Funktionsdiagnostik in der Gastroenterologie

Eine diagnostische Evaluation der chronischen Diarrhö unter Berücksichtigung wesentlicher anamnestischer Kriterien sowie körperlicher Befunde kann sinnvollerweise in mehreren diagnostischen Schritten erfolgen. Eine Überdiagnostik sollte vermieden werden. Ungezielte Hormonbestimmung sind bei Fehlen von morphologischen Hinweisen auf Tumoren aufgrund einer sehr schlechten Sensitivität und Spezifität und der sehr hohen Kosten von Hormonbestimmungen sowie der oft noch höheren Kosten infolge der Abklärung falsch positiver Befunde abzulehnen. Eine „Pilzbesiedelung“ des Darmes spielt für eine chronische Diarrhö keine Rolle. Patienten mit gastrointestinalen Erkrankungen berichten oft über einen Zusammenhang zwischen der Nahrungsaufnahme und dem Auftreten von gastrointestinalen Symptomen. Der subjektive Eindruck der Nahrungsmittelintoleranz und der Wunsch nach Diätberatung kann bei verschiedenen gastrointestinalen Erkrankungen sogar der Hauptgrund für den Arztbesuch sein.

Abklärung der Diarrhö

Labor- und Funktionstests: Die ungezielte Anwendung dieser oft invasiven Tests kann zu einer unangemessenen Beeinträchtigung der Lebensqualität des Patienten sowie zu hohen Kosten führen. Die diagnostische Evaluation des Patienten mit chronischer Diarrhö sollte daher in diagnostischen Schritten erfolgen. In dieser Übersicht soll die chronische Diarrhö definiert und mögliche Ursachen beleuchtet sowie ein rationelles diagnostisches und therapeutisches Vorgehen unter spezieller Berücksichtigung der Möglichkeiten in der Praxis und im peripheren Krankenhaus vorgeschlagen werden.

Definition der chronischen Diarrhö:
Diarrhö wird durch Ärzte und Patienten oft unterschiedlich definiert: Folgende objektivierbare Kriterien sollen zur Dokumentation einer Diarrhö erfasst werden, um Missverständnissen vorzubeugen:1

  1. Stuhlgewicht: höher als 200 g/d unter landesüblicher Kost
  2. Stuhlfrequenz: mehr als drei Stuhlgänge pro Tag
  3. Stuhlkonsistenz: breiig oder wässrig

Von einer chronischen Diarrhö muss man bei kontinuierlicher oder intermittierender Präsenz von zumindest einem der oben angeführten Kriterien sprechen.

Anamnestisch ist auszuschließen, dass der Patient ausschließlich folgende Symptome, die gelegentlich als Diarrhö fehlinterpretiert werden, angibt:2, 3

  1. Stuhlinkontinenz
  2. Krämpfe beim Stuhlgang
  3. Stuhldrang mit Unvermögen des Absetzens von Stuhl
  4. rektaler Abgang von Mukus, Blut, Eiter oder „Winden mit Stuhlbeimengung“

Allerdings können diese Symptome Begleitphänomene einer Durchfallerkrankung sein.

Ursachen der Diarrhö: Die pathophysiologischen Mechanismen der Diarrhö sind:

  1. Stimulation der Sekretion oder Hemmung der Absorption
  2. Erhöhung der osmotischen Belastung des Darmes, zum Beispiel bei Malabsorption
  3. Änderung der Motilität
  4. Exsudation

Häufig spielen für eine bestimmte Ursache mehrere der oben angeführten Mechanismen eine Rolle. Diarrhö kann auch als Nebenwirkung einer medikamentösen Therapie mit angeführten Medikamenten auftreten.
Diagnostik der Diarrhö: Für den gezielten Einsatz der weiterführenden und apparativen Diagnostik spielen Befunde aus der Anamnese und der körperlichen Untersuchung eine große Rolle.
Anamnese: Die drei wichtigsten Fragen sind:

  1. Handelt es sich um eine akute Diarrhö oder um eine chronische Diarrhö? Die Mehrzahl der akuten Diarrhöen dauert zwischen drei und zehn Tagen. Von einer chronischen Diarrhö spricht man bei einer Dauer von über drei bis vier Wochen.
  2. Gibt es Blutbeimengungen im Stuhl? Anamnestisch ist „rektaler“ Blutabgang, der unabhängig vom Stuhlgang ist, auszuschließen (zum Beispiel perianale Irritation, Hämorrhoiden, Menstruation). Je mehr das Blut mit dem Stuhl vermischt ist, desto eher handelt es sich wirklich um eine blutige Diarrhö.
  3. Liegen systemische Krankheitszeichen wie Fieber, Gewichtsverlust, Appetitlosigkeit, Gelenkbeschwerden, Hautausschläge oder Augenentzündung vor?

