Diversität bringt Vorteile

Wie beeinflusst das Darmmikrobiom unsere Gesundheit?
Univ.-Prof.in Dr.in Vanessa Stadlbauer-Köllner: Das Darmmikrobiom ist ein Teil der Darmbarriere und hat bedeutende Funktionen für den gesamten Organismus: Die kommensalen Mikroorganismen verdrängen potenziell pathogene Mikroorganismen und erfüllen zudem wichtige Stoffwechselaufgaben, z. B. die Produktion von kurzkettigen Fettsäuren oder Vitaminen. Weiters können Darmbakterien auch direkt antimikrobiell wirksame Substanzen produzieren und die Pathogene abtöten, womit auch die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflusst wird. Bakterielle Metaboliten beeinflussen auch die Durchlässigkeit der Darmbarriere, indem sie die Öffnung von Zell-Zell-Verbindungen wie Tight Junctions modulieren. Eine zentrale Funktion ist das Zusammenspiel mit dem Immunsystem: Circa 2/3 der Immunzellen befinden sich im Darm. Im Kontakt mit dem Darmmikrobiom an der Darmbarriere erlernt das Immunsystem Toleranz gegenüber Kommensalen und eine adäquate Reaktion auf Pathogene.

Welche Schlüsse lassen sich aus der individuellen Zusammensetzung des Darmmikrobioms ziehen?
Das Mikrobiom des Menschen ist zwar einerseits in seinen großen Gruppen sehr ähnlich zusammengesetzt – mit den zwei dominierende Stämmen Firmicutes (Bacillota) und Bacteroidota –, aber die Zusammensetzung der Bakterien innerhalb eines Stammes ist hoch individuell. Deswegen gibt es keine Normwerte, und es ist derzeit noch schwer, aus individuellen Mikrobiomanalysen einen medizinischen Nutzen zu ziehen. Das Konzept der Zuordnung jedes Individuums zu s. g. Enterotypen aufgrund eines definierten Verhältnisses der vorherrschenden Bakterienstämme – in Analogie etwa zu Blutgruppen – gilt mittlerweile als überholt und wissenschaftlich nicht mehr relevant, da die Übergänge fließend sind, das individuelle Profil ständigen Veränderungen unterworfen ist und auch keine validen Schlussfolgerungen zur Rolle bei einzelnen Erkrankungen zulässt.

Welchen Einfluss haben die Ernährung und Medikamente auf das Darmmikrobiom?
Ein gut funktionierendes Darmmikrobiom zeichnet sich durch eine hohe bakterielle Dichte und hohe Diversität aus – mit vielen unterschiedlichen Bakterien, die unterschiedliche Funktionen ausüben können. Der wichtigste Einflussfaktor ist die Ernährung. Schädigend sind z.B. hochprozessierte Nahrungsmittel sowie eine betont einseitige Ernährung. Im Umkehrschluss ist es einer hohen Diversität des Darmmikrobioms zuträglich, möglichst unverarbeitete Lebensmittel und möglichst vielfältig zu essen. Medikamente beeinflussen das Darmmikrobiom generell, manche negativ, manche positiv. Zu den Negativbeispielen zählen etwa Antibiotika, aber auch Medikamente, die vermeintlich viel nebenwirkungsärmer sind, wie z. B. Protonenpumpenhemmer. Andere Medikamente wie z. B. Metformin können auch positive Effekte bewirken und etwa butyratproduzierende Bakterien im Wachstum fördern.

Wie können Pro- bzw. Präbiotika das Darmmikrobiom unterstützen?
Probiotika sind lebende Mikroorganismen, die in ausreichender Menge konsumiert einen gesundheitsfördernden Effekt haben. Die derzeit am Markt befindlichen Probiotika sind meist Bakterien aus den Gruppen der Laktobazillen und Bifidobakterien, bei den Pilzen ist es z. B. Saccharomyces, der probiotische Effekte hat. Präbiotika sind Substanzen, die selektiv von Mikroorganismen des Mikrobioms verstoffwechselt werden, mit postulierten positiven Wirkungen für den Wirt: humane Milch-Oligosaccharide oder Inulin, dem sogar ein Health Claim bei Obstipation zuerkannt wurde. Aber Präbiotika sind natürlich auch in anderen Bereichen relevant. Es gibt weiters Daten zu einem unterstützenden Effekt von Präbiotika bei der Behandlung der Adipositas.

