Einfluss von Geschlecht auf Krebs und kardiovaskuläre Gesundheit

Die Kardioonkologie ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das sich mit den Wechselwirkungen zwischen Krebserkrankungen und dem Herz-Kreislauf-System beschäftigt. Es umfasst die Prävention, Diagnose, Behandlung und Nachsorge von kardiovaskulären Erkrankungen, die im Zusammenhang mit Krebserkrankungen und deren Therapie auftreten können. Dazu gehört insbesondere die frühzeitige Diagnose von Herzerkrankungen mit Hilfe regelmäßiger Screeninguntersuchungen und Biomarkeranalysen, noch bevor Symptome auftreten. Angesichts der Komplexität der verschiedenen Krebstherapien ist eine individuelle Behandlung der Patient:innen unerlässlich. Die enge Zusammenarbeit zwischen Kardiolog:innen, Onkolog:innen und Radioonkolog:innen ist dabei essenziell, um die Herzgesundheit von Krebspatient:innen während und nach der Therapie zu sichern.

Kardiotoxizität

Die Kardiotoxizität umfasst verschiedene Formen von Herz-Kreislauf-Komplikationen, die im Zusammenhang mit onkologischen Behandlungen entstehen können. Eine kardiale Dysfunktion oder Herzinsuffizienz können asymptomatisch bleiben oder sich klinisch manifestieren. Myokarditis, eine immunvermittelte Entzündung des Herzmuskels, tritt oft im Zusammenhang mit Immun-Checkpoint-Inhibitoren auf. Darüber hinaus können Arrhythmien, z. B. Vorhofflimmern oder eine QT-Verlängerung im EKG, auftreten (z. B. bei CDK-4-Inhibitoren bei Brustkrebspatientinnen). Ein QT-Intervall von über 500ms wird als verlängert angesehen, wobei Frauen ein besonderes Risiko tragen.1

Krebs: Inzidenz und Überleben

Die Häufigkeit von Krebserkrankungen und die Überlebensraten unterscheiden sich zwischen Männern und Frauen deutlich. Bereits im Kindesalter zeigt sich, dass Jungen eine um 20 % höhere Krebsinzidenz aufweisen als Mädchen. Bei jungen Erwachsenen hingegen, insbesondere bei Frauen im Alter von 20 bis 29 Jahren, werden höhere Krebsraten beobachtet, wobei Brustkrebs gefolgt vom Zervixkarzinom besonders häufig diagnostiziert wird. Im Erwachsenenalter erkranken Männer generell häufiger an Krebs wie z. B. an Prostatakrebs oder Darmkrebs. Langfristig überleben Frauen häufiger nach einer Krebsdiagnose als Männer – das Langzeitüberleben von Frauen ist 2,5-mal höher. Allerdings sind Frauen auch stärker von kardiovaskulären Spätfolgen betroffen.2

Herz-Kreislauf-Risiken bei Frauen und Krebstherapie. Frauen haben bei einigen spezifischen Krebstherapien ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen. So treten unter Bevacizumab, einem häufig eingesetzten monoklonalen Antikörper gegen den Gefäßwachstumsfaktor VEGF (z. B. bei Darm-, Brust- und Ovarialkarzinom) bei Frauen häufiger schwere Hypertonie sowie eine höhere Rate venöser Thromboembolien auf als bei männlichen Patienten. Auch unter 5-Fluorouracil (z. B. Capecitabin) wurden in Studien mehr Kardiotoxizitäten beschrieben.2Nach einer Radiotherapie, insbesondere bei linksseitiger Brustkrebsbestrahlung, zeigt sich ein signifikant erhöhtes Langzeitrisiko für das Entwickeln einer koronaren Herzkrankheit und Herzinsuffizienz.3 Bei Brustkrebspatientinnen muss daher in der Nachsorge nach Überleben des Krebses auf die Entwicklung einer Koronarsklerose geachtet werden, auch Herzklappenverkalkungen sowie Vorhofflimmern können auftreten. Frühzeitig sollte ein Statin eingesetzt werden. Je nach Strahlendosis und begleitender Chemotherapie (insbesondere Anthrazykline) sollten nach 5 Jahren ein Koronarscreening mit Echokardiografie, die NT-proBNP-Bestimmung als Herzbiomarker aus dem Blut und eine Ergometrie sowie eventuell ein Koronar-CT durchgeführt werden.

