Labormonitoring – wann hilfreich, wie machbar und wie aussagekräftig?

Die neuen, oralen und direkt – d. h. ohne Zwischenschaltung eines Vermittlers wie etwa von Antithrombin bei Heparinen – wirksamen Antikoagulantien (NOAC) hemmen direkt Thrombin (Faktor IIa) oder den Gerinnungsfaktor Xa (Substanzgruppe der „Xabane“) und wurden für den Einsatz ohne Labormonitoring entwickelt. In den Zulassungsstudien, die meist gegen die Goldstandards Warfarin oder Enoxaparin als Non-Inferiority-Vergleiche geführt wurden, wurde ein Labormonitoring nicht-systemisch implementiert. Genauso wurden die klinischen Endpunkte Rezidiv bzw. Rezidivfreiheit oder Blutungskomplikation nicht mit Wirkspiegelmessungen der jeweiligen Substanzen korreliert, auch wenn sie oftmals dennoch in Substudien vorgenommenen wurden. Ähnlich der Entwicklung beim niedermolekularen Heparinen herrschte in (Labor-)Fachkreisen bald Konsens, dass das Fehlen der Notwendigkeit eines permanenten Labormonitorings nicht die mögliche Messbarkeit dieser neuen Substanzen in täglich vorkommenden klinischen Situationen (z. B. Blutungsneigung, geplante diagnostische und therapeutische Eingriffe, geplante Fibrinolysetherapie) oder auch bei der Complianceüberprüfung ersparen kann. Auch bei Niereninsuffizienz oder interferierender Komedikation, bei denen eine Dosisreduktion empfohlen wird, könnte im Einzelfall die Messbarkeit dieser neuen Substanzen vom Labor gefordert werden.

Gerinnungstests und Nachweismöglichkeit

Schon geringe Mengen der neuen Antikoagulantien im Plasma beeinflussen in vitro eine Vielzahl von Gerinnungstests, ohne dass diese Veränderungen jedoch – wie bisher gewohnt bei Vitamin-K-Antagonisten oder Heparinen – die physiologische Gerinnungshemmung dieser Medikamente in vivo, d. h. klinisch/diagnostisch verwertbar widerspiegeln. Eine Auflistung dieser Beeinflussungen ist seit Oktober 2010 auf den Homepages der beiden Fachgesellschaften ÖGLMKC und ÖQUASTA unter http://oequasta.at/download/publikationen/.pdf bzw. http://www.oeglmkc.at/oak/index.html als Ergebnis einer multizentrischen Untersuchung zu finden.1, 2

Aus der Vielzahl der potenziellen, zum Teil aufwändigen Nachweissysteme für NOAC kristallisierten sich zuletzt (Stand Januar 2012) zwei einfache, praxisgerechte Testsysteme für die neuen Anti-IIa- und Anti-Xa-Hemmer heraus, die mittlerweile in Österreich CE-gekennzeichnet für die Routinebefundung (also nicht nur für Labormessungen unter Studienbedingungen) zugelassen sind (CE = „Communauté européenne“, Konformitätserklärung zu grundlegenden Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen aller relevanten europäischen Richtlinien). Für den direkten Thrombinhemmer Dabigatran gibt es einen von der Thrombinzeit abgeleiteten Test, der auch vom Dabigatran-Hersteller als praxisnahe Nachweismethode empfohlen wird (Hemoclot Thrombin Inhibitor Test, CoaChrom Diagnostica, Wien, Österreich).

Für den direkten Faktor-Xa-Hemmer Rivaroxaban gibt es derzeit (Stand Januar 2012) einen bereits von mehreren Diagnostikaherstellern angeboten chromogenen Anti-Xa-Test, wie er auch zur Messung von Heparin Verwendung findet, der unter Verwendung von CE-gekennzeichneten Kalibratoren und Kontrollplasmen der Wirksubstanz den Rivaroxaban-Spiegel im Plasma quantitativ (Angabe in µg/ml oder µg/l) verlässlich messen kann.

Spitzen- oder Talspiegelwerte und deren Interpretation

Dabigatran: Der Hersteller von Dabigatran, Boehringer Ingelheim, gibt unter Bezugnahme auf eine Zulassungsstudie (Stangier J. et al., Br J Clin Pharmacol 2007; 64:292-303) Hinweise zu den zu erwartenden Spitzenspiegeln bei Blutproben 2 Stunden nach Ersteinnahme von 100 oder 200 mg Dabigatranetexilat: Es wurden Spitzenspiegel von 128 bzw. 199 µg/l (= ng/ml) und im „steady state“ 191 bzw. 359 µg/l im Plasma von gesunden Männern gemessen. Mit dem Hemoclot-Test ermittelte Dabigatran-„Talspiegel“ (d. h. gemessen vor der Einnahme der nächsten in der Orthopädie üblichen Tagesdosis von 220 mg Dabigatranetexilat) über 67 µg/l sollen auf ein erhöhtes Blutungsrisiko hinweisen. Bei der bei Vorhofflimmern üblichen Einnahme von 2-mal 150 mg Pradaxa® sollen Talspiegel über 200 µg/l (bzw. ng/ml) mit einem Hinweis für erhöhtes Blutungs­risiko assoziiert sein.

