Die ÖGK macht derzeit Schlagzeilen mit Defizitzahlen und Spardebatten. Was ist da genau los?
Peter McDonald: Ich habe vor sechs Monaten den Vorsitz in der ÖGK mit einem prognostizierten Defizit von 900 Millionen Euro übernommen. Die Investitionen in Gesundheit haben sich in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht. Wir haben allein seit der Fusion 3,5 Milliarden mehr investiert – das ist eine sehr gute Nachricht, weil es eine Investition in Gesundheit ist. Wir haben aber einige von uns nicht beeinflussbare Faktoren, die uns langfristig unter Druck setzen: Die geburtenstarken Jahrgänge kommen ins Pensionsalter und verlassen den Arbeitsmarkt. Seit den 1980er-Jahren ist die Lebenserwartung um 10 Jahre gestiegen. In diesem Zeitraum hat sich die Zahl der über 65-Jährigen auf 1,9 Mio. Menschen fast verdoppelt. Diese Altersgruppe weist mit durchschnittlich 17,6 Kontakten je Patient:in eine doppelt so hohe Inanspruchnahme bei Allgemeinmediziner:innen im Vergleich zu den unter 65-Jährigen auf. Dazu kommt der medizinische Fortschritt, auf den wir sehr stolz sind, der aber auch seinen Preis hat. So verursachen etwa 0,8 Prozent aller Medikamentenverordnungen bereits mehr als 40 Prozent der Gesamtkosten in dem Bereich. Etwas verkürzt formuliert: Heute bedeutet eine Krebsdiagnose, dass die Erkrankung zu 80 Prozent heilbar ist, früher war es zu 80 Prozent ein Todesurteil. Das ist gut für den/die Einzelne:n, für uns aber eine Herausforderung. Nicht selten kosten innovative Medikamente 6.000 bis 8.000 Euro pro Packung, sind aber für den/die Einzelne entscheidend. Dazu kommt, dass immer mehr aus dem Spital in den Finanzierungsbereich der ÖGK ausgelagert wird. Trotz dieser Verlagerung beteiligt sich die ÖGK aber unverändert mit 6 Milliarden Euro pro Jahr an den Spitalskosten der Länder. Und: Angesichts der schlechten Wirtschaftslage mit mehreren Rezessionsjahren und hoher Arbeitslosigkeit haben wir auch einnahmenseitig ein Problem. All diese Faktoren sind für uns unbeeinflussbar, und wir müssen uns drauf einstellen – auch künftig.
Sie sind nicht neu in der Sozialversicherung – Sie waren schon 2011 bis 2014 Stellvertretender Vorsitzender der Trägerkonferenz der österreichischen Sozialversicherungsträger. Waren die Entwicklungen nicht schon damals erkennbar, oder sind Maßnahmen unterblieben?
Die demografischen Entwicklungen und der medizinische Fortschritt wurden weitgehend so prognostiziert. Es wurden Rücklagen und Investitionen getätigt. Der von manchen erhoffte „Weiße Ritter“, der Berge an Geld bringt, kam aber natürlich nicht. Wir müssen mit dem, was wir haben, auskommen und danach trachten, die künftigen Herausforderungen zu schaffen und gleichzeitig das Gesundheitswesen weiterzuentwickeln.
Welche Rezepte sind geplant?
Meine Agenda ist es, dass wir die Spitzenmedizin auf e-card auch für die künftige Generation erhalten. Wir können stolz darauf sein, was Sozialversicherung und Ärzteschaft in den vergangenen Jahrzehnten für die Menschen geleistet haben. Dafür möchte ich mich auch ausdrücklich bedanken. Mit unserem Konsolidierungsplan machen wir eigentlich unsere Hausaufgaben, um dieses Zukunftsziel zu erreichen, und wir setzen zugleich wichtige Bereinigungen von Überversorgungen und Fehlanreizen um. Diese machen die internen Strukturen schlanker sowie Leistungen treffsicherer und schaffen die Basis für einen fairen Leistungsbeitrag. Unsere Aufgabe ist es, den Bedarf besser abzudecken, aber nicht jedes Bedürfnis. Das kann einen Beitrag leisten, dass die ÖGK in eine finanzierbare Zukunft steuert. Da auch für uns die Schwerkraft gilt, gilt auch das, was für den ordentlichen Kaufmann gilt: Wir können nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen.
Das ist nicht neu: Das sind die gesetzlichen Vorgaben für die Krankenkassen – einnahmenorientierte Ausgabenpolitik.
Ja, das stimmt, darum wundert es mich auch immer wieder, wenn das manche überrascht.
Wie sehen die geplanten Schritte genau aus?