Eine weitere wichtige Frage ist, ob ein Wechsel zwischen Diarrhö und Obstipation vorliegt. Dieses wechselnde Stuhlverhalten lässt in erster Linie an ein irritables Darmsyndrom denken, kann sich aber auch bei Kolonkarzinomen oder Kolonstenosen anderer Ursachen finden. Aus der Beantwortung der oben angeführten drei Fragen ergeben sich die in der Tabelle angeführten differenzialdiagnostischen Möglichkeiten.

 

 

Körperliche Untersuchung: Mit Hilfe der körperlichen Untersuchung können Hinweise auf Folgezustände der Diarrhö wie Dehydratation und Malabsorption erfasst werden. Gelegentlich kann aufgrund von Entzündungsmerkmalen oder anderen Untersuchungsergebnissen auch auf die Ursache der Diarrhö rückgeschlossen werden. Eine rektale Untersuchung kann ebenfalls Hinweise auf die zugrundeliegende Erkrankung geben. Die Perianalregion soll in der Knie-Ellenbogen-Lage oder in der Linksseitenlage inspiziert und digital untersucht werden. Auf folgende Befunde ist dabei zu achten:

  1. perianales Ekzem als Hinweis auf Inkontinenz
  2. perianale Soordermatitis: speziell bei immunkompromittierten Patienten und nach Breitspektrumantibiotikatherapie ist sie Hinweis auf eine gastrointestinale Candidiasis.
  3. Eine perianale Fistel oder ein Abszess kann auf einen Morbus Crohn hinweisen, findet sich aber auch bei anderen entzündlichen Dickdarmerkrankungen wie Divertikulitis und Amöbiasis.
  4. symmetrisch oder asymmetrisch verringerter Analsphinktertonus als Ursache einer Inkontinenz

Blut-, Harn- und Stuhluntersuchungen: Die Befunde aus Anamnese und körperlicher Untersuchung sollen dazu verwendet werden, die angeführten Laboruntersuchungen gezielt, entsprechend der folgenden Indikationsgruppen, einzusetzen:

  1. Routinetest bei allen Durchfallerkrankungen
  2. ausgeprägte wässrige Diarrhö
  3. Malabsorption
  4. Entzündung
  5. Verdacht auf spezifische Erkrankung

Der noch vielerorts geübte mikroskopische Nachweis von Nahrungsresten im Stuhl ist als zu unspezifisch abzulehnen. Für den Nachweis von Clostridium difficile sollte der Stuhl nicht später als vier Stunden nach der Entleerung untersucht werden. Für den Nachweis von Amöben und Lamblien sollte der Stuhl noch körperwarm untersucht werden, da sonst die Sensitivität dieser Nachweise stark abnimmt. Die osmotische Lücke errechnet sich aus den im Stuhlzentrifugat gemessenen Konzentrationen von Natrium und Kalium nach folgender Formel: 290 – (Na + K) × 2. Ist diese osmotische Lücke größer als 90, so liegt die Ursache der Diarrhö in einer erhöhten osmotischen Belastung des Darmes (beispielsweise Kohlenhydratmalabsorption, Magnesiumeinnahme). Ist die osmotische Lücke kleiner als 50, so handelt es sich um eine sekretorische Diarrhö.

Weiterführende Diagnostik

Wenn durch die Laboruntersuchungen keine Ursache der Diarrhö etabliert wurde, oder im Einzelfall zur weiteren Abklärung der etablierten Ursache, empfehlen wir beim Einsatz der apparativen Diagnostik ein schrittweises Vorgehen in diagnostischen Ebenen. Beginnend mit den am wenigsten invasiven Methoden schreitet man nur dann zur nächsten diagnostischen Ebene, wenn noch keine Diagnose etabliert wurde.4

