Honorarverhandlungen spitzen sich zu

Kassenverhandlungen sind nie angenehm, und schon gar nicht, wenn das Gegenüber schwerst defizitär ist. Unsere Absicht beim Verhandlungstermin mit der ÖGK war, Solidarität im Sinne der Versorgungssicherheit zu zeigen und ein entgegenkommendes Angebot für einen zeitnahen Abschluss anzubieten. Bedauerlicherweise wurde dieses Entgegenkommen von der Kasse nicht angenommen und unser Angebot abgelehnt“, gibt sich die Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzt:innen in der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien, Dr.in Naghme Kamaleyan-Schmied zerknirscht, und weiter: „Mit der ablehnenden Haltung der ÖGK hängen auch unsere Mitarbeiter:innen weiter in der Luft – bekanntlich sind ihre Kollektivverträge direkt an einen Tarifabschluss gebunden.“

Wien ist nicht das einzige Bundesland, in dem die Gespräche mit der ÖGK seit Monaten stocken. Obwohl auch die Ärzt:innen mit gestiegenen Kosten für Energie und Personal kämpfen, hinken die Tarife hinterher. Die Vorarlberger Ärztinnen- und Ärztekammer warnt etwa vor einem Kollaps der kassenärztlichen Versorgung im Bundesland. Diese stehe „auf der Kippe“, das Gesundheitssystem werde kaputtgespart, kritisierte Ärztekammer-Präsident Dr. Burkhard Walla. Dr.in Alexandra Rümmele-Waibel, Kurienobfrau der niedergelassenen Ärzt:innen, sprach von immer länger werdenden Wartezeiten und ausgelasteten Ordinationen: „Der Versorgungsbedarf steigt enorm, die Zahl der Kassenstellen jedoch stagniert.“ Die Vorarlberger Ärzteschaft habe bisher mit Jobsharing reagiert: Dabei teilen sich zwei Ärzt:innen eine Kassenstelle und können die Versorgungskapazität dieser einen Stelle auf bis zu 190% erweitern. Für zusätzliche Jobsharings sei nun aber kein Geld mehr vorhanden.

Anspannung in den Ländern

Die Ärztekammer in Kärnten fürchtet, dass das Bundesland zum Testfall dafür wird, „wie man ein solidarisches Gesundheitssystem systematisch schwächt“ und die Kassenmedizin ruiniert. Leistungen für Patient:innen werden reduziert, und gleichzeitig wird der Berufsstand der Kassenärzt:innen durch inflationsbedingt sinkende Honorare inklusive der fehlenden Tarif- und Leistungsanpassung sowie ignorierten Bedarfsanalysen zunehmend demotiviert. Die Kärntner Ärztekammer schaltet daher auf Widerstand: Eine umfassende Informationsoffensive in den Ordinationen soll die Bevölkerung auf Leistungseinschränkungen aufmerksam machen – auch einen Warnstreik gab es bereits, weitere Maßnahmen stehen im Raum.

Die neue Kurienobfrau für niedergelassene Ärzt:innen in Niederösterreich, Dr.in Dagmar Fedra-Machacek, fordert, dass Gesundheitsleistungen im urbanen Raum anders geplant werden als am Land: „Wir haben im Bezirk Horn andere Herausforderungen als im Bezirk Mödling. Das kann nicht am Reißbrett in Wien entschieden werden. Bis vor einem Jahr hatten wir noch zu den jeweiligen Themen Ansprechpersonen in der ÖGK-Landesstelle. Jetzt liegt die Zuständigkeit für Medikamentenbewilligungen in Kärnten, jene für die Vorsorgeuntersuchungen im Burgenland und für die Hausapothekenangelegenheiten in Wien. Wobei sich diese Zuständigkeiten ständig ändern. Das lähmt auf allen Ebenen.“ Der Kurienobmann der niedergelassenen Ärzt:innen in der Steiermark, Dietmar Bayer, ortet, dass die „medizinische Realität“ vor Ort von der ÖGK-Zentrale in Wien nicht mehr verstanden, geschweige denn umgesetzt wird: „Wir brauchen starke Landesstellen mit echter Entscheidungskompetenz. Der Föderalismus ist kein Auslaufmodell, sondern Grundbedingung für eine funktionierende Versorgung im niedergelassenen Bereich.“

In Oberösterreich erreichen die Ambulanzzahlen in den Spitälern einen Allzeit-Rekord. „Die horrenden Zahlen sind größtenteils hausgemacht. Bedingt durch die Alterspyramide ist vor allem die Zahl der chronischen Erkrankungen gestiegen, aber in der überwiegenden Zahl der Fälle können die Erkrankungen im niedergelassenen Bereich bestens versorgt werden. Das geht allerdings nicht, da es im niedergelassenen Bereich noch immer 47 unbesetzte Kassenstellen gibt“, sagt Harald Mayer, Kurienobmann der angestellten Ärzt:innen in der Ärztekammer für Oberösterreich.

