Langzeitfolgen des Bluthochdrucks – Antihypertensiva für die Demenztherapie?

In den USA war im Jahr 2009 die Demenz mit ihren Folgeerkrankungen bereits die sechsthäufigste Todesursache, im Rahmen der CASCADE-Studie betrug die Mortalität der fortgeschrittenen Demenz innerhalb von 18 Monaten 55 %. Unter Berücksichtigung prognostizierter Veränderungen der Bevölkerungsstruktur mit einer deutlichen Zunahme alter und sehr alter Menschen – einerseits durch medizinischen Fortschritt, andererseits eine niedrige Geburtenrate –, wird die anspruchsvolle und kostenintensive Betreuung dementer Personen zu einem massiven sozioökonomischen Problem werden. Da für die Demenz derzeit keine kurativen, sondern nur progressionsverzögernde therapeutische Ansätze zur Verfügung stehen, muss das Hauptaugenmerk auf die Prävention des kognitiven Verlusts durch Minimierung des Risikos gelegt werden. Als Demenzrisikofaktoren sind insbesondere zunehmendes Lebensalter sowie Hypertonie, Diabetes, Rauchen und Hypercholesterinämie zu nennen (Tab. 1).

 

 

Definition und Diagnose

Der aus dem Lateinischen abgeleitete Begriff Demenz – de im Sinne von Abhandenkommen, mens der Verstand – bezeichnet den Verlust höherer intellektueller Fähigkeiten des Menschen. Definitionsgemäß handelt es sich bei der Demenz um ein erworbenes Symptommuster, das kognitive Aspekte wie u. a. Störungen des Gedächtnisses, der Orientierung und der Sprache, aber auch der emotionalen Kontrolle und des Sozialverhaltens umfasst. Dies ist durch irreversible, fortschreitende strukturelle und morphologische Veränderungen des Gehirns bedingt und zieht eine Beeinträchtigung der Alltagsbewältigung nach sich. Im ­Gegensatz dazu wird im Rahmen milder kognitiver Störungen, die oftmals Vorstadien einer ­Demenz darstellen, der Alltag nicht beeinträchtigt.
Der Verdacht auf Entwicklung einer senilen Demenz, basierend auf Wesens- und Verhaltensänderungen wie Angst, sozialem Rückzug oder allgemeinem Desinteresse, wird meist im persönlichem Umfeld des Patienten, während dieser noch alle Defizite negiert, ausgesprochen. Die ärztliche Demenzdiagnostik umfasst üblicherweise Eigen-und Außenanamnese, neurologische Abklärung sowie ein Demenzscreening mittels entsprechender Tests wie z. B. dem MMSE (Minimal Mental Score Evaluation). Differenzialdiagnostisch sollte eine Abgrenzung zur depressiven Pseudodemenz angestrebt werden.

Epidemiologie

Die rasche Zunahme alter, über 65-jähriger, und sehr alter, über 85-jähriger Personen an der Gesamtbevölkerung – in Deutschland ist bereits ein Sechstel der Bevölkerung über 65 Jahre – zieht einen massives Anstieg demenzieller Erkrankungen nach sich. In Österreich betrug im Jahr 2000 die Prävalenz an Demenzpatienten 90.500 bei einer jährlichen Inzidenz von 23.600, für das Jahr 2050 sind Werte von 233.800 bzw. 59.500 prognostiziert. Kognitive Funktionsstörungen nehmen in höherem Lebensalter drastisch zu, im Alter von 65–69 sind 1,5 %, bei den 95–99-Jährigen aber 45 % davon betroffen. Eine nicht unwidersprochene geschlechtsspezifische Prävalenz von 2:1 bei Frauen wird auf deren höhere Lebenserwartung zurückgeführt. Der Östrogeneinfluss auf kognitive Leistungen wird durchaus kontrovers diskutiert.

