CONTRA: Spice gegen Arthritis?

Den Rheumatologen freut es besonders zu lesen, dass Cannabinoide den detrimentalen Effekt des Entzündungsmediators IL-1 auf die Knorpelzellen hemmen und somit vor dem Fortschreiten der Arthrose schützen könnten. Sogar in der Regulation des physiologischen Zelltodes bei Autoimmunerkrankungen sind die CB-Rezeptoren über die Steuerung der Phospholipidsynthese involviert, sie wurden auch in der Synovialis von Arthrose und rheumatoider Arthritis nachgewiesen.

Chronische Non-Cancer-Schmerzen: In einem rezenten narrativen Artikel berichtet Sunil Aggarwal von der Physikalischen Medizin der New York University, dass 71 % der Artikel einer Literatursuche über Cannabinoide einen analgetischen Effekt bei chronischen Non-Cancer- Schmerzen beschrieben, der bei den restlichen 11 kontrollierten Studien nicht bestand.

Fibromyalgie: Bei der Fibromyalgie ist eine bedeutende psychogene Komponente der Schmerzverarbeitungsstörung bekannt. Daher ist eine aktive Rolle des Patienten beim Umgang mit der Symptomatik notwendig und nicht ein einlullendes Gefühl des „benebelt seins“. Alles eine Frage der Dosis, die Urteilsfähigkeit muss jedenfalls bewertet werden, die Halbwertszeit von THC ist lang. Fiz et al. fanden 2011 in Barcelona eine Gruppe von 28 Cannabis-Konsumenten, die dennoch unter Fibromyalgie litten. In einem randomisierten Vergleich mit Amitryptiline aus Montreal (2010) konnten die Nabilone Patienten etwas besser schlafen, es wurde kein Effekt auf Schmerzen und Lebensqualität festgestellt. Zu Recht haben die Cannabinoide in der rezenten deutschen Leitlinie zur Therapie der Fibromyalgie also keinen Platz gefunden. Eine prospektive kontrollierte Studie bei Fibromyalgie („chronic wide spread pain“) mit einer vertretbaren Fallzahl fehlt, die dazu sehr kritische Dosisfindung auch. Bis dahin gelten Cannabinoide in der Indikation Fibromyalgie als experimentell.

Die chronische Polyarthritis wurde durch Cannabinoide in der bisher einzig findbaren, qualitativ höchst fragwürdigen kontrollierten Untersuchung im Jahr 2006 mit 31 Patientinnen gebessert (DAS28 sank von 5,9 auf 5,0, also klinisch irrelevant), die Begleittherapie war konstant, aber nicht angegeben); auch einige der Schmerzskalen waren statistisch gesenkt.

Nebenwirkungen: Von einer englischen Pharmafirma, die Cannabispräparate vertreibt, kommt die Meldung in „Expert Opinion on Drug Safety“, dass Abhängigkeit nur bei einem sehr kleinen Teil der Konsumenten entsteht. Milder Schwindel, trockener Mund, Sedierung, Angst, leider auch die erwartete Euphorie werden auch in den kontrollierten Studien zur medizinischen Anwendung von Cannabinoiden beim chronischen Schmerz als nur sehr selten und meist bei Therapiebeginn angegeben. Nausea und die sehr seltenen Psychosen treten bei den synthetischen Cannabinoiden auf, während kognitive Einschränkungen die Langzeitanwendung begleiten dürften.

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In der Konklusion ihres ausgezeichneten Reviews zur Analgesie durch Cannabinoide (Pharmacology 2012; 89:237-246) schätzt Dr. Birgit Kraft von der Medizinischen Universität Wien die analgetische Potenz bei chronischen Schmerzen als mild und schwer voraussagbar ein. Bei besonderen Patientengruppen (insbesondere mit neuropathischen Schmerzen) mögen die derzeit vertriebenen Cannabinoide einen adjuvanten analgetischen und naturgemäß schwer zu beweisenden Effekt haben. Für über 99 % der Patienten mit Gelenkschmerzen wird man wohl auf die bevorstehenden Entwicklungen molekular gezielter Eingriffe ins Cannabinoidsystem warten müssen. Das in der Drogenszene vermarktete Spice (mit synthetischen Cannabinoiden gesättigte Rauchpflanzen) wird gegen Arthritis nicht empfohlen. Ein vernünftiger, verantwortungsvoller Umgang mit den derzeitigen Arthritismedikamenten, die sich gezielt gegen den Entzündungsprozess richten, ist derzeit noch viel gescheiter.