Kritik vom Rechnungshof

Mitten in den wachsenden Unmut platzt nun der Leak eines Rechnungshofrohberichtes, in dem dieser eine Entmachtung der Landesärztekammern fordert. Sie seien schuld daran, dass es keine Leistungsharmonisierung gibt. Trotz der Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen zur ÖGK gebe es weiterhin unterschiedliche Verträge für Ärzt:innen je nach Bundesland, was dazu führe, dass manche Leistungen in einigen Ländern kostenpflichtig sind, in anderen aber nicht. Auch zahlt die ÖGK den Kassenärzt:innen je nach Bundesland teils unterschiedliche Honorare für gleiche Leistungen. Dem Gesamtvertrag müssen aktuell nicht nur die Österreichische Ärztekammer, sondern auch jene in den Ländern zustimmen; laut den Prüfer:innen wird die Reform so erschwert.

Der Vorwurf, dass die neun Landesärztekammern einen Gesamtvertrag verhindern würden, sei absolut unzutreffend, da bereits 2020 ein umfassender einheitlicher Leistungskatalog erarbeitet wurde, betont umgekehrt die ÖÄK. „Wir haben der ÖGK bereits in deren Gründungsjahr 2020 diesen umfassenden, modernen Leistungskatalog vorgelegt. Dieser wurde von über 200 Ärzt:innen aus allen Landesärztekammern und Fachrichtungen entwickelt und beinhaltet alle zeitgemäßen medizinischen Leistungen, die in Ordinationen erbracht werden können. Seither ist allerdings seitens der ÖGK damit nichts passiert“, kommentiert ÖÄK-Präsident Johannes Steinhart. „Die Vorwürfe im Rechnungshofbericht sind daher nicht nachvollziehbar.“

Den Landesärztekammern vorzuwerfen, nicht an einem Strang zu ziehen, sei völlig unverständlich, so Steinhart: „Unser einheitlicher Leistungskatalog wurde einstimmig beschlossen. Hingegen blockiert die ÖGK unsere Landesärztekammern seit Monaten in ihrem Bestreben, die Kassenverträge weiterzuentwickeln. Aufgrund ihrer internen Probleme ist die ÖGK wohl mit sich selbst beschäftigt.“

Ministerin bremst

Gesundheitsministerin Korinna Schumann (SPÖ) räumt in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen andere Gründe ein: Man verhandelt nicht, weil man schlicht zu hohe Kosten „erwartet“: „Bislang ist ein bundesweiter Ärztegesamtvertrag nicht zustande gekommen. Die Schwierigkeiten liegen einerseits darin, die historisch gewachsenen unterschiedlichen Modelle zu einem einheitlichen Leistungskatalog zusammenzuführen, und andererseits darin, dazu auch einen korrespondierenden Honorarkatalog zu erstellen, da eine Einigung mit der ärztlichen Standesvertretung wohl nur am ober(st)en Niveau der derzeitigen Tarifhöhen zu erwarten ist.“

Hintergrund der Situation ist die angespannte wirtschaftliche Lage der ÖGK. Die neue Gebarungsvorschau von Mitte August weist für die ÖGK zwar ein um 360 Millionen Euro geringeres Minus aus, Entwarnung gibt es aber noch keine, weshalb neue Forderungen an Gesundheitsberufe kommen. Der Abgang bei der ÖGK schlägt nun mit 546,7 statt mit den im Mai veranschlagten 906,7 Millionen Euro zu Buche. Dass die Reduktion des ÖGK-Defizites geringer ausfalle als bei der Gebarungsvorschau im Mai erhofft – damals ging man noch von einer Verringerung von 650 Millionen aus –, liegt laut Vize-Obmann Peter McDonald daran, dass nur Dinge eingepreist werden können, die bereits in trockenen Tüchern sind. So fehle in der ÖGK noch die Einigung mit den Ärzt:innen auf geringere Einkommenssteigerungen, „die dort von der Ärztekammer blockiert werden“, so McDonald, „und deswegen wackelt auch die schwarze Null für 2026“.

Druck durch die ÖGK

Bei den Verhandlungen mit der Ärztekammer erwartet sich McDonald Entgegenkommen – vor dem Sommer hatte er bereits einen „Solidarbeitrag“ eingefordert. Dabei gehe es freilich nicht darum, „den Ärzt:innen etwas wegzunehmen“, also um Einkommenseinbußen, sondern lediglich um geringere Einkommenssteigerungen. „Es geht nicht um einen Schritt zurück, sondern darum, dass es in der jetzigen wirtschaftlich schwierigen Situation nicht mehr zwei Schritte nach vorne gehen kann, sondern halt nur einen Schritt.“ Der Rechnungshof unterstütze „in ungewohnter Offenheit“ seinen Appell nach zurückhaltenden Abschlüssen, so McDonald: „Wir haben in den letzten Jahren eine ganz gute Einkommensentwicklung für die Ärzt:innen ermöglicht, aber jetzt, als die Zeiten schwieriger werden, braucht die Versichertengemeinschaft ihre Solidarität, damit es sich ausgeht.

Niemand kann mehr geben als er oder sie hat.“ Die Ärztekammer führt hingegen die höheren Ausgaben nicht auf Honorarsteigerungen, sondern auf eine erhöhte Nachfrage seitens der Patient:innen – nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung – zurück. Klar ist jedenfalls, dass der Druck der ÖGK weiter steigen wird.