SERIE Venöse Thromboembolie: Die Zukunft der neuen oralen Antikoagulantien ist angebrochen – mit offenen Wünschen

Seit Jahren konzentriert sich die Weiterentwicklung von Gerinnungshemmern zur Prophylaxe und Therapie thromboembolischer Erkrankungen auf orale Substanzen. Welches Ziel wird damit verfolgt?
Die in Österreich zur Verfügung stehenden gerinnungshemmenden Arzneimittel Marcoumar® und Sintrom® sind mittlerweile rund 60 Jahre alt. Man kennt sie sehr gut und
hat viel Erfahrungen gesammelt. Da es sich um Vitamin-K-Antagonisten handelt, steht deren Wirksamkeit in enger Verbindung mit der Nahrungsaufnahme. D. h. diese Medikamente wirken bei gleichzeitiger Aufnahme Vitamin-K-haltige  Speisen wie etwa von bestimmten Gemüsesorten weniger gut. Nimmt jemand kaum Vitamin K über die Nahrung zu sich, wirken diese Medikamente andererseits sehr stark. Insofern ist es sehr wichtig, bei diesen Patienten regelmäßig eine Gerinnungskontrolle durchzuführen, um zu sehen, ob die Patienten im therapeutischen Bereich sind. Patienten werden im Rhythmus von 4-6 Wochen kontrolliert bzw. alle 2 Monate, wenn der Patient gut eingestellt und compliant
ist. Mit der Entwicklung der neuen oralen Antikoagulantien wurde das Ziel verfolgt, nicht mit der Nahrungsaufnahme zu interferieren und keine regelmäßige Gerinnungskontrolle durchführen zu müssen – bei gleich guter Wirksamkeit und keinem größeren Blutungsrisiko als mit bestehenden Substanzen.

Worauf muss der Patient im Zuge der Einnahme herkömmlicher Gerinnungshemmer achten?
Bei diesen Medikamenten muss der Patient darauf achten, sich regelmäßig und ausgewogen zu ernähren. Er sollte darauf achten, keine Ausreißer zu haben wie z. B. keine einseitigen Fasttage oder Alkohol in Übermaß. Dazu kommen regelmäßige Arztbesuche zur Gerinnungskontrolle.

Wie hoch schätzen Sie den Anteil der mit Marcoumar® oder Sintrom® richtig
eingestellten Patienten?

Nur maximal jeder Zweite ist trotz regelmäßiger Medikamenteneinnahme richtig
eingestellt, was auf die Probleme der Über-/Unterdosierung bzw. die unregelmäßige Lebensführung (Nahrungsaufnahme) zurückzuführen ist.

Können Sie die neuen oralen Antikoagulantien (OA) kurz beschreiben?
Im Prinzip sprechen wir über zwei neue Subs tanzen: Rivaroxaban (Xarelto®), ein Faktor-Xa-Antagonist, ist bereits zur Verhinderung von Thrombosen bei Venen- und Lungenembolien bzw. auch zur Verhinderung von Embolien bei Herzrhythmusstörungen zugelassen. Dabigatran (Pradaxa®), ein Prothrombinhemmer, ist derzeit zur Verhinderung von Embolien bei Herzrhythmusstörungen und zur Verhinderung der Entstehung von Thrombosen bei orthopädischen Operationen zugelassen. Vermutlich im Mai wird die
Zulassungserweiterung zur Verhinderung einer Thrombose nach bereits stattgefundener Thrombose erfolgen. Neue orale Antikoagulantien zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu den alten Substanzen nicht auf mehrere Gerinnungsfaktoren gleichzeitig wirken. Wirken Marcoumar® und Sintrom® auf 4-5 Gerinnungsfaktoren gleichzeitig (alle Vitamin-K-abhängig), wirkt Rivaroxaban nur auf den Gerinnungsfaktor Xa und Dabigatran nur auf den Gerinnungsfaktor 2.

