Die Österreichische Hämophilie Gesellschaft stellt sich vor – Porträt einer Patientenorganisation

Krankheitsbild der Hämophilie

Bei der Hämophilie handelt es sich um eine rezessiv vererbliche Defizienz des Blutgerinnungsfaktors VIII (Hämophilie A) oder IX (Hämophilie B), wodurch es zu Störungen der Blutgerinnung kommt. Statistisch auf die Gesamtpopulation umgerechnet beträgt die Inzidenzrate der Hämophilie lediglich 1:10.000. Daraus ergibt sich für Österreich eine Patientengruppe von zirka 800 Personen. Dabei muss allerdings noch einmal zwischen schweren, mittelschweren und leichten Formen dieser seltenen Blutgerinnungsstörung unterschieden werden. Als schwere Erscheinungsformen werden jene Erkrankungen bezeichnet, die durch < 1 % Restaktivität des defizienten Gerinnungsfaktors im Blutplasma des betroffenen Patienten charakterisiert sind.
In Österreich sind etwa 500 Patienten aufgrund einer Hämophilie-Erkrankung in regelmäßiger ärztlicher Betreuung, der weit überwiegende Teil an einem der 14 registrierten Hämophilie-Behandlungszentren (Wien [3], Graz [2], Linz [2], Innsbruck [2], Salzburg, Klagenfurt, St. Pölten, Bregenz, Dornbirn; Reihung nach Patientenzahl).
Da die zugrunde liegenden genetischen Mutationen, die zum Auftreten der Hämophilie führen, X-chromosomal vererbt werden, manifestiert sich die schwere Hämophilie fast ausschließlich bei männlichen Personen, während bei Frauen (1 gesundes und 1 mutiertes X-Chromosom) normale oder auch leicht verminderte Faktor-VIII- oder Faktor- IX-Spiegel zu verzeichnen sind. Bei letzteren kann es ohne vorbeugende Behandlung nach größeren Operationen zu Nachblutungen kommen.
Ähnliche Blutgerinnungsstörungen wie das Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (Mangel des Von-Willebrand-Faktors) oder der Faktor- V-Mangel können allerdings auch Frauen betreffen. Als übergreifende Patientenorganisation vertritt die ÖHG die Interessen aller Patienten und Patientinnen mit seltenen Blutgerinnungserkrankungen, auch wenn diese nicht von einer „klassischen“ Hämophilie betroffen sind.
Das Krankheitsbild der Patienten ist im Alltag vor allem durch wiederholt auftretende, länger andauernde Blutungen – spontan oder bedingt durch äußere Einwirkung – und da – raus resultierende innere und äußere Hämatome gekennzeichnet. Ein beträchtlicher Teil der Blutungen betrifft Weichteile, Muskulatur und Gelenke. Diese Blutungen können bei stark ausgeprägten Erkrankungsformen zu einer nachhaltigen Schädigung des Bewegungsapparates führen. Vor allem wiederholte Einblutungen in die Gelenke können starke Schäden verursachen, da insbesondere das Knorpelgewebe durch die sich ablagernden Blutbestandteile dauerhaft zerstört wird. Mit fortschreitendem Alter leiden viele Patienten daher unter schweren Arthrosen (Hämarthrosen) und anderen Gelenkerkrankungen. Einige der gravierendsten Sekundärerkrankungen von Patienten mit schwerer Hämophilie sind demnach orthopädischer Natur und bedürfen daher auch der Behandlung durch konservative (Physiotherapie) oder operative Maßnahmen (Gelenkersatz oder -versteifung).

