High-Throughput-Screening zur Ex-vivo-Messung von Tumor-Chemosensitivitäten?

Aus der Medikamentenentwicklung in der Industrie ist das Hochdurchsatzscreening nicht mehr wegzudenken. Große Pharmaunternehmen haben Substanzbibliotheken mit mehr als einer Million Chemikalien, die alle systematisch auf ihre biologische Aktivität getestet werden wollen. Um das zu ermöglichen, müssen robuste, preisgünstige und schnelle Testsysteme und -bedingungen geschaffen werden. Ziel dabei ist es, die krankheitsrelevanten biochemischen und zellulären Prozesse im Labor nachzubilden. Dazu werden Testverfahren, so genannte Assays, entwickelt, die dann extrem miniaturisiert auf einer rund 13 mal 9 cm großen Mikrotiterplatte 384 oder sogar 1536 verschiedene Bedingungen testen. Dabei unterscheidet man reine biochemische Assays, mit welchen enzymatische Aktivitäten oder Bindungseigenschaften aufgereinigter Proteine untersucht werden, von zellulären Assays. Während bei biochemischen Assays typischerweise ein einzelner Parameter in sehr großem Durchsatz gemessen wird (Hochdurchsatzscreen, „High-Throughput Screen“, HTS), werden zelluläre phänotypische Assays oft als so genannte „High-Content Screens“ (HCS) ausgeführt. Pro Zelle werden dabei zum Beispiel aus einem Mikroskopiebild oft Hunderte verschiedene Parameter ausgewertet.

Automatische Screeningsysteme: Roboterarme und akustischer Transfer

Um die entwickelten Assays schnell und technisch robust abwickeln zu können, sind automatische Screeningsysteme nötig. Diese bestehen typischerweise aus einem zentralen Roboterarm, der Mikrotiterplatten zwischen verschiedenen Instrumenten weiterreicht. Um Zellsuspensionen, Puffer und Reagenzien zu verteilen, stehen eine Vielzahl von Geräten zur Verfügung, die mittels akustischem Transfer Nanolitermengen verteilen, mit Pipettenspitzen im Mikroliterbereich arbeiten oder Platten mit noch größeren Flüssigkeitsmengen befüllen und waschen. In Screeningassays werden zuerst Zellen oder Enzyme in Mirotiterplatten vorgelegt, zu denen dann die unterschiedlichen Substanzen hinzugefügt werden. Nach einer Inkubationszeit, die für biochemische Assays oft bei Raumtemperatur erfolgt, bei zellbasierten ­Assays aber im Inkubator bei 37 Grad und erhöhter Kohlendioxidkonzentration, wird Detektionsreagens zugegeben und ein Signal gemessen. Dabei kann es sich um photometrisch bestimmbare Veränderungen der Fluoreszenz oder Lumineszenz handeln, aber auch um komplexere Read-outs wie Mikroskopie, quantitative PCR oder verschiedene antikörperbasierte Methoden. Um ein reibungsloses Ablaufen der Versuche zu gewährleisten, ist eine stabile IT-Infrastruktur unabdingbar. Diese reicht von der Software zur Programmierung des Roboters, über Labor-Informations-Management-Systeme (LIMS), welche automatisch erfassen, wo sich in barcodierten Gefäßen welche Substanz befindet, über die Software zur Auswertung der Daten bis zur Analyse der Struktur-Wirkung-Beziehungen.

PLACEBO: „Platform Austria for Chemical Biology“

Am CeMM haben wir eine der größten akademischen HTS- und HCS-Plattformen in Europa etabliert (Abb.). Dies geschah im Rahmen eines GEN-AU-Projektes, das wir etwas selbstironisch PLACEBO („Platform Austria for Chemical Biology“) nannten. Selbstverständlich sind wir nicht auf der Suche nach neuen Placebos – Substanzen ohne spezifischen biologischen Effekt – vielmehr soll die Namenswahl zeigen, dass wir nicht mit der pharmazeutischen Industrie konkurrieren, sondern chemisches Screening zur systematischen Charakterisierung der Interaktion von kleinen Chemikalien mit biologischen Prozessen nutzen. Im Gegensatz zu industriellen Systemen war uns besonders wichtig, möglichst große Flexibilität hinsichtlich der implementierbaren Assays zu haben. Unsere Plattform bietet daher eine Vielzahl verschiedener Geräte als Ausleseoptionen, inklusive eines Fluoreszenz-Plattenlesers, eines konfokalen automatischen Mikroskops, einer quantitativen PCR-Maschine und eines Luminex-Mikrosphärenlesers. All diese Geräte sind fix im Screeningsystem installiert und können von einem der beiden zentralen Roboterarme erreicht werden. Der Hauptteil der Anlage befindet sich in einem Biosicherheitsschrank, sodass auch mit primärem Patientenmaterial und potenziell infektiösem Material gearbeitet werden kann.

