Erfolgsgeschichte Diabetologie

Durch intensive Forschung und optimierte Therapien leben Diabetiker heute länger, und die Folgeerkrankungen gehen zurück – eine Erfolgsgeschichte, deren Fortschreibung keineswegs selbstverständlich ist. Es ist einer verbesserten Diabetesaufklärung und -schulung sowie der beträchtlichen Intensivierung der medikamentösen Therapiemaßnahmen – Blutdrucksenkung, Lipidsenkung und verbesserte Diabeteseinstellung – zu verdanken, dass es in den letzten 20 Jahren zu einem dramatischen Rückgang der vaskulären Komplikationen bei Diabetes mellitus gekommen ist.

Der neue Präsident der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG), Prim. o. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Heinz Drexel, LKH Feldkirch, Abteilung für Innere Medizin und Kardiologie sowie VIVITVorarlberg Institute for Vascular Investigation and Treatment am LKH Feldkirch: „Durch intensive Forschung und optimierte Therapie leben Diabetiker heute länger, und die Folgeerkrankungen gehen zurück – das ist ein großer Erfolg für die Diabetologie.“

 

Reduktion der karidovaskulären Morbidität und Mortalität

Die Framingham-Studie in den USA zeigte bei Diabetespatienten im Zeitraum von 1976–2001 einen Rückgang der kardiovaskulären Mortalität um 69% und der Gesamtmortalität um 40% im Vergleich zu den Jahren 1950–1975. Während in der frühen Phase (1950–1975) die kardiovaskuläre Mortalität und Gesamtmortalität gegenüber Nichtdiabetikern noch um das 3,6- bzw. 2,6-Fache erhöht war, war die Risikoerhöhung im Zeitraum 1976–2001 mit 2,5 bzw. 1,9 schon deutlich geringer. In Dänemark zeigt das nationale dänische Diabetesregister, in dem 360.000 Diabetiker erfasst sind, im Zeitraum von 1990 bis 2006 eine dramatische Reduktion der Mortalität pro Jahr um 3,9% bei Männern und 2,6% bei Frauen mit Diabetes. Besonders bemerkenswert ist die Tatsache, dass der Mortalitätsrückgang bei Diabetespatienten deutlich stärker war als jener der Patienten ohne Diabetes. In den letzten drei Jahren hat die Diabetesmortalität bei Diabetespatienten in Dänemark sogar um 40% abgenommen. In einer englischen Populationsstudie mit fast 50.000 Patienten, bei denen zwischen 1996 und 2006 Typ-2-Diabetes neu diagnostiziert wurde, beobachtete man einen Rückgang der Gesamtmortalität innerhalb von zwei Jahren nach Diabetesdiagnose um 47% bei Männern und um 26% bei Frauen. Die relative Mortalität der Patienten, die im Jahr 2006 diagnostiziert wurden, war damit um 37% geringer als bei jenen, die nur zehn Jahre zuvor diagnostiziert wurden.

Prim. Univ.-Prof. Dr. Guntram Schernthaner, Vorstand der 1. Medizinischen Abteilung, Rudolfstiftung Wien: „Die deutliche Prognoseverbesserung der Patienten hat auch beträchtliche Auswirkungen auf die Spitalsaufnahmen und die Folgekosten.“ So sind z.B. in England innerhalb von nur fünf Jahren – im Zeitraum 2009/2010 vs. 2004/2005 – die Spitalsaufnahmen bei Diabetes-patienten wegen eines akuten Herzinfarkts oder einer Bypass-Operation um 25% bzw. 18% zurückgegangen.

Obwohl die Diabetesprävalenz in den USA von 1988 auf 2008 dramatisch von 5,4 Millionen auf 17 Millionen Diabetiker anstieg, konnte auch das Risiko für Fußamputationen eindrucksvoll gesenkt werden – nach einer aktuellen Analyse allein zwischen 2002 und 2004 um 34%, Amputationen oberhalb des Knies konnten sogar halbiert werden. Eine weitere populationsbasierte Studie in den USA ergab im Zeitraum von 1996–2006 einen Rückgang der altersadjustierten Amputationsrate von elf auf unter vier pro 1.000 Patienten.

Eine globale Metaanalyse an 23.000 Patienten mit Typ-2-Diabetes aus 35 Studien ergab einen Rückgang schwerwiegender Augenerkrankungen bei Patienten mit Diabetes mellitus im Ausmaß von 50–67%, die Gesamthäufigkeit der diabetischen Retinopathie wurde insgesamt um 50% reduziert. „Die proliferative diabetische Retinopathie als schwerste Form der diabetischen Augenerkrankung wurde um 67%, das diabetische Makulaödem um 41% reduziert“, so Schernthaner. Insbesondere bei Patienten mit guter Diabetes-einstellung (mit einem HbA1c-Wert unter 7%) betrug der Anteil der proliferativen diabetischen Retinopathie und des Makulaödems nur noch 3% bzw. 4%, während Patienten mit schlechter Diabeteseinstellung viel häufiger eine proliferative diabetische Retinopathie (11%) oder ein diabetisches Makulaödem (12%) aufwiesen.

