RANKL-Blockade beim Prostatakarzinom

Die Entdeckung des RANKL-(Receptor Activator of Nuclear Factor kB-Ligand)-Signalwegs führte zu einem entscheidenden Fortschritt im Verständnis der Knochenbiologie. Insofern kann die Beeinflussung des RANKLSignalwegs als vielversprechender Ansatz einerseits zur Prävention des Knochendichteverlusts bei Prostatakarzinom-Patienten unter Androgendeprivationstherapie, andererseits zur Verzögerung von Skelettkomplikationen beim metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinom gesehen werden.
Im Zentrum des Knochenmetabolismus steht die Interaktion zwischen Osteoblasten und Osteoklasten, auf deren Cross-Talk die Forschung vor rund 12 Jahren aufmerksam wurde. Der Cross-Talk findet mittels RANKL, einem essenziellen Mediator für die Bildung, Funktion und das Überleben der Osteoklasten, statt. RANKL gehört zur Superfamilie der TNFs, ist an die Membran gebunden und bindet spezifisch an zwei Moleküle, den eigentlichen Rezeptor RANK und an Osteoprotegerin (OPG), die beide von Osteoblasten produziert werden. OPG wird von Osteoblasten sezerniert und inaktiviert RANKL, sodass die Osteoklastendifferenzierung gestoppt werden kann. Das Verhältnis zwischen RANKL und OPG bestimmt das Ausmaß der osteoklastären Aktivität.1
Bei der Metastasierung setzen sich Tumorzellen im Knochen fest und produzieren Zytokine, die die Aktivität der Zellen des Knochengewebes beeinflussen. Der Knochenstoffwechsel wird durch den metastasengesteuerten Mechanismus in zwei unterschiedliche Richtungen verschoben: es kommt zu einem überschießenden Knochenabbau mit abnormer Knochenstruktur (osteoblastische Knochenmetastasen) oder zu einem Knochenabbau (osteolytische Knochenmetastasen). Ebenso können Knochenmetastasen auftreten, die ein gemischtes Erscheinungsbild haben. In jedem Fall hat dieser Prozess des Knochenumbaus eine Schwächung der stabilen Knochenstruktur zur Folge. Dabei bestimmt der Primärtumor den Metastasentyp im Knochen.

Das Prostatakarzinom stimuliert durch seine Botenstoffe (z. B. PTHrP [Parathormone-related Peptide Factor] und IGF [Insulin-like Growth Factor] vor allem Osteoblasten, was zur Ausbildung osteoblastischer Metastasen führt. (Vergleich: Tumoren der Niere oder Schilddrüse beeinflussen vorwiegend Osteoklasten → osteolytische Metastasen). Bei osteoblastischen Metastasen regen die Wachstumshormone die Osteoblasten an, sich zu vermehren, mit der Konsequenz des Aufbaus eines krankhaft verdichteten und instabilen Knochens. Die im Osteoblasten induzierte RANKL-Sekretion in Kombination mit der vom Osteoklas – ten ausgehenden Tumorzellen-Stimulierung führt zu einem Circulus vitiosus, dessen Unterbrechung möglich ist: mit der Verhinderung der Überaktivität der Osteoklasten. Wird der Cross-Talk gehemmt, kann in der Folge die Bildung und Funktion der Osteoklas – ten und damit Stimulierung des Tumorzellwachstums gebremst werden. Jener Wirkstoff, der spezifisch RANKL inaktiviert und somit die Osteoklasten hemmt, ist Denosumab. Der vollhumane Antikörper ist bereits seit Ende Mai 2010 als Prolia® zur Behandlung eines Knochendichteverlusts durch eine hormonablative Therapie bei Männern mit Prostatakarzinom und erhöhtem Frakturrisiko zugelassen. Im Juli 2011 erfolgte die Zulassung der EMA als Xgeva® zur Prävention von skelettbezogenen Komplikationen bei Knochenmetastasen durch solide Tumoren wie z. B. das Prostatakarzinom.