Wir fahren ein zweigleisiges Stufenmodell: Sofortmaßnahmen im ersten Schritt, um das Schiff wieder in die richtige Richtung zu lenken, und nachhaltige Maßnahmen, um die Gesundheitsversorgung weiterzuentwickeln – was Vorsorge, Verfügbarkeit und Innovationen wie z.B. Telemedizin betrifft. Wir haben ein Maßnahmenbündel gesetzt, das bis 2026 eine schwarze Null bringen soll und mittelfristig helfen muss, Schulden abzubauen und etwas für Investitionen freizumachen. Wir wollen heuer das Defizit auf 250 Millionen reduzieren – das ist sehr ambitioniert, aber nicht unmöglich.
Wie soll das angesichts der von Ihnen skizzierten Grundprobleme genau gelingen?
Ich habe in der Privatwirtschaft gelernt, dass man Unternehmen mit ambitionierten Zielen führt. Zuerst sparen wir bei uns, auch wenn wir schon jetzt nur zwei Prozent Verwaltungskosten haben. Wir besetzen jede zweite Pensionierung nicht nach, reduzieren Sachkosten und zehn Prozent der Flächen. Hätte die ÖGK so weitergemacht wie die Gebietskrankenkassen zuvor, hätte sie heute 900 Stellen mehr. Stattdessen haben wir seit der Fusion vor fünf Jahren 200 Stellen abgebaut. Macht zusammen 1.100 Jobs weniger. Dazu kommt es zu mehr Beitragsgerechtigkeit durch die Anpassung des Krankenversicherungsbeitrages der Pensionist:innen. Die Höhe legt das Parlament im Rahmen der Budgetbegleitgesetze fest. Und dann geht es darum, besseren Ausgleich zu finden, was Über- und Unterversorgung betrifft. Wir sehen das selbst, und immer wieder machen uns auch Expert:innen darauf aufmerksam, dass es beides parallel gibt.
Das wird nicht einfach – wie soll das gehen?
Wir müssen zwischen medizinisch notwendigen und nicht notwendigen Leistungen differenzieren. Wir wollen das Geld effizienter ausgeben – und bauen hier auch auf das Wissen und die Expertise der Ärzteschaft, mit der wir eine vertrauensvolle Partnerschaft haben wollen. Die Botschaft ist: „Wenn ihr uns helft, die Überversorgung abzustellen, können wir die Unterversorgung leichter beseitigen.“ Wir wollen ja keine medizinisch notwendigen Leistungen streichen, sondern medizinisch nicht notwendige. Dazu hoffen wir auch auf eine stärkere Orientierung an der Wissenschaft bei den Verordnungen. Für die Überversorgung im Bereich CT/MRT entwickeln wir ein elektronisches Bewilligungssystem bis Ende des Jahres. Strukturell sollten wir auch Fähigkeiten anderer Berufsgruppen besser nutzen. Wir merken aber etwa auch, dass es medizinisch nicht induzierte Krankentransporte gibt. Das wollen wir sozial gestaffelt einbremsen.
Sie wollen die Primärversorgung stärken – die Einkommen von Hausärzt:innen sind laut IHS zwischen 2015 und 2022 um 25,1 Prozent gestiegen. Der Verbraucherpreisindex ist im gleichen Zeitraum um 28,9 Prozent gestiegen. Was wollen Sie den Ärzt:innen bieten?
Wir haben uns eine Obergrenze festgesetzt – in den nächsten zwei Jahren nicht mehr als die Beitragseinnahmesteigerung auszugeben, um so die gesetzliche Vorgabe einzuhalten. Das sind bei einer Inflation von 2,7 Prozent derzeit prognostiziert rund vier Prozent. Wir müssen damit Honorarwünsche, aber auch Steigerungen der Mengen abdecken, können das aber österreichweit auch nicht übersteigen. Keine Zumutung, wie ich finde, aber natürlich ambitioniert. Was ich aber in Aussicht stellen möchte, ist, dass wir nach zwei schwierigen Jahren wieder mehr investieren möchten – etwa in Form eines neuen Regelwerkes, eines österreichweiten Gesamtvertrages mit gleichen Bezahlungen und Leistungen österreichweit. Das soll auch Bürokratie und Verwaltung für alle – für Ärzt:innen, aber auch für uns – reduzieren.
Der Gesamtvertrag kommt also erst 2027?
Wir müssen das realpolitisch sehen: Der Gesamtvertrag wird zum Start sicher eine Anschubfinanzierung brauchen. Angesichts der Budgetsituation im Bund glaube ich nicht, dass die Gelder für diese Anschubfinanzierung vorher da sind. Entscheiden müssten wir das aber schon noch bis 2026, so eine Umstellung braucht ja auch Zeit.
Vielen Dank für das Gespräch!