Einen ähnlichen Rückgang beobachten wir bei der terminalen Niereninsuffizienz: Obwohl die Prävalenz des Diabetes in den USA von 1996–2007 weiterhin dramatisch zunahm (nicht zuletzt aufgrund der viel längeren Lebenserwartung der Patienten), hat die altersadjustierte Rate von Diabetespatienten an der Hämodialyse in diesem Zeitraum von 344 auf 199 signifikant abgenommen – ein Rückgang von 35%. Schernthaner: „Die neuesten Daten aus dem Österreichischen Hämodialyseregister (2010) zeigen für Österreich einen ganz ähnlichen Trend: Von 2004–2010 hat die absolute Zahl an inzidenten Patienten mit einer Nierenersatztherapie in Österreich kontinuierlich von 1.207 auf 1.032 abgenommen.“ Der prozentuelle Anteil der Diabetespatienten ging ebenfalls von 30% auf 26% zurück. Analysiert man die absolute Zahl der inzidenten Patienten mit Typ-2-Diabetes, die eine Nierenersatztherapie benötigen, so zeigt sich von 2004 auf 2010 ein mit den USA vergleichbarer Rückgang um 26%. Der Rückgang der inzidenten Patienten mit Typ-2-Diabetes an der Hämodialyse ist besonders deshalb bemerkenswert, weil die Gesamtprävalenz des Typ-2-Diabetes auch in Österreich im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen hat.

Die umfassende Verbesserung der Prognose von Patienten mit Typ-2-Diabetes ist ganz wesentlich auf die deutliche Zunahme der multifaktoriellen Intervention zurückzuführen: Neben der Senkung der Lipidwerte (LDL-Zielwert zumindest< 100 mg/dl bzw. < 70 mg/dl für Patienten mit kardiovaskulären Komplikationen), Blutdruckwerte (< 135/80 mmHg) sowie der HbA1c-Werte (< 6,5% für neudiagnostizierte Patienten bzw. < 7,0% für Patienten mit bereits vorliegenden vaskulären Komplikationen) sind auch eine vermehrte körperliche Aktivität, eine Gewichtsreduktion sowie ein Stopp des Zigarettenrauchens zu forcieren.

Bei Patienten mit morbider Adipositas, die im letzten Jahrzehnt weltweit enorm zugenommen hat, wird chirurgische Intervention künftig an Bedeutung gewinnen. Eine Gewichtsabnahme von bis zu 40 kg nach bariatrischer (metabolischer) Chirurgie geht mit einer Remission des Diabetes im Ausmaß von 60–90% einher. Ist die Diabetesdauer noch relativ kurz und die endogene Insulinsekretion noch hoch, so kommt es auch bei Patienten mit sehr hohen HbA1c-Ausgangswerten zum Absinken auf normnahe Werte. Eine schwedische Langzeitstudie konnte vor Kurzem nachweisen, dass dadurch bei Patienten mit Typ-2-Diabetes die kardiovaskuläre Ereignisrate um mehr als ein Drittel gesenkt werden konnte – deutlich mehr als bei Patienten ohne Diabetes (–16%).

Eine große kanadische Studie bei Diabetespatienten mit chronischer Niereninsuffizienz ergab kürzlich einen klaren Hinweis darauf, dass eine gute Diabeteseinstellung (HbA1c 6,5–7,0%) mit einer deutlich verbesserten Prognose einhergeht. Patienten mit höheren, aber auch jene mit niedrigeren HbA1c-Werten hatten eine deutlich erhöhte Mortalität, womit die Forderung nach einer Individualisierung der Diabetestherapie bestätigt wird. Bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und unzureichender Diabetes-einstellung war das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzinsuffizienz signifikant erhöht. Bei Patienten mit sehr schlechter Diabetes-einstellung (HbA1c > 9%) fand sich eine signifikante Erhöhung von Mortalität und terminalem Nierenversagen. „Die wichtige Rolle der Diabeteseinstellung wurde auch in einer sehr rezenten US-Studie mit über 50.000 Diabetespatienten bestätigt, die im Durchschnitt ca. drei Jahre an der Hämodialyse nachverfolgt wurden. Eine schlechte Diabeteseinstellung über den gesamten Zeitraum war mit einer erhöhten Gesamtmortalität und kardiovaskulären Sterblichkeit assoziiert“, so Sch
ernthaner.