Behandlung der Hämophilie

Die Hämophilie ist nach wie vor nicht heilbar, jedoch im Alltag gut behandelbar. Dazu müssen die defizienten Blutgerinnungsfaktoren den Patienten mehrmals wöchentlich, in Form von konzentrierten Päparaten, intravenös substituiert werden. Nach der Substitution steigen die Faktorspiegel über einen Zeitraum von mehreren Stunden auf annähernd normale Werte an, werden vom Körper allerdings mit einer mittleren Halbwertszeit von ca. 12 Stunden (Faktor VIII) bzw. 17 Stunden (Faktor IX) wieder abgebaut.
In den meisten Fällen erfolgt die intravenöse Verabreichung dieser Präparate zunächst an einem Hämophilie-Behandlungszentrum oder durch einen niedergelassen Arzt. Um im akuten Bedarfsfall für eine möglichst rasche Verabreichung sorgen zu können, hat es sich allerdings bewährt, die Patienten und ihre Angehörigen (Eltern, Ehegatten) entsprechend zu schulen, um die Behandlung auch zu Hause durchführen zu können. Durch die Möglichkeit dieser Heimbehandlung konnten zudem auch prophylaktische Behandlungsregimes umgesetzt werden, was für viele Patienten nachweislich zu einer Verbesserung ihres alltäglichen Gesundheitszustandes geführt hat, da die Behandlung möglichen Blutungsereignissen bereits vorgreift und nicht erst dann erfolgt, wenn bereits eine deutlich erkennbare Blutung aufgetreten ist. „Standard of Care“ ist es in Österreich heute, die prophylaktische Behandlung bei Patienten mit schwerer Hämophilie bereits im Säuglings- oder Kleinkindesalter zu beginnen. Das individuelle Gerinnungsmanagement ist aufgrund der kurzen Halbwertszeiten der bislang verfügbaren Blutgerinnungspräparate kompliziert und stellt für viele Betroffene und deren Familien eine große Herausforderung dar. Die Handhabung der Präparate hat sich zwar, beginnend ab den 1970er-Jahren bis zum heutigen Tag, sukzessive verbessert (gegenwärtig können diese im Handgepäck mitgeführt werden,) ein großes Hindernis besteht allerdings nach wie vor in der intravenösen Verabreichungsform und – vor allem bei Kleinkindern – in einem ausreichenden venösen Zugang.

Schulung und Aufklärung

Wie im Fall anderer Selbsthilfegruppen auch, besteht die vordergründige Aufgabe der Österreichischen Hämophilie Gesellschaft (ÖHG) darin, die Betroffenen über ihre Erkrankung zu informieren, ihre Interessen und Anliegen zu vertreten, ihnen einen Platz zum Austausch persönlicher Erfahrungen zu bieten und sie individuell zu unterstützen. Mit den Patienten, die von anderen Orphan Diseases betroffen sind, teilen die Hämophilen die häufige Erfahrung, dass ihr Wissen um die eigene Erkrankung oft entscheidend sein kann – für die Hämophilen im Akutfall sogar lebensentscheidend.
Im Fall der Hämophilie-Behandlung ist der mündige Patient seit Jahrzehnten gelebte Praxis und ein eindeutiges Erfolgsmodell. Im Zentrum steht dabei die eigenverantwortliche Durchführung der Heimbehandlung, die intravenöse Substitution der defizienten Blutgerinnungsfaktoren mit konzentrierten Faktorpräparaten. Insbesondere durch die prophylaktische Behandlung hat sich die Lebensqualität der Patienten, bedingt durch weniger ausgeprägte (insbesondere orthopädische) Folgeerkrankungen, in den letzten Jahrzehnten stark verbessert. Die überwiegende Mehrheit der Patienten kann heute einem geregelten Berufsleben nachgehen, ist gesellschaftlich voll integriert und kann ein normales Leben führen. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Patientenpopulation nähert sich immer mehr derjenigen der Gesamtbevölkerung an.
Da die Gerinnungspräparate keine Nebenwirkungen aufweisen, besteht das einzige Problem im Hinblick auf die therapeutische Compliance der Patienten in der intravenösen Verabreichungsform. Zu diesem Zweck gibt es an den Behandlungszentren, vor allem an pädiatrischen Zentren, Schulungen für Eltern und Angehörige.