Im fortgeschrittenen Prostatakarzinom-Stadium kommt es in mehr als 80 % der Fälle zur Knochenmetastasierung2, die mit typischen Komplikationen einhergehen. Im Vordergrund steht der Knochenschmerz, der häufig auch den ersten diagnostischen Hinweis gibt. Häufige skelettale Komplikationen sind weiters pathologische Frakturen, spinale Kompressionssyndrome und Verdrängungsmyelopathien als Folge einer Knochenmarkkarzinose.

Diese skelettbezogenen Ereignisse (SRE) gehen nicht nur mit einer hohen Morbidität im Sinne der Beeinträchtigung von Mobilität, Selbstständigkeit und Lebensqualität einher, sie erhöhen auch das Mortalitätsrisiko. Die Verzögerung entsprechender Ereignisse stellt daher ein wichtiges Therapieziel dar. Gemäß der im März in „Lancet“ von Fizazi et al. publizierten Phase-III-Studie3 bei Männern mit Knochenmetastasen (n = 1.901) aufgrund eines hormonrefraktären Prostatakarzinom kann der RANKL-Antikörper Denosumab verglichen mit Zoledronsäure die Zeit bis zum ersten SRE signifikant verlängern. Primär galt die Nichtunterlegenheit von Denosumab bezogen auf die Zeit bis zum Auftreten des ers – ten SRE als Therapieziel. Die Studie war aber auch für den Nachweis der Überlegenheit (sekundärer Endpunkt) statistisch angelegt. Die Therapie mit Denosumab brachte eine Verzögerung bis zum ersten SRE von im Median 3,6 Monaten (Denosumab: 20,7 Monate, Zoledronsäure: 17,1 Monate) (HR 0,82; 95%-KI 0,71–0,95; p = 0,0002 für Nicht-Unterlegenheit, p = 0,008 für Überlegenheit).

Metastasen-Prävention: Noch keine Zulassung hat der RANKL-Inhibitor in der Prävention von Metastasen, was gerade bei kastrationsresistenten Prostatakarzinom-Patienten als diesbezügliche Risikopopulation einen nicht gedeckten medizinischen Bedarf darstellt. Auf der diesjährigen Jahrestagung der American Urological Association (AUA) präsentierte M. Smith, Professor an der Harvard Medical School und Direktor des Genitourinary Malignancies Program am Massachusetts General Hospital Cancer Center, Boston, in einer Late-breaking-Plenarsitzung ein Update einer Phase-III-Studie (Dmab’147) zum knochenmetastasenfreien Überleben bei hormonrefraktärem Prostatakarzinom.4

Dmab’147: Primärer Studienendpunkt war die Zeit bis zum ersten Auftreten von Knochenmetastasen oder Tod jeglicher Ursache. Zu den sekundären Endpunkten zählten die Zeit bis zum ersten Auftreten von Knochenmetastasen (unter Ausschluss von Tod) und das Gesamtüberleben. In die Studie eingeschlossen wurden 1.432 Patienten ohne Knochenmetastasen zu Studienbeginn, aber hohem ossärem Metastasierungsrisiko (rascher PSA-Anstieg). Die Patienten erhielten entweder Denosumab 120 mg s. c. alle 4 Wochen oder Placebo.
Die Verabreichung des RANKL-AK resultierte in einem signifikant längeren metastasenfreien Überleben von im Median 4,2 Monaten (29,5 vs. 25,2 Monate; HR 0,85; 95%- KI 0,73, 0,98; p = 0,028; Risikoreduktion 15 %). Denosumab bewirkte auch eine signifikante Verlängerung der Zeit bis zum Auftreten der ersten Knochenmetastasen um 3,7 Monate verglichen mit Placebo (HR 0,84; 95%-KI: 0,71, 0,98; p = 0,032; Risikoreduktion 16 %). Das Risiko für symptomatische Knochenmetastasen reduzierte der RANKL-AK zudem um 33 % (HR 0,67; 95%- KI: 0,49, 0,92; p = 0,01). Das Gesamtüberleben zwischen beiden Gruppen war vergleichbar (HR 1,01; 95%-KI: 0,85, 1,20; p = 0,91). Die HR für progressionsfreies Überleben betrug 0,89 (95%-KI: 0,78, 1,02; p = 0,093).
Parallel zu Dmab’147 laufen mehrere Phase- III-Studien in großen Patientenkohorten, die Denosumab mit Placebo oder einer Bis – phosphonattherapie bei Prostatakarzinom- Patienten mit oder ohne Knochenmetastasen vergleichen.2