Darüber hinaus entwickeln Frauen nach einer Chemotherapie häufiger eine Hyperlipidämie und Hypertonie, oft in Verbindung mit einer vorzeitigen Menopause, die durch den weiblichen Hormonabfall wiederum das kardiovaskuläre Risiko steigert. Bei der Kombination von Therapien, insbesondere bei HER2-gerichteten Behandlungen (z. B. Trastuzumab bei Brustkrebs) besteht ein höheres Risiko für diastolische Herzschwäche mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) und Herzinsuffizienz mit reduzierter Funktion (HFrEF).4 Außerdem führen Anthrazykline besonders bei jungen Mädchen zu einer Kardiotoxizität.5

Immuntherapie und Nebenwirkungen. Bei Frauen besteht in Studiendaten ein höheres Risiko für immunbedingte Nebenwirkungen, die durch Immun-Checkpoint-Inhibitoren verursacht werden können. Studien zeigen beispielsweise eine erhöhte Inzidenz von Myokarditis und anderen entzündlichen Komplikationen bei Frauen. Männer hingegen sind stärker von atherosklerotischen Ereignissen wie akuten Koronarsyndromen betroffen.6

Thrombose und Blutgerinnung. Im Zusammenhang mit Krebstherapien haben Frauen eine höhere Inzidenz venöser Thromboembolien (VTE). Dieses Risiko ist insbesondere bei hormonellen und immunologischen Behandlungen erhöht.

Koronarsyndrom und Herzinfarkt. In Analysen zeigte sich, dass Patientinnen mit Krebserkrankung und akutem Koronarsyndrom weniger häufig zu Herzkathetereingriffen gebracht werden und andererseits eine höhere Mortalität bei Herzinfarkten (STEMI) besteht.6 Häufig treten auch Blutungskomplikationen auf, insbesondere bei gastrointestinalen Tumoren. Plättchenhemmer müssen je nach Thrombozytenanzahl reduziert werden. Acetylsalicylsäure (Aspirin) darf bei einer Plättchenanzahl von < 10.000 nicht mehr gegeben werden.7

Schwangerschaft und Fruchtbarkeit nach Krebs. Überlebende Frauen, die eine Schwangerschaft anstreben, stehen vor zusätzlichen Herausforderungen. Sie weisen ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen während der Schwangerschaft auf, darunter Herzinsuffizienz und Frühgeburten. Zudem sind langfristige Auswirkungen wie Osteoporose und eine verminderte Fruchtbarkeit bei Frauen nach Krebsbehandlungen häufiger.

Psychosoziale und wirtschaftliche Unterschiede. Frauen berichten häufiger über Einkommensverluste und finanzielle Belastungen nach einer Krebsdiagnose. Diese sozioökonomischen Unterschiede können den Zugang zu Folgetherapien und die langfristige Versorgung, auch hinsichtlich der notwendigen Herznachsorge, beeinflussen.

Resümee

Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Inzidenz, Therapie und den Langzeitfolgen von Krebs sowie deren Auswirkungen auf die kardiovaskuläre Gesundheit verdeutlichen die Notwendigkeit gendersensitiver Ansätze. Patientinnen mit kardiotoxischen Therapien sollten vor und während der Behandlung engmaschig kardiologisch untersucht werden, um toxische Kardiomyopathien frühzeitig zu erkennen bzw. zu behandeln. Dies ist auch eine Empfehlung der European-Society-of-Cardiology-(ESC-)Leitlinien für Kardioonkologie.8