Fibromyalgie: Patient „OH-WEH“, Arzt „OJE“

Fibromyalgie“ (FM) füllt Internet-Seiten, führt zu Hoffnung („endlich eine Diagnose“) und Verzweiflung („dagegen kann man nichts machen“) bei Betroffenen und zu unterschiedlichsten Emotionen bei Ärzten. FM ist nicht wegzuleugnen, und Allgemeinmediziner, Orthopäden, Rheumatologen, Neurologen, Psychiater und Schmerzmediziner müssen sich mit diesem Krankheitsbild beschäftigen. Pathophysiologische Veränderungen im zentralen und peripheren Nervensystem (zentrale Sensibilisierung, Neurotransmitter, vegetatives Nervensystem, Small-Fiber-Neuropathie) werden ebenso als Ursache oder Folge chronischen Schmerzes diskutiert wie genetische Prädisposition und Umweltfaktoren („life events“) als Voraussetzung für die Entstehung einer FM. Auch das soziale Umfeld dürfte eine Rolle spielen.
All das führt zu einem biopsychosozialen Erklärungsmodell der FM: Physikalische und/oder biologische und/oder psychosoziale Stressoren lösen bei einer genetischen und lerngeschichtlichen Prädisposition vegetative, endokrine und zentralnervöse Reaktionen aus, die zu Symptomen wie Schmerz, Fatigue, Schlafstörungen, psychischen und vegetativen Beschwerden führen, die dann die Heterogenität der Präsentation der FM bewirken − „Kein FM-Patient gleicht dem anderen“ – und damit auch zur Schwierigkeit im klinischen Alltag beitragen.

Diagnose

Zur Diagnosestellung verwendet man derzeit den „FIQ – Fibromyalgia Impact Questionnaire“, der versucht, Symptomenkomplexe der FM zu erfassen: chronischer (mehr als 3 Monate), großflächiger (mehrere Körperregionen betreffender) Schmerz, nichterholsamer Schlaf, Fatigue und kognitive Störungen sowie diverse z. T. vegetative Symptome. Daraus ergibt sich ein Score, der die Diagnose einer FM wahrscheinlich macht. Die Tender Points, die Bestandteil der 1990 publizierten FM-Klassifikationskriterien waren, liefern noch wertvolle Informationen in der körperlichen Untersuchung, fließen aber nicht mehr in die definitive Diagnose ein. Vornehmlich sind Frauen betroffen.

Therapeutische Maßnahmen eine Herausforderung

Bisherige Erfolge therapeutischer Maßnahmen werden weder den Ansprüchen der Betroffenen noch denen der Behandler gerecht, fehlt doch immer noch das eine Medikament, das alle Beschwerden schnell heilt. Die Behandlung von FM-Patienten ist langwierig, verlangt Geduld und Ausdauer von beiden Seiten, Aufklärung, Gespräche und Motivation und ist oft von der Erkenntnis behindert, dass vermutlich relevante Umweltfaktoren (familiäres/berufliches Umfeld, finanzielle Möglichkeiten für Behandlungen) nicht geändert werden können.
Für die Behandlung der FM zugelassene Medikamente gibt es in Europa nicht, die Indikation medikamentöser Therapie leitet sich aus der Präsentation des Krankheitsbildes ab: Pregabalin bei „neuropatischer Schmerzkomponente/Small-Fiber-Neuropathie“, Amitriptylin bei Schmerz und Schlafstörungen und NSRI (z. B. Duloxetin) bei Depression und Angst. All diese Präparate sollten niedrig dosiert begonnen und langsam gesteigert werden − in Abstimmung mit den Patienten bzgl. Wirkung und Verträglichkeit. Eine NNT von 8–10, um eine spürbare, vielleicht 50%ige Reduktion der Beschwerden bei einer hohen Unverträglichkeitsrate zu erzielen, macht die Präparate nicht zu primären, sondern zu begleitenden und zeitlich limitiert einzusetzenden Therapien.
Der Schwerpunkt sollte auf aerobem Ausdauertraining und meditativen Bewegungstherapien wie Qigong, Tai-Chi oder Yoga liegen, wobei die regelmäßige (2-mal/Wo) und langfristige Durchführung für einen Erfolg unbedingt notwendig ist. Ein Abbruch führt rasch zu einer Verschlechterung. Wenn „life events“ und psychosoziale Faktoren das Schmerzgeschehen mit beeinflussen, ist eine Psychotherapie langfristig erforderlich.
Ob diese Probleme im Vordergrund stehen oder nicht: Das Erlernen von Entspannungstechniken und Achtsamkeitsübungen kann begleitend sehr hilfreich sein. Immer wieder sind FM-Patienten auch von psychiatrischen Erkrankungen betroffen, deren Diagnose und Therapie dann der Expertise dieser Fachdisziplin bedürfen.

Fazit

Diagnose, Therapie und Begleitung von FM-Patienten erfordern Empathie, Zeit und Vertrauen sowie eine Auseinandersetzung mit den wachsenden Erkenntnissen zu diesem Thema und auch Mut, Offenheit und Kreativität, sich auf noch nicht etablierte, experimentelle und komplementäre Behandlungsansätze einzulassen.

Wissenswertes für die Praxis
  • Die Diagnose der FM erfordert eine ausführliche Anamnese und einmalig eine umfassende Abklärung der geschilderten Symptome.
  • Die Therapie der FM verlangt viel Aufklärung und langfristig durchgeführte nichtmedikamentöse Strategien. Medikamente sollten nur kurzzeitig und begleitend eingesetzt werden. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist erforderlich und hilfreich.