Metformin – Zu Unrecht Goldstandard?

PLos med 2012 Apr 9; e1001204 [Epub 2012 Apr 10]
Reappraisal of metformin efficacy in the treatment of type 2 diabetes: a meta-analysis of randomised controlled trials
Boussageon R, Supper I, Bejan-Angoulvant T, Kellou N, Cucherat M, Boissel JP, Kassai B, Moreau A, Gueyffier F, Cornu C

BMJ 2012 Apr 19; 344:e1771
Comparison of metformin and insulin versus insulin alone for type 2 diabetes: systematic review of randomized clinical trials with meta-analyses and trial sequential analyses
Hemmingsen B, Christensen LL, Wetterslev J, Vaag A, Gluud C, Lund SS, Almdal T

 

Metformin ist weltweit unumstrittene First-Line-Therapie bei Typ-2-Diabetes. Neben Gewichtsneutralität und geringen Kosten bei guter Effektivität ist dies wesentlich auf die Ergebnisse der UKPDS zurückzuführen. Die dort beschriebene Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte wird durch zwei aktuelle Metaanalysen allerdings relativiert: Die Gruppe um Rémy Boussageon, die rezent den Nutzen der Blutzuckersenkung im Hinblick auf die makrovaskuläre, aber auch auf die mikrovaskuläre Risikoreduktion insgesamt hinterfragte (Boussageon et al., BMJ 343:d4169, 2011), präsentierte eine Metaanalyse von 13 kontrollierten klinischen Studien mit insgesamt 13.110 Typ-2- Diabetikern, die zwischen 4 und 51 Monate lang (Ausnahme: UKPDS 34 [Lancet 1998] mit 178 Monaten) mit Metformin (n = 9.650) versus „konventioneller“ Therapie oder Placebo behandelt wurden. Die Patienten waren im Durchschnitt zwischen 53 und 64 Jahre alt, die Diabetesdauer lag beim Großteil (79 %) der Teilnehmer zwischen 4 und 8 Jahren. Primäre Endpunkte waren Gesamtmortalität und kardiovaskuläre Mortalität, sekundäre Endpunkte umfassten die Inzidenz von Myokardinfarkt, Insult, Herzinsuffizienz, peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Beinamputation sowie mikrovaskulären Komplikationen. Bemerkenswerterweise ergab die Metaanalyse für keinen der untersuchten Endpunkte eine signifikante Überlegenheit von Metformin gegenüber den Kontrolltherapien, rechnerisch kann sogar eine Erhöhung der Gesamtmortalität um 31 % und der kardiovaskulären Mortalität um 64 % nicht ausgeschlossen werden. Die Autoren weisen darauf hin, dass die überraschenden Resultate mit dem Einschluss der UKPDS-Patienten, die mit Metformin in Kombination mit einem Sulfonylharnstoff behandelt wurden, zusammenhängen könnten. Der Ausschluss der UKPDS reduzierte die Heterogenität der Daten hinsichtlich der primären Outcomes, hatte allerdings keinen Einfluss auf die Signifikanz der Ergebnisse.

Bianca Hemmingsen und Mitarbeiter identifizierten in ihrem systematischen Review 23 kontrollierte klinische Studien, in denen Metformin plus Insulin mit alleiniger Insulintherapie verglichen wurde. Insgesamt waren Daten von 2.117 Patienten mit Typ-2- Diabetes verwertbar. Das Durchschnittsalter variierte in den Studien zwischen 53 und 67 Jahren, die Diabetesdauer zwischen 5 und 18 Jahren. Die Studiendauer betrug mit einer Ausnahme (South Danish Diabetes Study; 24 Monate) 3–12 Monate. Gesamtmortalität (5 auswertbare Studien; 392/290 Teilnehmer) und kardiovaskuläre Mortalität (3 Studien; 324/318 Patienten) waren zwischen den Therapien nicht signifikant verschieden, allerdings standen für eine konklusive Analyse dieser Endpunkte nicht genügend Daten zur Verfügung. Hypoglykämien waren unter Insulin/MetforminTherapie signifikant häufiger, HbA1c-Werte (–0,5 %), Gewichtszunahmen (–1 kg) und verabreichte Insulindosen (–5 I. E./Tag) signifikant niedriger als unter alleiniger Insulintherapie. Hinsichtlich der Lebensqualität waren keine Unterschiede zwischen den Gruppen nachweisbar.

Kommentar – Prim. Univ. Prof. Guntram Schernthaner

Es ist in der Medizin sicherlich einzigartig, dass ein Medikament, das in einer Subgruppe von nur 342 Patienten anderen Therapien überlegen war, sich als First-Line-Standard für Millionen von Patienten etabliert. es gibt aber auch für kein anderes Antidiabetikum außer metformin eine prospektiv randomisierte kontrollierte Studie über 10 Jahre, die eine signifikante Reduktion der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität belegt. Und es gibt – im Gegensatz zu verschiedenen anderen Antidiabetika – trotz breitester Verwendung von Metformin bisher keinerlei Hinweise darauf, dass diese Substanz kardiovaskuläre Endpunkte negativ beeinflusst.

In Observationsstudien (z. B. Tzoulaki et al., BMJ 339:b4731, 2009) schnitt Metformin durchwegs besser ab als Sulfonylharnstoffe. In kontrollierten Studien war das nicht immer der Fall, was sehr wahrscheinlich mit den zu geringen Patientenzahlen und den zu kurzen Beobachtungszeiten zusammenhängt, vielleicht auch damit, dass jene Patienten, die typischerweise in kontrollierte Studien mit Antidiabetika eingeschlossen werden, die therapeutische Praxis oft nur unzureichend widerspiegeln. So könnten kränkere Patienten von der Verbesserung der Insulinresistenz durch Metformin möglicherweise sogar stärker profitieren – worauf z. B. die Ergebnisse von DIGAMI-2 (mellbin et al., Diabetologia 54:1308, 2011 hindeuten). Aus diesem Grunde sind große, gut gemachte Observationsstudien für die Evaluation antidiabetischer Therapien auch so wichtig. Ähnliches gilt für die Metaanalyse von Hemmingsen et al.: Bei Beobachtungszeiten von 3–12 Monaten ist ein Mortalitätsbenefit durch Metformin zusätzlich zu Insulin nicht wirklich zu erwarten. Bei den sekundären Studienzielen (HbA1c, Gewicht, Insulinverbrauch) schnitt die Kombination erwartungsgemäß besser ab. Dass bei besserer Diabeteseinstellung mehr Hypoglykämien auftraten, deckt sich ebenfalls mit den Erfahrungen. In der Praxis begegnen wir diesem Problem am besten durch Individualisierung der HbA1c-Ziele und der Medikation.