Rivaroxaban: Bei Rivaroxaban zeigten chromatografische und massenspektrometrische Analysen bei orthopädischen Patienten nach Hüft­endoprothese nach 1-mal täglicher Einnahme von 10 mg bzw. 20 mg Rivaroxaban relativ weit streuende Spitzenspiegel von 91,4 bis 195,5 µg/l bzw. 159,6–359,8 µg/l und Talspiegel von 1,3–37,6 µg/l bzw. 4,3–95,7 µg/l. Wurde die Gesamttagesdosis von 10 und 20 mg auf zwei Gaben pro Tag verteilt, erzielte man 45,8–105,4 µg/l bzw. 102,7–218,2 µg/l als Spitzenspiegel und 4,2–39,2 µg/l bzw. 7,9–99,7 µg/l als Talspiegel. Erfahrungen zu Spitzen- oder Tagspiegeln in Relation zu einer etwaigen Blutungsneigung oder Empfehlungen zu Referenzbereichen von Spitzen- oder Talspiegelmessungen mit den chromogenen, praxistauglichen direkten Anti-Xa-Tests sind bis dato jedoch nicht bekannt.

Apixaban: Bei dem Anti-Xa-Hemmer Apixaban wurden in einer Nebenuntersuchung der ­APPRAISE-1-Studie Apixaban-Konzentrationen mit Flüssigchromatografie und Massenspektrometrie sowie mit einem Anti-Xa-Heparin-Test (Rotachrom, Diagnostica Stago) ermittelt und die Werte unter Studienbedingungen anhand einer Apixaban-Eichkurve sowie an einem Heparin-Kalibrator gemessen. Ein bezüglich Abnahmezeitpunkt nicht näher definierter Apixaban-Spiegel von 2,0–2,5 „Anti-Xa-Internationale-Einheiten niedermolekulares Heparin/ml Plasma“ wurde in dieser Publikation als mögliches Ziel für die VTE-Prophylaxe vermutet. Dieser Test ist für Apixaban jedoch noch nicht CE-zertifiziert, und die Messung in Einheiten einer anderen Wirksubstanz (Heparin) als Surrogat ist nur für Studienzwecke, jedoch nicht für eine klinisch relevante Befundungssituation geeignet. Ein geeignetes, CE-gekennzeichnetes Kalibratorplasma für die Messung von Apixaban-Wirkspiegeln ist jedoch noch 2012 zu erwarten.

Endoxapan: Für Edoxaban wird in Zukunft ebenso eine substanzspezifisch kalibrierte Anti-Xa-Messung zur Verfügung stehen.

FAZIT: Es stehen derzeit zwar Messmethoden, jedoch keine klinisch relevanten Referenzbereiche für die Interpretation von Wirkspiegelmessungen der NOAC zu Verfügung. Einige Expertenmeinungen befürworten daher ein strukturiertes Sammeln (z. B. in einem zen­tralen Register) von Tal- und oder Spitzenspiegelmessungen in klinisch relevanten Situationen (Endpunkte wie Blutung oder thromboembolisches Rezidiv/Ereignis).

 

1 Halbmayer W.M., J Kardiologie 2012; 19:27-32
2 Halbmayer W.M. et al., Clin Chem Lab Med 2012, in press, online prepubl. DOI 10.1515/cclm-2011-0888
Institut für Labormedizin mit Serologie und Infektionsdiagnostik, mit Ambulanz,Krankenhaus Hietzing mit Neurologischem Zentrum Rosenhügel, Wien,Labor-Ordination, 1030 Wien
Die neuen oralen Antikoagulantien (NOAC) sind direkte Thrombin- oder Faktor-Xa-Hemmer und werden nicht nach einem Gerinnungswert (Labor), sondern nach klinischer Indikation und Zulassung dosiert. Die NOAC verfälschen dosis- und zeitabhängig viele Gerinnungstests und können pathologische Gerinnungswerte vortäuschen. In speziellen klinischen Situationen kann die Messung der NOAC-Substanzspiegel sinnvoll sein. Es gibt dafür zwar bereits spezielle Labortests, klinisch relevante Erfahrungen oder Richtwerte zur Beurteilung des Risikos der Endpunkte „Blutung” oder “thromboembolisches (Rezidiv-) Geschehen” sind jedoch noch nicht verfügbar.