Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht

Die duale antiretrovirale Therapie mit dem Integrase-Inhibitor (INI) Dolutegravir (DTG) plus dem Nukleosid-RT-Inhibitor (NRTI) Lamivudin ist im klinischen Alltag mittlerweile etabliert. Beispiele für die Anwendung sind therapienaive Patient:innen oder das Switch-Szenario im Sinne einer Deeskalation einer funktionierenden Triple-ART. Weder Vorbehalte hinsichtlich einer schwächeren Wirksamkeit mit höheren Raten an virologischem Versagen über längere Beobachtungszeiten noch eine höhere Vulnerabilität hinsichtlich Resistenzselektionen konnten bis dato belegt werden. Gleichermaßen gilt dies für „People Living with HIV“ (PLHIV), die im Verlauf ihrer Infektion irgendwann unbemerkt im proviralem HIV-DNA-Genom resistenzassoziierte Mutationen gegen Lamivudin erworben haben. Die Datenlage zur Dualtherapie bei klinisch fortgeschrittener HIV-Infektion (CD4-Zellzahl < 200/mm³) mit zügigem Therapiebeginn und Schwangerschaft ist allerdings gering, weshalb in diesen Situationen weiterhin Zurückhaltung vorherrschen sollte. Im Falle einer Koinfektion mit HBV sollte definitiv eine Triple-ART mit Inklusion von Lamivudin oder Emtricitabin plus eine der beiden Tenofovir-Varianten (TDF/TAF) durchgeführt werden.

„Long-Acting cART“ – die Zukunft hat begonnen

Zwei Substanzen stehen derzeit in Formulierungen zur oralen sowie auch zur intramuskulären Verabreichung zur Verfügung. Es handelt sich dabei um den INI Cabotegravir (CBV) und den nichtnukleosidischen RT-Inhibitor (NNRTI) Rilpivirin (RPV). Die orale Formulierung ermöglicht dabei eine 4-wöchige Einleitungstherapie zwecks Austestung der Verträglichkeit und/oder eine Überbrückungstherapie bei Versäumen einerzeitgerechten Verabreichung der Folgeinjektion. In Österreich bedarf die Kostenübernahme der Long-Acting ART derzeit einer speziellen Begründung, wie beispielsweise Dysphagie. Virologisches Versagen unter Long-Acting ART trat in Studien sehr selten auf, war dann aber zum Teil mit der Selektion von resistenzassoziierten Mutationen (RAM) sowohl gegen die NNRTI- als auch gegen die INI-Komponente assoziiert. Risikofaktoren für virologisches Versagen umfassen bestimmte HI-Virus-Varianten (Subtyp A1/A6), den Nachweis proviraler RPV-RAM („Rilpivirine Resistance-associated Mutations“) und einen BMI > 30. Bei Vorliegen von zwei dieser Kriterien sollte die Therapieindikation zumindest überdacht werden.

Lenacapavir – neuer Wirkmechanismus, subkutane Gabe „bis in anno (b.i.a.)“

Lenacapavir (LEN) ist der erste Vertreter der Kapsid-Inhibitoren und im pikomolaren Bereich wirksam. Die geringe hepatale Verstoffwechslung und die gute Verträglichkeit in klinischen Studien ermöglichen eine Formulierung zur subkutanen Verabreichung in halbjährlichem Intervall. Initial ist zur raschen Aufsättigung allerdings eine zweiwöchige tägliche orale Gabe vorgesehen. In der CAPELLA-Studie konnte die hohe Wirksamkeit von Lenacapavir bei stark vorbehandelten Patient:innen mit multiresistenter HIV-1-Infektion gezeigt werden. Hinsichtlich Medikamenten-Interaktion ist eine Komedikation von starken Induktoren (z. B. Rifampicin) beziehungsweise Inhibitoren (z. B. Atazanavir/Ritonavir) von CYP3A/P-Glykoprotein/UGT1A zu vermeiden. Die Zulassung für die Behandlung von Erwachsenen mit einer multiresistenten HIV-1-Infektion in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln ist in nächster Zeit zu erwarten. Eine Phase-II-Studie mit antiretroviral naiven Patient:innen und Lenacapavir subkutan im sechsmonatigen Intervall plus einen oder zwei NRTI versus einer klassischen Triple-ART mit dem INI Bictegravir plus zwei NRTI zeigte über 54 Wochen gute Daten. Das volle therapeutische Potenzial dieser Substanzen wird mit der Verfügbarkeit von Partnersubstanzen erreicht werden.

Wirkstoffe der Präexpositionsprophylaxe

Die Präexpositionsprophylaxe (PREP) sollte laut derzeitiger Leitlinie mit einer kontinuierlichen, einmal täglichen Gabe des oralen Kombinationspräparates Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil (TDF/FTC) erfolgen. Derzeit läuft zudem ein EMA-Verfahren zur Zulassung einer intramuskulären PREP mit Cabotegravir (CBV).
LEN könnte eine PREP mit nur zwei Gaben pro Jahr ermöglichen, erste klinische Studiendaten in dieser Indikation werden für 2024 erwartet.

Praxismemo

  1. Die Zulassung der intramuskulären Postexpositionsprophylaxe mit Cabotegravir wird derzeit durch die EMA untersucht.
  2. Im Falle einer HIV-HBV-Koinfektion ist eine Triple-ART mit Lamivudin oder Emtricitabin plus einer Tenofovir-Variante indiziert.
  3. Lenacapavir ist ein Kapsid-Inhibitor und der erste Vertreter dieser neuen Wirkstoffklasse.
  4. Die antiretroviralen Wirkstoffe Cabotegravir und Rilpivirin stehen zur oralen sowie intramuskulären Gabe zur Verfügung.
  5. In Österreich ist die Kostenübernahme durch die Krankenversicherungen für die Long-Acting cART derzeit beschränkt.