Gibt es Evidenz für die klinische Wirksamkeit von Probiotika?
Probiotika werden zwar in unterschiedlichsten medizinischen Indikationen getestet, aber leider sind die meisten Probiotika bei uns nicht als Arzneimittel, sondern als Nahrungsergänzungsmittel zugelassen, wodurch auch kein Wirknachweis erbracht werden muss. Deswegen ist es sehr schwierig – im Gegensatz zu Arzneimitteln –, eine klare Dosis- und Wirkungsempfehlung zu bekommen. In bestimmten Bereichen gibt es gute Evidenz für die Anwendung von Probiotika bzw. werden Probiotika in den Guidelines empfohlen: zum Beispiel zur Vorbeugung von antibiotikaassoziierten Nebenwirkungen wie Diarrhö – eine Metaanalyse hat gezeigt, dass bestimmte Probiotika das Risiko für Clostridioides-difficile-Infektion bei Antibiotikatherapie um 60% reduzieren können. Zur Behandlung der H.-pylori-Infektion werden Probiotika sowohl in den europäischen als auch in den deutschen Guidelines empfohlen. Bei Reizdarm finden sich Probiotika in den Empfehlungen der deutschen Guidelines. Guidelinekonform ist auch eine Probiotikumgabe zur Prophylaxe bei Colitis ulcerosa. In der Pädiatrie werden bestimmte probiotische Stämme zur Vorbeugung einer nekrotisierenden Enterokolitis bei sehr früh geborenen Kindern empfohlen. Weiters gibt es Evidenz zur Vorbeugung der ventilatorassoziierten Pneumonie in der Intensivmedizin. Evidenz gibt es auch zur Beeinflussung der Darm-Hirn-Achse bei psychiatrischen Erkrankungen. Wir selbst haben kürzlich eine Studie1 abgeschlossen, in der eine Probiotikumkombination bei gesunden Menschen, die unter einer Schlafstörung leiden, einen sehr beeindruckenden Effekt auf das Schlafverhalten im Vergleich zu Placebo gezeigt hat. Es gibt also einige Bereiche, in denen wir uns auf ausreichende Wirksamkeitsevidenz stützen können.

Wie sicher ist die Anwendung von Prä- bzw. Probiotika?
Die Sicherheit von probiotischen Keimen wird in Europa durch die European Food Safety Agency (EFSA) kontrolliert und reguliert. Alle mikrobiellen Spezies, die für Nahrungszwecke verwendet werden, durchlaufen einen QPS-(Qualified-Presumption-of-Safety-)Prozess. Wenn die Voraussetzungen – Bewertung der Pathogenität, Einsatzziele und Sicherheit – erfüllt sind, bekommt der Stamm QPS-Status. Prinzipiell gelten Probiotika als sicher. Gastrointestinale Nebenwirkungen sind normalerweise leicht und verschwinden auch unter fortgesetzter Behandlung. Aber Probiotika sind lebende Keime und können in Spezialsituationen auch schwerwiegende Nebenwirkungen hervorrufen, etwa bei Patient:innen mit sehr hoher Immunsuppression, z.B. unmittelbar nach Stammzelltransplantation, oder bei extrem frühgeborenen Babys. Bei medikamentöser Immunsuppression wie nach Leber- oder Nierentransplantation, bei rheumatologischen Erkrankungen oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder auch bei HIV gelten sie als sicher. Im Gegensatz zu Probiotika, zu denen es keinen Hinweis auf eine mögliche Überdosierung gibt, ist bei der Zufuhr von Präbiotika mit dosisabhängigen Nebenwirkungen wie Blähungen oder Bauchschmerzen insbesondere zu Behandlungsbeginn und bei niedrigem präbiotischem Anteil in der Nahrung zu rechnen.

An welchen Forschungsprojekten zum Einsatz von Probiotika arbeiten Sie derzeit?
Neben der erwähnten Studie zu den positiven Effekten auf das Schlafverhalten bereiten wir auch die Publikation einer anderen gerade abgeschlossenen Studie vor. Hier haben wir viele Jahre damit verbracht, probiotische Stämme zu screenen und in Modellen zu testen, die sich zur Behandlung von durch Protonenpumpenhemmer entstandene Mikrobiomveränderungen eignen könnten. Eine klinische Pilotstudie dazu war erfolgreich und positiv. Wir sind jetzt auf der Suche nach Partnern zur weiteren Entwicklung für die klinische Anwendung.

Vielen Dank für das Gespräch!