 

1 Hofbauer L.C. et al., Cancer 2001; 92:460-70

2 Sturge J. et al., Nat Rev Clin Oncol 2011; 8:357-368

3 Fizazi K. et al., Lancet 2011; 377:813-822

4 Smith M.R. et al., AUA 2011; Late-Breaking Science Presentation

 

 

KOMMENTAR

 

Das bisher bei Patienten mit Knochenmetastasen verwendete Medikament Zoledronat hemmt die Funktion der Osteoklasten auf rein chemischem Weg. Seine Wirksamkeit ist relativ gut und schon seit Langem bekannt. Das Medikament vermag das Auftreten von Komplikationen um Monate zu verzögern. Es gibt allerdings Patienten, die Zoledronat nicht vertragen, und die Substanz kann vor allem in den Nieren zu ernsthaften Nebenwirkungen führen. In solchen Fällen gibt es keine Diskussion, die Patienten auf Denosumab umzustellen. Aber ganz allgemein: Sind die neuen Möglichkeiten um so vieles besser, dass wir die Bisphosphonate sofort verlassen?
Was sind die Fakten? Eingebunden in ein internationales Forschungsprojekt hat die Arbeitsgruppe Urologische Tumoren der Klinik für Innere Medizin I unter meiner Leitung an zwei groß angelegten klinischen Phase- III-Studien mitgearbeitet und die Wirkung von Denosumab bei Tumorpatienten mit Knochenmetastasen erfolgreich getestet. Der Antikörper Denosumab heftet sich an den Botenstoff RANKL. Letzterer ist für die Aktivierung der Osteoklasten zuständig und bindet sich dazu an spezielle Rezeptoren an der Oberfläche dieser Zellen. Osteoblasten produzieren sowohl RANKL wie auch dessen Inhibitor, das Osteoprotegerin. Das Wechselspiel zwischen diesen beiden Substanzen reguliert somit die Balance zwischen Aufund Abbau von Knochengewebe. Denosumab imitiert gewissermaßen Osteoprotegerin. Die künstlichen Antikörper machen RANKL bindungsunfähig. Die Osteoklasten werden somit nicht länger stimuliert und der metastasenbedingte Knochenschwund gebremst.
In einer der beiden Studien verglichen wir die Effektivität von Denosumab und Zoledronat hinsichtlich der Verzögerung von Komplikationen bei Patienten mit Prostatakrebs bedingten Knochenmetastasen. Unter denjenigen, die Denosumab verabreicht bekamen, traten die ersten Knochenschäden knapp 21 Monate nach Behandlungsbeginn ein. Bei der Zoledronat- Vergleichsgruppe passierte dies im Schnitt nach gut 17 Monaten. Die künstlichen Anti – körper haben somit bei Prostatakarzinom-Betroffenen eine bessere Wirkung als das klassische Zoledronat, aber ein Wundermittel ist Denosumab nicht. In der zweiten Testreihe mit Patienten, die unter Knochenmetastasen von anderen Krebsformen litten, schnitten beide Medikamente etwa gleich gut ab. Osteonekrosen traten auch in den Antikörper- Gruppen vereinzelt auf. Denosumab hat also einen minimalen Vorteil bei höheren Kosten und so wird es auch bleiben, weil die gentechnologische Herstellung von Antikörpern viel teurer ist als die chemische Synthese eines Bisphosphonat-Präparats. Dennoch ist es eine sehr interessante Substanz und für Patienten wie für Ärzte ist es ein großer Vorteil, aus mehreren Alternativen auswählen zu können. Eines muss jedoch beachtet werden: Die künstlichen Antikörper greifen in ein hochkomplexes System ein. Das von ihnen imitierte Osteoprotegerin ist nämlich strukturell identisch mit einer weiteren körpereigenen Substanz, dem TRAIL-V-Rezeptor. Dieser wiederum dürfte eine wichtige Rolle im Apoptose- Prozess spielen. Ob Denosumab langfristig dieses Regelwerk stört und somit negativ beeinflusst, lässt sich zurzeit noch nicht eindeutig klären.