Angst- und Zwangsstörungen zählen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen (Lebenszeitprävalenz 16 % für Angststörungen, 2 % für Zwangsstörungen). Mithilfe moderner Antidepressiva und Psychotherapie lassen sich diese Störungsbilder heute in den allermeisten Fällen sehr gut behandeln.
Zwischen gesunden Ängsten und Zwängen und krankhaften Formen besteht ein fließender Übergang. Angst ist eine Alarmreaktion, die uns vor potenziellen Gefahren warnt. Von pathologischer Angst spricht man dann, wenn die Angstreaktion in objektiv nichtbedrohlichen Situationen auftritt, wenn sie unangemessen stark und/oder langanhaltend ist und zu einer massiven Beeinträchtigung des Lebensvollzugs führt. Ähnliches gilt für unser Sicherheits- und Kontrollbedürfnis, das im Alltag zu „normalem“ zwanghaft-repetitivem Verhalten führen kann (z. B. kontrollieren, ob die Tür verschlossen ist, nachzählen, ob die Rechnung stimmt, etc.).
Von pathologischen Zwängen spricht man, wenn das Verhaltensmuster unangemessen oft und langanhaltend auftritt, es von den Betroffenen als aufdrängend, unangenehm und störend empfunden wird und sie versuchen, Widerstand zu leisten, was nur teilweise gelingt. Ein wichtiges Merkmal von krankhaften Ängsten und Zwängen ist somit, dass sie von Betroffenen als beeinträchtigend, übertrieben und unsinnig erlebt werden (vgl. ICD-10, WHO 1992).
Bei Verdacht auf eine Angststörung bzw. Zwangsstörung werden folgende diagnostische Screeningfragen empfohlen:
Therapie der Wahl bei Angststörungen sind verschiedene Formen von Psychotherapie. Empirisch am besten belegt sind die kognitive Verhaltenstherapie und die tiefenpsychologisch-psychodynamische Psychotherapie. Ein wesentliches Therapieelement ist die Angstexposition, d. h., sich der Angst immer wieder zu stellen und den Teufelskreis aus ängstlicher Befürchtung – Stressreaktion – Vermeidung – verstärkter Erwartungsangst zu überwinden. Ziel ist es, Angst wieder als gesunde, normale Emotion erleben und bewältigen zu können. Wichtig für die Nachhaltigkeit der Behandlung ist weiters die Bearbeitung biografischer Schlüsselerlebnisse (z. B. Kränkungs- und Zurückweisungserlebnisse, Traumata), die wegbereitend für die Entwicklung maladaptiver Stressbewältigungsmechanismen und damit Risikofaktoren für das Auftreten von Angst- und Zwangsstörungen sind.
Medikamentös werden Panikstörung, Agoraphobie und Sozialphobie mittels Antidepressiva mit serotonergem Wirkmechanismus (sehr gute Evidenz für Sertralin, Escitalopram, Paroxetin, von den älteren Substanzen auch Clomipramin) sowie dual serotonerg-noradrenergem Mechanismus (sehr gute Evidenz für Venlafaxin, teilweise auch Duloxetin) behandelt. Die Effektivität der Behandlung kann frühestens nach 4 Wochen beurteilt werden. Die Behandlung sollte mindestens 12–18 Monate durchgeführt werden. Ein Warnhinweis: Aufgrund des hohen teratogenen Risikos von Paroxetin sollten Frauen im gebärfähigen Alter nur bei ausreichendem Empfängnisschutz darauf eingestellt werden.
Bei generalisierter Angststörung liegt neben den erwähnten Antidepressiva auch eine gute Evidenz für Pregabalin, Opipramol und Buspiron vor, mit Einschränkung auch für Quetiapin. Spezifische Phobien (Ängste vor geschlossenen Räumen, bestimmten, Tieren, Ärzt:innen, Unwetter) werden heute ausschließlich mittels Psychotherapie behandelt. Benzodiazepine und andere Tranquilizer bzw. Sedativa können bei Angststörungen überbrückend für einige Tage bis wenige Wochen eingesetzt werden; es gibt jedoch keine Indikation für eine Langzeitanwendung.
Psychotherapie der Wahl ist die kognitive Verhaltenstherapie; die höchste Effektivität hat dabei die prolongierte Exposition mit Reaktionsverhinderung. Entscheidend für die Nachhaltigkeit ist auch hier die Bearbeitung biografischer Schlüsselerlebnisse und deren Folgewirkungen (Traumafolgestörungen, Bindungs- und Affektregulationsstörungen).
Zur medikamentösen Behandlung werden bei Zwangsstörungen Antidepressiva mit serotonergem Wirkmechanismus empfohlen (sehr gute Evidenz für Sertralin, Escitalopram, Paroxetin, Fluoxetin und Fluvoxamin). Zu beachten ist hier eine extrem lange Wirklatenz: die Behandlungseffektivität kann frühestens nach 8–12 Wochen beurteilt werden, meist sind auch höhere Dosierungen erforderlich (z. B. Sertralin 150–200 mg/Tag). Die Behandlung sollte über mindestens 2 Jahre erfolgen. Bei unzureichender Wirkung wird eine Kombination mit atypischen Antipsychotika (gute Evidenz für Risperidon und Olanzapin) empfohlen.