Demenzformen

Wurden jahrzehntelang ältere demente Personen als Zerebralsklerotiker – was auch die vermutete Pathogenese miteinschloss – bezeichnet, werden heute Demenzen ihrer unterschiedlichen Ätiologie entsprechend wesentlich differenzierter unterteilt. Zur Zeit werden 60 bis 70 % auf neurodegenerative und 15 bis 20 % auf vaskuläre Veränderungen zurückgeführt, ca. 10 % aber wahrscheinlich ein wesentlich höherer Prozentsatz resultieren aus Mischformen (Abb.).

 

 

Vaskuläre Demenzen beruhen überwiegend auf athero- und arteriosklerotischen Gefäßwandveränderungen oder auch auf embolischen Gefäßverschlüssen. Okklusionen kleiner Gefäße können über die Entstehung strategischer oder multipler lakunärer Infarkte oder auch die Entwicklung einer Leukoaraiose „(white matter lesions“), also oft multiplen, auch konfluierenden Ischämiearealen im Marklagerbereich zur Demenz führen. Klinisch zeigen Personen mit subkortikal vaskulärer Demenz schwerpunktmäßig Beeinträchtigungen exekutiver Funktionen, Gedächtnis und Persönlichkeit sind meist weniger betroffen. Die Post-Stroke-Demenz, sie ist innerhalb von 3 Monaten nach einem Insult bei 25 % der Betroffenen festzustellen, kann auf präexistenten (subklinischen) vaskulären oder auf neurodegenerativen Veränderungen beruhen, die durch das Ereignis gleichsam demaskiert werden. Nicht zu vergessen ist, dass eine Hypertonie auch Vorhofflimmern induzieren kann, welches wieder die relativ häufigen embolischen Insulte verursacht. Besonders häufig führt die Kombination von Vorhofflimmern, Hypertonie und Diabetes zu kognitiven Funktionseinbußen. Eine perfekte Antikoagulation, wie sie mit rezent entwickelten Substanzen durchaus erzielbar ist, oder das Erreichen des Sinusrhythmus scheinen zur Prävention einer Demenzentwicklung zielführend.

Alzheimer-Demenz, 1901 erstmals von Alois Alzheimer an der 50-jährigen Auguste Deter diagnostiziert und als präsenile Demenz bezeichnet, wird heute auf Grund der Prävalenz in höherem Alter als senile Demenz vom Alzheimer-Typ bezeichnet, wobei die histologischen Veränderungen beider Formen ident sind. Bis heute ist die genaue Ursache dieser Erkrankung nicht erforscht, es spielt jedoch sicher das Beta-Amyloid, Spaltprodukt eines größeren Eiweißmoleküls, in Form von extrazellulären Plaques eine Rolle. Histologisch lässt sich außerdem die Anhäufung von pathologisch phosphoryliertem Tau-Protein als neurofibrilläre intrazelluläre Bündel nachweisen, weiters sind offenbar veränderte Konzentrationen der Neurotransmitter an der SDAT beteiligt.

Gemischte Demenz: Unter anderem aus der bekannten NUN-Study leitet sich das zunehmend akzeptierte Konzept der „gemischten Demenz“ ab, dass also Beta-Amyloid Plaques und intrazelluläre neurofibrilläre Bündel, wie sie für die Alzheimer-Demenz charakteristisch sind, häufig zusammen mit vaskulären Veränderungen multifaktoriell für die Demenzentwicklung ursächlich sind.

Risikofaktoren der Demenz

Vaskuläre Demenz ist das Ergebnis einer Infarzierung des Gehirns als Folge einer vaskulären Krankheit einschließlich der zerebrovaskulären Hypertonie. Die Infarkte sind meist klein, kumulieren aber in ihrer Wirkung (ICD-10, WHO Version 2011). Mit Einschluss der „vaskulären Krankheit“ in die ­Pathogenese der Demenz wird auch die Bedeutung kardiovaskulärer Risikofaktoren definiert, darüber hinaus ist wie bei allen kardiovaskulären Erkrankungen das zunehmende Lebensalter der führende Risikofaktor.