Prim. Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner, Interne Abteilung, Landeskrankenhaus Hochzirl: „Mit der steigenden Lebenserwartung steigt auch die Diabetesprävalenz der Österreicher im höheren Lebensalter. Derzeit geht man davon aus, dass rund zwei von drei Diabetespatienten über 65 Jahre alt sind. Diabetes im Alter führt zu erhöhtem Pflegebedarf und senkt die Lebensqualität. Normalerweise hat ein heute 50-Jähriger noch rund 30 Jahre vor sich. Die Lebenserwartung von Diabetikern in der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen ist jedoch um acht Jahre verringert, die der 65- bis 74-Jährigen um vier Jahre reduziert.“ Gerade im Alter spielen die Folgen des Diabetes eine nicht unbedeutende Rolle – es bestehen erhöhte Morbidität und Mortalität, ein Risiko, die Selbstversorgungsfähigkeit zu verlieren, Pflegebedürftigkeit sowie eine reduzierte Lebensqualität.

Geriatrische Diabetespatienten haben zweimal häufiger Bluthochdruck, zweimal häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen, 30-mal häufiger Amputationen, vier- bis zehnmal häufiger Schlaganfälle, zwei- bis sechsmal häufiger pAVK, ein erhöhtes Demenzrisiko sowie ein erhöhtes Depressionsrisiko.

Bei der Diabetesbehandlung des alten Menschen gilt es, einige spezifische Ziele im Auge zu behalten. So sollen etwa diabetische Akutsituationen (Hypoglykämie/„Unterzucker“, hyperglykämische Entgleisung) vermieden werden. Der HbA1c-Wert sollte kleiner 7% bzw. größer oder gleich 8% bei Frailty (European Diabetes Working Party for Older Persons 2008) sein. Der Erhalt einer größtmöglichen Selbständigkeit und damit Lebensqualität sowie Verbesserungen hinsichtlich geriatrischer Symptome stehen natürlich ebenfalls im Vordergrund. Neben der individuellen Zielwertdefinition sollten bei geriatrischen Patienten auch das Hypoglykämierisiko (führt z.B. zu Stürzen), Arzneimittelkontraindikationen, Nebenwirkungen und Interaktionen sowie kardiovaskuläre Komplikationen berücksichtigt werden um diabetischen Spätkomplikationen vorzubeugen und Multimorbidität zu reduzieren.

Wesentlich ist auch die Umsetzbarkeit der Therapie im Alltag. Weiters sollten bei älteren Diabetespatienten keine strikten Diätformen eingehalten werden, da die Gefahr einer Mangelernährung besteht. Was bei älteren Patienten immer abzuwägen ist, ist einerseits das Risikomanagement und andererseits die Polypharmakologie. Leider gibt es für viele Medikamente keine Studiendaten bezüglich Effektivität und Sicherheit beim alten Patienten.

Neueste Studien belegen, dass es gerade unter den neuesten Medikamenten (Inkretintherapeutika, DPP4-Hemmer) signifikante Verbesserungen auch für ältere Patienten gibt. Lechleitner: „Diese Arzneimittel führen zu einer deutlich geringeren Unterzuckerung und damit zu einer Risikominimierung für die Patienten. Sie sind gut verträglich, haben ein geringes Interaktionspotenzial und sind auch bei eingeschränkter Nierenfunktion einsetzbar. Langzeitdaten fehlen allerdings noch.“

Um Österreich zu einer Modellregion in der Diabetesversorgung zu machen, hat sich die ÖDG für die nächsten zwei Jahre ein umfassendes Arbeitsprogramm vorgenommen. Drexel: „Neben Aufklärungsarbeit durch nachhaltige und wiederholte Information der Bevölkerung und der gesamten Ärzteschaft sowie der Erarbeitung von gut verständlichen und einfachen Therapieempfehlungen steht die Prävention der Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch bessere und intensivere Behandlung des Cholesterinstoffwechsels im Zentrum der Aufmerksamkeit. Weil Cholesterin-Ablagerungen in den Gefäßen für Herzinfarkte und Schlaganfälle verantwortlich sind, sollte der Zielwert des LDL-Cholesterins von bisher unter 100 mg/dl auf unter 70 mg/dlgesenkt werden.“

Mehr Diabetes-Patienten erfordern mehr Ressourcen, nicht zuletzt qualifizierte Ärzte und entsprechende Ausbildungsplätze. Drexel: „In Österreich fehlen Ausbildungsplätze für Diabetesexperten, um allen Diabetikern auch in Zukunft eine optimale Behandlung zu garantieren. Weiters ist es aber auch besonders relevant, allen Ärzten aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen neueste Erkenntnisse der Diabetologie zu vermitteln, da jeder Arzt die erste Anlaufstelle für einen gefährdeten Patienten sein kann. Dadurch und mit verstärkter Bewusstseinsbildungsarbeit in der Bevölkerung wollen wir Österreich zu einer Modellregion in der Diabetesversorgung machen.“

Prim. o. Univ.-Prof. Dr.Dr. h.c. Heinz Drexel

Diabetologie Prim. Univ.-Prof. Dr.Guntram Schernthaner
Prim. Univ.-Prof. Dr.Monika Lechleitner