Frauengesundheit und Prävention

Welche Rolle spielt Prävention in der Gynäkologie?

Sepp Leodolter: Prävention ist unser zentrales Thema. Die Gynäkologie hat sich in den letzten Jahrzehnten von einer eher chirurgisch orientierten Disziplin hin zur Vorsorgemedizin gewandelt. Frauenheilkunde ist heute DIE Vorsorgemedizin.

Wie würden Sie die Eckpfeiler dieses Wandels beschreiben?

Leodolter: Vorsorge umfasst zum einen den großen Bereich der sekundären Prävention. Beginnen wir mit dem PAP-Abstrich, benannt nach George Papanikolaou, aufgrund dessen bahnbrechenden Ergebnissen im Bereich der Zytologie in den 1950er-Jahren erstmals die Identifikation von Krebszellen und damit von Krebsvorstufen möglich wurde. Werden diese rechtzeitig entfernt, kann damit die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs verhindert werden. Die Etablierung der jährlichen Vorsorgeuntersuchung führte zu einem durchschlagen-den Erfolg. War das Zervixkarzinom vor 100 Jahren noch das häufigste Karzinom, so ist es heute eines der seltensten gynäkologischen Karzinome.

Es geht hier um Sekundärprävention …

Leodolter: Ja, denn hier liegen bereits Zellveränderungen vor. Verhindert wird die Entwicklung zu invasiven Karzinomen. Mit der HPV-Impfung haben wir heute jedoch die Möglichkeit zur Primärprävention. Die Infektion wird verhindert, und damit die Entstehung von Zellveränderungen. Ein weiteres Erfolgsthema ist die Vorsorgeuntersuchung der Brust. Hier erleben wir gerade einen Wandel vom opportunistischen Screening hin zum organisierten Screening. Das Spezifikum der Gynäkologie ist es, dass wir zum Großteil nicht Patientinnen behandeln, sondern gesunde Frauen betreuen und begleiten, die regelmäßig zur Vorsorge kommen.

Warum kam der Wandel in der Geburtshilfe später als in der Gynäkologie?

Leodolter: Die Geburtshilfe wurde bis Anfang der 1970er-Jahre eher vernachlässigt. Die Gynäkologie war eher chirurgisch orientiert, Gynäkologen waren in erster Linie Operateure, die eben auch ein bisschen Geburtshilfe betrieben haben. Bis in die 1970er-Jahre lag in Österreich die perinatale Mortalität noch bei 30 Promille! 30 von 1.000 Kindern starben um die Geburt – zu einem Drittel knapp vor, zu einem Drittel während und zu einem Drittel unmittelbar nach der Geburt.

Die Fortschritte in der Geburtshilfe sind ja maßgeblich Ihrer Mutter Ingrid Leodolter zu verdanken, die als Gesundheitsministerin 1974 den Mutter-Kind-Pass einführte.

Leodolter: Bis Anfang der 1970er-Jahre besuchten Frauen in Österreich im Durch-schnitt maximal 2-mal in der Schwanger-schaft den Frauenarzt. Mit der Einführung des Mutter-Kind-Passes 1974 wurde die Versorgung der Schwangeren in Österreich schlagartig – quantitativ und qualitativ – verbessert. Quantitativ, weil 4, später dann 5 geburtshilfliche Untersuchungen im Mutter-Kind-Pass verankert wurden. Abgesehen von den quantitativen Verbesserungen waren vor allem die qualitativen Vorgaben revolutionär: Es ging nicht nur um geburtshilfliche Untersuchungen, sondern generell um Vorsorge.  So wurde von Anfang an eine internistische Untersuchung inklusive Labor (Blutgruppe und Rhesusfaktor, Ausschluss von Anämie, Toxoplasmose, Lues, Röteln et cetera) in den MKP integriert. Die soziale Situation war in den 1970er-Jahren eine viel schlechtere, die Etablierung des Mutter-Kind-Passes mit der Integration einer internistischen Vorsorgeuntersuchung war hier ein Meilenstein für die Frauengesundheit.