Als zentrale pathophysiologische Schnittstelle von Hypertonie und Alter wird die athero- und arteriosklerotische Veränderung zerebraler Gefäße postuliert mit dem konsekutiven Auftreten ischämischer Läsionen wie Insulten, lakunären Infarkten und „white matter lesions“. Im MRT zeigt sich einerseits eine mit dem Alter assoziierte Prävalenz stummer zerebraler Läsionen von bis zu 8 % bei 60-Jährigen und ca. 28 % bei 85-Jährigen, andererseits erhöht Hypertonie das Risiko um das 2,4-Fache, teilweise werden „white matter lesions“ bei bis zu 35 % der 30- bis 60-Jährigen mit mehreren Risikofaktoren gefunden. Das Vorliegen derartiger Läsionen geht mit einem Anstieg des Insultrisikos um das 3-Fache bzw. des Demenzrisikos um das 2,3-Fache einher.

Hypertonie und Demenz – Evidenzlage? Wie stellt sich die derzeitige Evidenzlage hinsichtlich des Einflusses der Hypertonie auf die Entwicklung kognitiver Funktionsstörungen bis zur Demenz dar?
Es wurden bisher einige Querschnittstudien zu dieser Fragestellung durchgeführt, wobei sich bei inkongruenten Ergebnissen dennoch mehrmals ein J-förmiger Zusammenhang zwischen Blutdruckhöhe und Demenzentwicklung zeigte. Somit scheint sowohl ein zu hoher als auch ein niedriger Blutdruck mit der Zunahme kognitiver Störungen assoziiert. Ein Erklärungsansatz des Phänomens niedriger RR und Zunahmen der Demenz sieht die Ursache dafür in der eingeschränkten Mobilität, dem Gewichtsverlust und dem teilweise reduzierten emotionalen Stress dementer Patienten, was sekundär zur Blutdruckreduktion führen kann (Tab. 2).

 


In Longitudinalstudien ließ sich der oben angeführte Mechanismus für den Konnex Blutdruck und Demenz nachvollziehen, es war in den meisten Studien ein erhöhter Blutdruck insbesondere im mittleren Lebensalter als Risikofaktor für die Entwicklung einer späteren Demenz feststellbar, jedoch etwa 6 Monate vor deren Manifestation zeigte sich eine rückläufige RR-Tendenz. Launer L. J. konnte bei diastolischen RR-Werten von 90–94 und systolischen Werten über 160 mmHg ein 4–5-fach erhöhtes Demenzrisiko nachweisen. Es zeigte sich auch, dass erhöhte Blutdruckwerte ab einem Alter von 50 Jahren mit einer Abnahme kognitiver Leistungen im Alter von 70 Jahren korrelieren, wie Kilander in einer Kohortenstudie, deren 70-jährige Teilnehmer ihre RR-Werte seit 20 Jahren dokumentiert hatten, zeigen konnte. SKOOG beobachtete das RR-Verhalten 70-jähriger Probanden ohne Anzeichen einer Demenz über 15 Jahre, auch hier traten umso häufiger kognitive Störungen auf, je höher der Ausgangs-RR war (Tab. 3). Zusammenfassend scheinen erhöhte Blutdruckwerte einen gravierenden Risikofaktor hinsichtlich der Entwicklung kognitiver Funktionseinbußen darzustellen. Bis zu 30 % aller Demenzfälle sollen auf eine Hypertonie im mittleren Lebensalter zurückzuführen sein.

 

 

Antihypertensive Therapie und Demenz

Ob eine antihypertensive Therapie eine Schlüsselrolle in der Demenzprävention spielt, ist eine Frage von eminenter Bedeutung, gerade vor dem Hintergrund der massiven Zunahme alter Menschen und damit auch der Hypertonieprävalenz in der Gesamtpopulation. Im Folgenden eine Zusammenfassung der Ergebnisse einiger relevanter Studien zu dieser Thematik.