Erste diagnostische Ebene:
Sonografie: Der Nachweis von Leberrundherden kann den Verdacht auf Vorliegen eines Karzinoidsyndroms und der Nachweis von Pankreasverkalkungen kann den Verdacht auf Vorliegen einer exokrinen Pankreasinsuffizienz erhärten. Gelegentlich gelingt auch der Nachweis von verdickten Dünndarmschlingen im Rahmen eines Morbus Crohn sowie der Nachweis eines Abszesses bei Morbus Crohn oder Divertikulitis.
Abdomenübersichtsröntgen: Es dient in erster Linie zum Nachweis einer lokalisierten oder generalisierten Dilatation des Dünndarmes oder/und Dickdarmes. Dünndarmdilatationen finden sich bei Obstruktion im Rahmen eines Morbus Crohn, bei Sklerodermie, Diabetes mellitus, Amyloidose, Mesenterialvenenverschluss (eher subakutes Geschehen) oder schwerer Zöliakie. Eine Kolondilatation findet sich als Megakolon bei entzündlicher Darmerkrankung, Mesenterialvenenverschluss und Laxanzienabusus. Gelegentlich können abnormale Luftkontraste auf eine Verdickung von Dünndarmfalten im Rahmen entzündlicher, neoplastischer oder vaskulärer Darmerkrankungen hinweisen. Eine Verlagerung von Darmschlingen kann auf einen Abszess oder Tumor hindeuten. Kalzifikationen weisen je nach Lage auf eine chronische Pankreatitis oder einen ­Morbus Addison als Ursache der Diarrhö hin. Bei Vorliegen einer Sacroileitis ist an eine entzündliche Darmerkrankung als Ursache der Diarrhö zu denken, und bei Osteomalazie/Osteoporose ist eine Malabsorptionserkrankung auszuschließen.
Laktose-H2-Atemtest: Dieser ist bei Verdacht auf Vorliegen einer Laktoseintoleranz durchzuführen.
Gastroskopie mit Biopsie aus der Pars descendens duodeni: Makroskopisch oder histologisch lassen sich Dünndarmerkrankungen als Ursache eines Malabsorptionssyndroms, wie zum Beispiel Zöliakie, ­Lymphangiektasie, Morbus Whipple oder Lambliasis erkennen.

Zweite diagnostische Ebene:
Koloskopie und terminale Ileoskopie mit Schleimhautbiopsien: Es lassen sich makroskopisch, gelegentlich aber auch nur histologisch in einer normal erscheinenden Mukosa, Entzündungsursachen und Tumoren erkennen. Bei entzündlichen Krankheitsbildern (aus Anamnese, körperlicher Untersuchung und Labor) ist diese Untersuchung noch vor der Gastroskopie in der ersten diagnostischen Ebene zu reihen.

Dritte diagnostische Ebene:
Dünndarmdoppelkontraströntgenuntersuchung: Diese sollte zum Nachweis einer Erkrankung des Jejunums und Ileums, unter anderem bei Verdacht auf Vorliegen eines Morbus Crohn, einer bakteriellen Fehlbesiedelung oder eines Lymphoms, durchgeführt werden. Sie soll auch zur Beurteilung des Befallsmusters eines bereits endoskopisch gesicherten Morbus Crohn erfolgen.

Computertomografie des Pankreas/Oberbauchs: zum Nachweis endokrin aktiver Tumoren oder Lymphknotenbeteiligungen (Lymphom, Morbus Whipple, endokriner Tumor)

Endoskopische retrograde Cholangiopankreatografie: zur Etablierung der Ursache einer exokrinen Pankreasinsuffizienz (chronische Pankreatitis, Pankreolithiasis, Pankreaskopftumor, Gallensteinleiden)

Nahrungsmittelunverträglichkeiten: Wenn Menschen auf bestimmte Inhaltsstoffe von Lebensmitteln mit Beschwerden wie Durchfall, Bauchblähungen, Windabgängen et cetera reagieren, kann die Verdauung oder der Umgang des Körpers mit diesen Substanzen gestört sein.

Es handelt sich NICHT um Nahrungsmittelallergien, sondern um Unverträglichkeiten. Während Allergien dosisunabhängig sind, sind Intoleranzen dosisabhängig. Es gibt große Unterschiede in der Verträglichkeit – während bei manchen Menschen schon relativ geringe Mengen Intoleranzsymptome auslösen, vertragen andere Menschen viel mehr. Intoleranz wird auch durch gleichzeitige Einnahme anderer Nahrungsmittel oder durch Lebensumstände wie beispielsweise Stress oder Trauer sowie durch andere begleitende Erkrankungen, wie zum Beispiel ein Reizdarmsyndrom, beeinflusst. Intoleranzen gegenüber den häufigsten Kohlenhydraten, Laktose und Fruktose, stehen häufig mit einer inkompletten Absorption dieser Zucker im Dünndarm in Verbindung.

Laktoseintoleranz: Bei einer Laktoseintoleranz führt der Verzehr von Milch und Milchprodukten sowie von Nahrungsmitteln, die Laktose als Zusatzstoff enthalten, abhängig von der zugeführten Menge sowie von anderen begleitend eingenommenen Nahrungsmitteln zu Symptomen im Magen-Darm-Trakt. Ursache ist ein Enzymmangel. In Österreich sind etwa 20 % der Erwachsenen vom Enzymmangel betroffen.

Kommt es regelmäßig nach dem Verzehr von Milchzucker zu den erwähnten Beschwerden, kann die Laktoseintoleranz durch Symptommessung mit Hilfe eines standardisierten und wissenschaftlich evaluierten Fragebogens nach Einnahme von Laktose bestätigt werden. Diese Symptommessung kann durch einen Nachweis einer Laktosemalabsorption durch einen Atemtest (H2-Atemtest) ergänzt werden. Ein Gentest, der den Mangel an Laktase nachweisen kann, ist für eine Laktoseintoleranz nicht beweisend.