Aktivitäten der ÖHG

Die ÖHG bietet hierbei eine besondere Form der Unterstützung an. Neben der Produktion von Informationsmaterialien (Broschüren für Patienten und Angehörige; Aufklärungsunterlagen für Schulen und Kindergärten; Notfallkarten etc.) und der Organisation von Fortbildungstagungen sind es besonders die gemeinsamen Treffen und länger dauernden Veranstaltungen, die den Betroffenen und ihren Familien Rückhalt im Umgang mit der Erkrankung geben sollen. Alle Veranstaltungen finden zudem unter ärztlicher Betreuung oder in enger Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat statt, wodurch auch ein positives Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten gefördert wird – zumal die beiden Gruppen bedeutend kleiner sind als im Fall anderer Erkrankungen.

Sommer-Camp: Das jährliche, 3-wöchige ÖHG-Sommercamp für Kinder und Jugendliche findet 2012 zum 41. Mal in Folge statt – auch im internationalen Vergleich eine einzigartige Leistung! Dabei stehen nicht nur die frühzeitige Behandlung und Prävention der orthopädischen Sekundärerkrankungen der Hämophilie im Vordergrund. Körperliche Rehabilitation (Physiotherapie) und sportliche Betätigung sollen auch ein positives Körperbewusstsein schaffen, das Selbstwertgefühl stärken und die Entwicklung persönlicher Selbstständigkeit fördern. In fachärztlicher Betreuung lernen viele der jungen Teilnehmer die intravenöse Verabreichung der Gerinnungspräparate das erste Mal an sich selbst durchzuführen, etliche bereits im Volksschulalter. Der Austausch mit anderen jungen Betroffenen vertieft nicht nur das Verständnis der Hämophilie, sondern schärft zudem die Akzeptanz gegenüber der eigenen Erkrankung.

Winter- und Familientreffen: Noch vor wenigen Jahren galt das Schifahren aufgrund eines erhöhten Verletzungsrisikos als für Hämophile ungeeignete Sportart. Mit dem 14. ÖHG-Wintertreffen, das heuer stattfand, konnte einmal mehr bewiesen werden, dass sich durch die besseren Behandlungsmöglichkeiten auch die Freizeitaktivitäten der Hämophilen verändert haben. Wie das Sommercamp ist das Wintertreffen von der Idee geprägt, dass regelmäßige, sanfte sportliche Ertüchtigung wesentlich dabei helfen kann, orthopädischen Sekundärerkrankungen vorzubeugen, indem sie dazu beiträgt, die gelenksstützende Muskulatur zu stärken und Beweglichkeit zu erhalten.
Inhaltlich ist das Wintertreffen stärker auf die Bedürfnisse von Familien mit hämophilen Kindern ausgerichtet. Der Austausch der Eltern untereinander hat auch einen positiven Effekt auf den Umgang mit der Erkrankung des eigenen Kindes und ist eine Hilfestellung bei der Bewältigung der Schwierigkeiten, die dadurch entstehen – etwa wenn die Eltern lernen, die intravenöse Faktorgabe an ihren Kindern durchzuführen.
Ein weiteres Treffen im Sommer ist ausschließlich den Anliegen der Familien, Eltern und Angehörigen gewidmet.

 

Jugendtreffen und Fitnessprogramm: Den Problemen, die durch die Hämophilie im Zuge von Pubertät und Postpubertät entstehen, ist ebenfalls ein jährlich stattfindendes Jugend-Wochenende gewidmet. Auch hier stehen Sport und Physiotherapie im Zentrum, aber auch Themen wie berufliche Ausbildung und Arbeitssuche (nach Möglichkeit keine körperliche Schwerarbeit) und der Schritt in die volle persönliche Selbstständigkeit haben ihren Platz.
Zusätzlich wird im Rahmen eines gesonderten Fitness-Programms auch die sportliche Betätigung im Alltag gefördert: durch „Hämofit“ werden der regelmäßige Besuch eines Fitness-Centers oder andere sportliche Aktivitäten (Schwimmen, Physiotherapie, Tai Chi etc.) finanziell bezuschusst.

