze, die eines umfassenden geriatrischen Assessments zur Entscheidungsfindung bedürfen.3
Polypharmazie ist ein vielfach gebrauchter Begriff im Umgang mit geriatrischen Patienten. Die Definition beinhaltet zwei Dimensionen: Einerseits wird damit die zu hohe Medikamentenanzahl in den Therapieplänen beschrieben, die Obergrenze wird mit 3 bis 5 verschiedenen Substanzen angegeben. Andererseits bezieht sich der Begriff Polypharmazie auf die Qualität von Therapieplänen und meint die nach klinischer Prüfung (zum Beispiel mit dem Medication Appropriateness Index), unnötige oder ineffektive Medikation. Ursachen für Polypharmazie finden sind mannigfaltig: durch Weiterverordnung begonnener Therapie ohne Prüfung des Effekts, des Heilungsverlaufs, der Dosis oder der Wechselwirkung; durch Behandlung von Nebenwirkungen anderer Medikamente mit Medikamenten, Nichtbeachten der Adhärenz, Überschreiten der fachlich geregelten Therapiedauer und unzureichende Informationen über die Anwendung. Auf Patientenseite ist es die Verwendung von Medikamenten von Bekannten oder Familienmitgliedern, die ungeschützte Selbstmedikation, die zur Polypharmazie führt.

Medikamenten- Wechselwirkungen

Wechselwirkungen zwischen den Medikamenten („drug-drug-interaction“) entstehen aus folgen – den Interaktions-Typen:
• pharmakokinetisch: gegenseitige Beeinflussung der Resorption, Bioverfügbarkeit, Verteilung, Metabolismus, Enzyminduk – tion, Ausscheidung
• pharmakodynamisch: Rezeptorverhalten agonistisch oder antiagonistisch, Wirkung, Dosis
• pharmakogenetisch: pharmakodynamische und pharmakokinetische Variationen der Ausscheidung eines Pharmakons oder erhöhte Empfindlichkeit gegenüber einem Pharmakon: z. B.Glucose-6-Phosphat- Dehydrogenase-Mangel, Long-QTSyndrom, CYP2D6-Variation
• den wesentlichsten Faktor für das Risiko von Interaktionen stellt die Multimedika – tion dar

Werkzeuge zur Verhinderung von Interaktionen

Die entscheidende medizinische Tätigkeit zur Verhinderung von Interaktionen ist die sorgfältige Erstellung eines Medikamentenplans nach vorhergehendem Assessment mit folgendem Vorgehen:
• Problemliste nach Dringlichkeit und Wichtigkeit der einzelnen Erkrankungen erstellen; dabei
• die Prognose der Erkrankungen anhand der Ausprägung und des Komplikationsrisiko bewerten
• die Effektivität der medikamentösen Maßnahmen auf die Prognose bewerten
• die publizierte Kinetik der potenziellen Verbesserungskurve eines Medikaments in Relation zur allgemeinen Prognose anhand des Alters und der Komorbidität stellen
• die Ergebnisse mit den Patienten, dessen Wünsche und Vorstellungen abstimmen.

Nicht alle Interaktionen sind beeinflussbar. Im Falle einer Neueinstellung mit einem Medikament bedarf es einer sorgfältigen Überwachung. Hilfreich für den Überblick bestehender und bekannter Interaktionen sind die elektronisch verfügbaren Interaktionsmodule des „Austria-Codex“.
Zur Linderung der Multimedikation gibt es eine Reihe von evaluierten Methoden; ein Nachlesen in der Orginalliteratur ist jedenfalls hilfreich.

 

FACT-BOX

Werkzeuge zur Verringerung von Interaktionen und Multimedikation

• Medication Appropriateness Index – 10 Fragen, die klärend helfen4

• Beersche Liste, zuletzt 2003 angepasst – im Delphi-Verfahren erstellte Expertenliste, im angloamerikanischen Bereich häufig angewandt5

• In Österreich wurde von einer Arbeitsgruppe der Österreichischen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie eine Broschüre zum Thema Polypharmazie herausgegeben und kann dort bezogen werden. Sie ist auf Basis von Symptomen und möglicher medikamen – töser Ursachen und Interaktionen aufgebaut.6

• Eine österreichische Liste an inappropriaten Medikamenten mit Hinweisen zu einer Vielzahl von Kardiaka wurde herausgegeben zum raschen Abgleich und Prüfung der langen Medikamentenlisten7

• START- und STOPP-Kriterien – eine durch Experten in England erstellte Liste mit nach Körperschema erstellten Erkrankungen und Handlungsempfehlungen8, 9

 

 

1 Gosch M. et al., Z Geronotol Geriat 2012; 1:1-14
2 Dovjak P. et al., Wien Med Wochenschr 2010; 160:264-269
3 Fialova D. et al., JAMA 2005; 11:1348-58
4 Hanlon J.T. et al., J Clin Epidemiol 1992; 45:1045-51
5 Fick D.M. et al., Arch Intern Med 2003; 163:2716-24
6 Gosch M. et al., Polypharmazie-Broschüre. Copyright ÖGGG, Apollogasse 19, 1070 Wien
7 Mann E. et al., Wien Klin Wochenschr 2011; 1-10
8 Gallagher P. et al., Age and Ageing 2008
9 Barry J. et al., Age and Ageing 2007