Was wurde in Hinblick auf die Säuglingssterblichkeit erreicht?

Leodolter: Die Säuglingssterblichkeit konnte von 1974 bis zur Evaluierung 1979, das heißt innerhalb von 5 Jahren, halbiert werden! Und mindestens ebenso entscheidend: Auf jedes überlebende Kind kamen zwei geschädigte Kinder weniger als früher. Natürlich haben auch die neuen technischen Möglichkeiten – es war der Beginn der Ultraschall-Ära und der geburtshilflichen Überwachung – dazu beigetragen. Heute liegt die perinatale Mortalität in Österreich übrigens bei 6 Promille.

Sowohl in der Geburtshilfe im Verhindern von Geburtskomplikationen als auch bei allen vorhin angesprochenen Erfolgen in der gynäkologisch-onkologischen Prävention geht es um den Ausschluss oder das Verhindern von Krankheit. Geht der Be-griff Frauengesundheit nicht noch weit da-rüber hinaus?

Leodolter: Natürlich. Zum einen geht allein Vorsorge weit über das Besprochene hinaus. Neben dem Hausarzt ist der Gynäkologe je-ner Arzt, den eine Frau ab dem Alter von ungefähr 15 bis ins hohe Alter am häufigsten aufsucht. Beginnend von der Impfberatung (unter anderem HPV), über die Beratung in Stoffwechselfragen, bei Schilddrüsenauffälligkeiten, über die anamnestische Erfassung des Osteoporoserisikos in der Postmenopause und gegebenenfalls Überweisung zum Osteologen sowie viele andere Fragen der Vorsorgemedizin bis hin zu Fragen der sexuellen Gesundheit und Beratung in Verhütungsfragen sind wir Ansprechpartner der Frau. Frauengesundheit ist ganzheitlich zu sehen und umfasst also viel mehr als gynäkologische Gesundheit, da zählt die internistische Gesundheit ebenso dazu wie die psychische.

Ist in puncto Prävention alles erreicht? Was müsste sich noch ändern?

Leodolter: Einerseits wurde natürlich in den letzten Jahrzehnten viel erreicht. Die Menschen sind heute gesünder als noch vor 40 Jahren, zum einen aus den erwähnten Grün-den. Zum anderen, weil ein ganz anderes Bewusstsein für viele Dinge besteht. Sie ernähren sich gesünder und bewusster, betreiben bewusst Sport. Erkrankungen werden dank der Vorsorgemöglichkeiten früher erkannt und können somit behandelt werden. Es gelingt zunehmend, Krebs in eine chronische Erkrankung überzuführen, womit gleichzeitig auch die Krebsmortalität sinkt. Andererseits gibt es noch vieles zu tun. Zum einen sollten die Möglichkeiten der Vorsorge verstärkt angenommen werden, zum anderen sollte viel mehr Augenmerk auf den Lebensstil gelegt werden. Hier werden zunehmend neue Zusammenhänge erforscht, wie etwa der Einfluss des Rauchens auf verschiedene gynäkologische Karzinome. Im Übrigen gibt es Hinweise, dass durch nichtmedizinische Interventionen wie Sport das Rezidivrisiko nach Brustkrebs gesenkt werden kann. Im Hinblick auf gesunde Lebensführung kann also noch viel mehr erreicht werden.

Stehen so viele Bedenken nicht in einem gewissen Widerspruch zu einer positiven Lebenseinstellung …? Es ist schon ganz schön viel, worauf man heute achten muss, was vor 40 bis 50 Jahren noch keinem bewusst war.

Leodolter: Es geht um gesundes Leben insgesamt! Und zwar kein hysterisch gesundes Leben, sondern um einen ganzheitlichen Ansatz und ein ausgeglichenes Leben.

Vielen Dank für das Gespräch!