Inkomplette Fruktoseabsorption: Der in zu hohen Mengen verzehrte Fruchtzucker (Fruktose) kann nur zum Teil im Dünndarm resorbiert, also aufgenommen, werden. Ursache ist eine zu reichliche Zufuhr von Fruchtzucker in Obst oder anderen Lebensmitteln, dadurch wird der Transportbaustein GLUT im Dünndarm überlastet. Die Fruktose gelangt daher unverdaut in den Dickdarm und wird dort von der Darmflora abgebaut. Die Folge: Blähungen, Bauchschmerzen, Übelkeit oder Durchfall. Symptome in Folge dieser inkompletten Fruktoseabsorption (Fruktosemalabsorption) sind, im Gegensatz zur erblichen Fruktoseintoleranz, harmlos.
Der Zusammenhang zwischen Fruktose und Bauchsymptomen kann mit Hilfe eines standardisierten und wissenschaftlich evaluierten Fragebogens durch eine Aufzeichnung der Symptome nach Einnahme von Fruktose bestätigt werden. Diese Symptommessung kann durch einen Nachweis einer inkompletten Fruktoseabsorption durch einen Atemtest (H2-Atemtest) ergänzt werden.
Zur Diagnose einer Laktose- beziehungsweise Fruktoseintoleranz wird ein Provokationstest durchgeführt, in dessen Rahmen sowohl eine Kohlenhydratmalabsorption mittels Atemtest als auch eine Kohlenhydratsensitivität durch zeitgleiche Symptomerfassung nachgewiesen werden muss. Aus diesem Grund werden seit Mitte der 1990er-Jahre neben dem H2-Atemtest auch parallel die malabsorptionsassoziierten gastrointestinalen Symptome kumulativ erfasst. In den vergangenen Jahren hat sich die Technik der Atemtestgeräte weiterentwickelt, sodass heute die kombinierte H2-CH4-Messung als Goldstandard gilt, mit der auch bei H2-Nonexkretoren eine Malabsorption nachgewiesen werden kann. Für die Symptomerfassung während des Provokationstests existiert allerdings bisher noch keine einheitliche Methode, die als Standard akzeptiert ist. Es gibt lediglich Empfehlungen von Fachgesellschaften, welche Voraussetzungen die Symptomerfassung erfüllen sollte. Um diese Lücke zu schließen, werden gegenwärtig an den Medizinischen Universitäten Graz und Wien Fragebögen für die Erfassung von Symptomen entwickelt. Diese Fragebögen erheben dabei mithilfe einer visuellen Analogskala (VAS) differenziert die Ausprägung der als relevant identifizierten gastrointestinalen Symptome Bauchschmerz, Blähung, Flatulenz, Diarrhö und Übelkeit.

Fehlerquellen der Diagnostik: Entscheidend für die Empfehlung zur Durchführung einer Diättherapie (mit den damit einhergehenden Kosten und Einschränkungen der Lebensqualität) oder der Verwendung von medikamentösen Hilfsmitteln wie Laktasepräparaten bei Laktoseintoleranz oder D-Xylose-Isomerase bei Fruktoseintoleranz ist der Nachweis des Zusammenhangs zwischen Zufuhr dieser Kohlenhydrate und der Entstehung von Symptomen. Ein positiver Atemtest ohne Nachweis des Zusammenhangs mit den Symptomen ist nicht hilfreich. Genauso wenig ist auch ein positives Ergebnis eines Laktase-Gentests für die Entscheidung, ob eine Diät empfohlen werden soll, hilfreich.
Bis zum Abschluss der gegenwärtig an den Medizinischen Universitäten Graz und Wien erfolgenden Entwicklung und wissenschaftlichen Validierung von relevanten und reproduzierbaren Fragebögen zum Nachweis einer Intoleranz von Laktose, Fruktose, aber auch anderer Kohlenhydrate wie Trehalose (Pilzzucker) oder Xylit (Birkenzucker) reicht es vermutlich aus, wenn unter Verzicht auf H2-Messungen einfach die Symptome nach Zufuhr von 50 g Laktose oder 30 g Fruktose über die drei folgenden Stunden abgefragt werden.

Indikationen für die Durchführung der Laboruntersuchungen (Indikationsgruppen):

  1. Routinetest bei allen Durchfallerkrankungen
  2. bei ausgeprägter wässriger Diarrhö
  3. bei Verdacht auf Malabsorption
  4. bei systemischen Entzündungszeichen
  5. bei Verdacht auf spezifische Erkrankung

Literatur beim Verfasser