 

Psychosoziale Betreuung, finanzielle Unterstützung und rechtliche Vertretung: Bei sämtlichen Veranstaltungen der ÖHG geht es natürlich auch um die seelischen Unterstützung der Betroffenen und ihrer Familien bei den Problemen und Konflikten, die durch die Hämophilie entstehen. Darüber hinaus gibt es allerdings auch Angebote gezielter psychosozialer Betreuung, etwa in Form von Gesprächsabenden und Workshops.
Durch einen finanziellen Notfallfonds unterstützt die ÖHG zudem Betroffene und Angehörige, die durch ihre Erkrankung in eine soziale Notlage geraten sind. Diese Unterstützung kann z. B. als Zuschuss zur Miete erfolgen, als Darlehen zu Ausbildungszwekken oder als eine Bezuschussung bei der Anschaffung von dringend benötigten Heilbehelfen und Ähnlichem (Rollstuhl, behindertengerechter Umbau von Bad/WC etc.).
Auch der rechtliche Schutz von Patienteninteressen zählt zu den Aufgaben der ÖHG. Da es in der Vergangenheit zu Übertragungen von HIV und Hepatitis C durch kontaminierte Blutgerinnungspräparate gekommen ist, hat die Gesellschaft seit den 1980er- und 1990er-Jahren den Anspruch der infizierten Patienten auf Entschädigung auch mehrfach auf gerichtlichem Weg durchgesetzt. Dies führte unter anderem zur Einrichtung eines nationalen Entschädigungsfonds für HIV- sowie für HCV-Infizierte, dem die ÖHG, mit anderen Patientenvertretern, bis heute vorsitzt.

 

Humanitäre Hilfe und internationale Zusammenarbeit: Die ÖHG ist auf internationalem und globalen Niveau ausgezeichnet mit andern Patientenorganisationen vernetzt. Sie ist Mitglied der World Federation of Hemophilia (WFH) mit Sitz in Kanada, und des europäischen Dachverbandes, European Haemophilia Consortium (EHC), der auf Betreiben des verstorbenen ÖHG-Vorsitzenden Helmut Heisig mit begründet und zuletzt von dem, leider ebenfalls verstorbenen, ÖHG-Funktionär Dr. Hubert Hartl maßgeblich geprägt wurde.
Da die Situation der Betroffenen in anderen Ländern der Welt bei weitem nicht so gut ist wie in Österreich, leistet die ÖHG auch immer wieder humanitäre Hilfe bei der Unterstützung von Patienten und Patientenorganisationen in Ländern ohne ausreichende Gesundheitsversorgung und Zugang zu Blutgerinnungspräparaten. Besonders gut ist die Beziehung traditionell zu Rumänien, wo die Versorgung mit den nötigen Präparaten trotz EU-Beitritt nach wie vor katastrophal ist. Seit mehreren Jahrzehnten lädt die ÖHG daher jährlich einige rumänische Kinder ein, um 3 Wochen lang am ÖHG-Sommercamp teilzunehmen. Überdies organisiert die ÖHG auch immer wieder Spenden von Blutgerinnungspräparaten ins Ausland.

Hämophilie-Studienregister: Seit mehreren Jahren ist die ÖHG auch am Aufbau eines österreichweiten, wissenschaftlichen Forschungsregisters beteiligt, in dem alle Patienten, die unter Hämophilie A, B oder dem Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom leiden, erfasst werden sollen. Neben der Förderung wissenschaftlicher Forschung durch die Umsetzung von Studien, die aufgrund der geringen Patientenzahl schwierig durchzuführen sind, erfüllt das Register auch eine Aufgabe beim Monitoring des Gesundheitszustands der Patientengruppe und der Qualitätssicherung.

Als gemeinnütziger Verein freuen wir uns über Ihre Spende: Österreichische Hämophilie Gesellschaft Notfallhilfe Konto-Nr.: 7534713 Bawag/PSK 60.000