Evidenzlage: In SHEP (Systolic Hypertension in the Elderly Program), SYST-EUR (Systolic Hypertension Europe), SCOPE (Study on Cognition and Prognosis in the Elderly) und PROGRESS (Perindopril Protection Against Recurrent Stroke Study) – alle Studien primär auf kardio- und zerebrovaskuläre Endpunkte ausgerichtet – wurden auch kognitive Funktionsänderungen in Relation zum Blutdruck evaluiert. In der SHEP-Studie (Chlorthalidon ± Atenolol bzw. Reserpin vs. Placebo) konnte primär keine Reduktion kognitiver Störungen erfasst werden, erst unter Einschluss fiktiver Veränderungen bei den Drop-outs ließ sich eine Risikoreduktion zeigen, Insulte nahmen wie zu erwarten unter blutdrucksenkender Therapie signifikant ab. Interessant erwiesen sich die Ergebnisse der SYST-EUR-Studie (Nitrendipin ± Enalapril oder HCT vs. Placebo), hier entwickelte die Verumgruppe signifikant seltener mit einer RRR von 55 % ein demenzielles Krankheitsbild, wobei insbesondere die Inzidenz der senilen Demenz vom Alzheimer-Typ (SDAT) mit 8 vs. 15 Fällen betroffen war. Die Resultate sind allerdings im Licht einer sehr niedrigen Inzidenzrate von 0,6 % zu sehen, sie bestätigten sich jedoch im weiteren Follow-up. Zerebrovaskuläre Events waren ebenfalls signifikant reduziert. Auch in der PROGRESS-Studie wurde der kognitive Effekt einer antihypertensiven Therapie mit Perindopril ± Indapamid untersucht, es konnte nur über die Reduktion der Insultrezidive die Anzahl der Patienten mit rückläufiger kognitiver Leistung von 11 % auf 9,1 % gesenkt werden, dieses Resultat ließ sich also nicht auf das gesamte Patientenkollektiv übertragen. Betrachtet man die Ergebnisse der SCOPE-Studie (AT1-Blocker vs. Placebo und beliebige antihypertensive Therapie ohne RAAS-Hemmer) bei 4.964 Personen im Alter von 70–89 Jahren mit einem durchschnittlichen MMSE von 28,5, so zeigte sich primär kein Einfluss der antihypertensiven Therapie auf die kognitive Leistung. Lag der MMSE bei Einschluss allerdings zwischen 24 und 28, war der kognitive Leistungsverlust unter Therapie wesentlich geringer.
Nur eine tendenzielle Reduktion der Demenzfälle war in der HYVET-COG-Studie unter Verum zu erfassen, wobei aber der kurze Beobachtungszeitraum von 2 Jahren dabei mitgespielt haben mag. Auch in einer Metaanalyse von 11 randomisierten Studien (n = 29.146) wurde die Frage nach Verhinderung bzw. Progressionshemmung zerebralen Leistungsverlusts unter antihypertensiver Therapie gestellt, hier lässt sich ein diesbezüglicher Erfolg der Therapie erkennen.
Eine im BJM 2010 publizierte Analyse der Krankenakte von über 800.000 Patienten mit kardiovaskulären Grunderkrankungen verglich unterschiedliche antihypertensive Therapieansätze hinsichtlich einer Demenzprävention und Progressionshemmung. Studienendpunkte dieser über 4 Jahre laufenden Untersuchung waren Neuauftreten einer Demenz, Dauer bis zur Notwendigkeit einer Heimeinweisung bzw. zum Todeseintritt. Beim Einsatz von AT1-Blockern war die Inzidenz einer neu auftretenden Demenz um 24 % vs. Kontrollgruppe reduziert bzw. um 19 % vs. ACE-Hemmer-Therapie. Die Notwendigkeit einer Heimeinweisung unter AT1-Blocker war um 49 %, die Todesrate um 19 % vs. Kontrollgruppe gesenkt. Dabei darf die geringe Beweiskraft von Beobachtungsstudien nicht vernachlässigt werden.