 

 

3160 potenzielle Kombinationsthera­pien: Während HTS-Systeme in jeder Pharmafirma zur Wirkstoffsuche eingesetzt werden, sind die Anwendungen zur Charakterisierung schon bekannter Medikamente seltener. Jedoch können solche Systeme auch hier von großem Nutzen sein. Gerade in der Onkologie sind Kombinationstherapien Standard, und diese werden oft hypothesenbasiert gezielt entwickelt. Hochdurchsatzscreening bietet die Möglichkeit, Kombinationen von Arzneistoffen systematisch zu testen. Zum Beispiel existieren heute rund 80 zugelassene Medikamente zur zielgerichteten Therapie („targeted therapy“) und Zytostatika, die in der Krebstherapie eingesetzt werden. Will man nun systematisch alle möglichen Kombinationen aus zwei dieser Substanzen testen, ergeben sich 3160 Möglichkeiten. Um robuste Ergebnisse zu Synergien und Antagonismen zwischen den einzelnen Substanzen zu erhalten, ist es nötig, Dosis-Wirkung-Kurven zu messen, sodass normalerweise für jede Kombination zumindest 36 Datenpunkte in Form einer Matrix generiert werden müssen. Gemeinsam mit biologischen Replikaten werden damit in einem solchen Projekt mehr als 200.000 Datenpunkte generiert, was die Verwendung automatischer Screeningsysteme zur absoluten Notwendigkeit macht.

Ex-vivo-Chemosensitivitätstestung zur Therapieprädiktion

Auch in der Diagnose und Therapiewahl könnten Hochdurchsatz-Screeningsysteme in Zukunft immer größere Rollen spielen. Der Trend zur personalisierten Therapiewahl und die Erkenntnis, dass oft unabhängig von der Tumorart dieselben Signaltransduktionswege fehlreguliert sind, suggerieren eine patientenspezifische Testung aller möglichen pharmakologischen Targets. Erste Studien in dieser Richtung wurden erfolgreich abgeschlossen, wobei genetische Aberrationen und Veränderungen im Genexpressionsmuster berücksichtigt wurden, nicht hingegen die Aktivierung von Signalkaskaden auf der Proteinebene und Ex-vivo-Chemosensitivitäten.
Während bei bakteriellen Erkrankungen die direkte Testung der möglichen Therapeutika auf vom Patienten isoliertem Material in Form eines Antibiogramms etabliert ist, haben sich solche Ansätze in der Onkologie nicht durchgesetzt. Dahingehende Versuche, die schon vor mehr als 20 Jahren durchgeführt wurden, zeigten zu geringe Sensitivitäten und Spezifitäten der In-vitro-Daten hinsichtlich des Therapieansprechens. Gerade bei soliden Tumoren stellen einige grundlegende Überlegungen den Nutzen von Ex-vivo-Chemosensitivitäten in Frage. So ist es nicht immer möglich, viables Tumormaterial in Zellkultur zu halten, die verfügbare Menge an Biopsiematerial kann limitierend sein, und das entnommene Material ist möglicherweise nicht repräsentativ für die genetische Diversität des gesamten Tumors. Weiters ist die Relevanz der Wachstumsbedingungen auf Zellkultur nicht immer gegeben, Tumor-Stroma-Interaktionen können nur unzureichend nachgebildet werden, und die Pharmakokinetik entspricht nicht jener im Patienten.
Wir glauben dennoch, dass eine Vielzahl von Gründen dafür spricht, die Sinnhaftigkeit von Ex-vivo-Chemosensitivitäten zur Therapieprädiktion erneut zu evaluieren. Viele der ursprünglich durchgeführten negativ verlaufenen Studien verglichen generelle Zytostatika mit ähnlichen Wirkmechanismen. Die zahlreichen zielgerichteten Therapien, die in den letzten 20 Jahren entwickelt und bis jetzt nicht systematisch getestet wurden, haben dagegen viel größere Aussichten, relevante Ergebnisse zu liefern. Weiters haben sich auch die Testsysteme, Assaymethoden und Screeninganlagen stark verbessert, sodass nun Kokulturen von Tumor und Stromazellen, kleinere Zellmengen und robustere, preisgünstigere Assays möglich sind. So lassen sich im Zellkulturmodell routinemäßig Viabilitätsdaten mit Probenmengen von weniger als 1000 Zellen pro getesteter Substanz gewinnen, was eine systematische Testung aller in der Onkologie zugelassenen Substanzen an Biopsiematerial ermöglichen sollte.

EXACT – „Extended Analysis for Cancer Treatment“: Wir glauben nicht, dass Ex-vivo-Chemosensitivitäten für sich alleine prädiktiven Charakter zum Therapieerfolg erlangen werden. Vielmehr könnten sie als Teil einer systematischen Charakterisierung des Tumormaterials neben der Sequenzierung des gesamten Tumorgenoms, der Messung von veränderten Genexpressionsmustern sowie der Aktivierung von Signaltransduktionswegen auf Proteinebene und natürlich der pathologischen Bewertung die Grundlage einer „personalisierten Medizin“ bilden. Die ersten Schritte in diese Richtung werden momentan im Projekt „EXACT – Extended Analysis for Cancer Treatment“ beschritten, einer Kollaboration der Klinischen Abteilung für Onkologie der Universitätsklinik am AKH und des CeMM-Forschungszentrums für Molekulare Medizin der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Diese und ähnliche Studien werden zeigen, ob High-Throughput-Screening zur Beurteilung von Ex-vivo-Chemosensitivitäten auch in der onkologischen Praxis einen Beitrag zu Diagnose und Therapieentscheidung leisten kann.

Literatur:
– Baker M, Academic screening goes high-throughput, Nature Methods 2010; 7:787–792.
– Von Hoff DD, He’s not going to talk about in vitro predictive assays again, is he? J Natl Cancer Inst 1990; 82:96–101.
– Wichmann G, Korner C, Dietz A, Ex-vivo-chemoresponse testing of head and neck cancer: an old hat? Laryngorhinootologie 2011; 90:464–468.
– Von Hoff DD, Stephenson JJ, Rosen P et al., Pilot study using molecular profiling of patients’ tumors to find potential targets and select treatments for their refractory cancers. J Clin Oncol 2010; 28:4877–4883.