Was erhofft man sich von dieser spezifischen Wirksamkeit?
Man erhofft sich, dass Wirksamkeit und Blutungsrisiko ein noch günstigeres Verhältnis aufweisen als alte Medikamente. Ein wesentlicher Vorteil der beiden Substanzen ist deren Vitamin-K-Unabhängigkeit, die Nahrung beeinflusst nicht die Wirksamkeit. Das bedeutet die Möglichkeit einer fixen Dosierung (Xarelto® 1 Tablette, Pradaxa®: 2 Tabletten), im Gegensatz zu den alten Medikamenten, wo die Dosierung individuell ist. Es fallen auch regelmäßige Gerinnungskontrollen weg.

Welche Indikation sehen sie als die größte für den Einsatz der neuen OA?
Das Vorhofflimmern.

Die Wirksamkeit der neuen OA zur Thromboseverhinderung ist erwiesen. Wie steht es mit dem Blutungsrisiko?
Bei Substanzen, die in der Verhinderung von Thrombosen sogar besser sind, muss notgedrungen auch das Risiko für Blutungen ansteigen. Es hat sich somit auch gezeigt, dass in gewissen Situationen das Blutungsrisiko mit den neuen OA nicht geringer als mit
den alten Medikamenten ist.

Gibt es Patienten, die für neue OA nicht ge eignet sind?
Ja, in erster Linie sind dies Patienten mit schlechter Compliance. Patienten mit schlechter Compliance sollten zur Gewährleistung der Kontrolle besser eine regelmäßige Injektion
erhalten. Kontraindiziert sind auch Patienten, die von vornherein eine erhöhte Blutungsneigung (z. B. Personen mit regelmäßigen Magengeschwüren, Personen mit erfolgter Gehirnblutung) haben.

Was muss bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion beachtet werden?
Vor Beginn einer Behandlung mit den neuen OA ist die Nierenfunktion durch die Bestimmung der Kreatinin-Clearance zu prüfen. Auch während der Therapie sollte die Nierenfunktion in bestimmten klinischen Situationen, in denen eine mögliche Abnahme oder Verschlechterung der Nierenfunktion zu vermuten ist (z. B. Dehydratation bei älteren Patienten), überprüft werden.

Muss man bei den neuen OA auf Interaktionen achten?
Nein. Bisher gibt es keine Hinweise, dass medikamentöse Interaktionen bzw. Interaktionen mit Nahrungsmittelbestandteilen bestehen.

Sie selbst setzen die neuen OA ein. Ihre Erfahrungen?
Unsere Erfahrungen sind sehr gut. Natürlich muss man sagen, dass die neuen OA auch ihre Einschränkungen haben. In der Akutsituation ist es möglich, das Ausmaß der Antikoagulation zu bestimmen. Es gibt bei den neuen OA keinen Gerinnungswert, der uns
längerfristig eine Über- oder Unterdosierung widerspiegelt. Ein Beispiel: in Patient unter Therapie mit einer der neuen Substanzen hat einen Verkehrsunfall und eine größere Operation muss erfolgen. Der Chirurg bräuchte das Wissen, in welchem Zustand sich die Blutgerinnung befindet, aber, wie gesagt, es gibt keinen Gerinnungswert. Man kann davon ausgehen, dass es einen derartigen Wert in Zukunft geben wird. Ein Nachteil der neuen Substanzen ist auch, dass es keine spezifischen Antidots für den Fall einer Blutungskomplikation gibt. Derzeit geben wir ein Gerinnungsfaktoren-Konzentrat.

Welcher Patient sollte von einem Vitamin-K-Antagonisten auf ein OA umgestellt werden, vor dem Hintergrund der Therapiekosten?
Es ist grundsätzlich jener Patient ein Kandidat für eine Umstellung, der mit einem alten Medikament schlecht eingestellt ist. Das heißt, wenn ein Patient selten im therapeutischen Bereich des angestrebten Gerinnungswertes ist, wenn der Betroffene eine stark variierende Kost zu sich nimmt (z. B. ein Reisender) oder jemand über längere Zeit antikoaguliert werden muss. Jemand der gut eingestellt ist, eine Kontrolle im nur 2-monatlichen Abstand benötigt und compliant ist, sollte nicht auf ein teureres neues OA umgestellt werden.