Long COVID und Diabetes

Obwohl sowohl Long COVID als auch Typ-2-Diabetes sehr häufige Erkrankungen sind, ist über die genaue Interaktion zwischen diesen beiden Erkrankungen erstaunlich wenig bekannt.

Long COVID

Während die Diagnose des Typ-2-Diabetes klar definiert ist1, ist dies bei Long COVID deutlich schwieriger. Am häufigsten wird jene Definition verwendet, laut der jegliche über 4 Wochen hinaus bestehenden Symptome nach Beginn der Infektion ohne sonstige erhebbare Ursache als Long COVID bezeichnet werden, wobei dies weiter unterteilt wird. Bei weiterhin bestehenden Symptomen von 4 bis 12 Wochen nach der Infektion wird von „weiterhin symptomatischem COVID-19“ gesprochen, während Symptome über die 12. Woche hinaus als „Post-COVID-Syndrom“ bezeichnet werden. Von den zahlreichen beschriebenen Symptomen scheinen insbesondere Müdigkeit und reduzierte Belastbarkeit, Dyspnoe und Husten, Anosmie, orthostatische Dysfunktion, eine reduzierte Merk- und Konzentrationsfähigkeit sowie das Chronic-Fatigue-Syndrom relevant.2, 3
Die Häufigkeit von Long COVID ist aktuell nicht zufriedenstellend geklärt. So werden in manchen Studien sehr hohe Prävalenzen bis > 80% angegeben, was sicherlich nicht der Realität in der Gesamtpopulation entspricht. Dies hängt wesentlich mit den verschiedenen Patientenkollektiven und dem Zeitpunkt der Untersuchung nach der Infektion zusammen. Die meisten Autor:innen erachten eine Prävalenz von ca. 2% 12 Wochen nach der Infektion als realistisch.
Risikofaktoren: Klarer ist die Datenlage bezüglich einiger Risikofaktoren für das Auftreten von Long COVID. Hier scheinen ein höheres Alter, weibliches Geschlecht, Adipositas, Rauchen, Hospitalisierung im Rahmen der akuten Infektion sowie insbesondere auch die Zahl der verschiedenen Symptome und auch die Zugehörigkeit zum Gesundheitswesen prädisponierende Faktoren zu sein.2–4
Bereits sehr früh hat sich gezeigt, dass das Vorhandensein eines Diabetes mellitus einen relevanten Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Verlauf darstellt. Interessanterweise sind hierbei insbesondere die Erstdiagnose eines Diabetes im Rahmen von COVID-19 sowie eine Hyperglykämie bei stationärer Aufnahme als Risikofaktoren relevant.5
In Hinblick auf Long COVID stellen sich insbesondere die Fragen, ob Diabetes auch einen Risikofaktor für das Auftreten von Long COVID darstellt und ob der Diabetes im Rahmen von Long COVID auftreten kann, also durch COVID ausgelöst wird.

Diabetes als Risikofaktor für Long COVID

Die Studienlage bezüglich Diabetes als Risikofaktor für das Auftreten von Long COVID ist heterogen: Beispielsweise kommt eine spanische Fall-Kontroll-Studie mit 189 hospitalisierten COVID-Patient:innen aus der ersten Welle bei einem Follow-up von 7 Monaten zum Ergebnis, dass Menschen mit Diabetes kein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Long-COVID-Symptomen hatten.6 Umgekehrt zeigte sich in einer Studie mit 2.334 hospitalisierten COVID-Patient:innen in Ghana, dass die Kombination aus arterieller Hypertonie und Diabetes ein 4-fach erhöhtes Risiko für das Auftreten von Long COVID darstellt, wobei in dieser Studie eine eher niedrige Prävalenz von Long COVID auffällig ist.7 Mehrere Studien decken sich jedoch mit der erwähnten Studie aus Ghana und zeigen, dass das Vorliegen eines Diabetes das Risiko für Long COVID ca. 4-fach erhöhen dürfte.
In der Literatur wird Diabetes mellitus auch oftmals als Risikofaktor für das Auftreten einer Post-COVID-Lungenfibrose genannt. Hierfür fehlen jedoch hochqualitative Daten, die dies eindeutig nachweisen, letztlich handelt es sich hierbei um Fallberichte von Patient:innen mit schlecht eingestelltem Diabetes, bei denen einige Wochen nach der Infektion eine Lungenfibrose festgestellt wurde.8

Typ-2-Diabetes als Folge von COVID

Im Rahmen von akutem COVID-19 kommt es bei vielen Patient:innen bekanntermaßen zu Hyperglykämie. Dies ist auch bei anderen inflammatorischen Erkrankungen der Fall, scheint jedoch bei COVID besonders ausgeprägt zu sein, wobei das Ausmaß der Hyperglykämie mit dem Ausmaß der Inflammation sowie respiratorischer Verschlechterung korreliert. Eine italienische Studie aus der ersten COVID-Welle zeigte eine Prävalenz von diabetischer Stoffwechsellage im Rahmen der Infektion bei 27% der hospitalisierten Patient:innen, wobei zusätzlich 46% der Patient:innen im Rahmen der SARS-CoV-2-Infektion weniger ausgeprägte hyperglykäme Zustände zeigten, sodass insgesamt 73% eine hyperglykäme Stoffwechsellage aufwiesen. Auch anhand von CGM-Messungen konnten ausgeprägte Hyperglykämien und eine hohe glykämische Variabilität nachgewiesen werden. Zusätzlich wurden die Patient:innen aus diesem Kollektiv weiter beobachtet, wobei die Autor:innen bei 35% der Patient:innen 6 Monate nach der Infektion eine weiterhin bestehende Hyperglykämie beobachteten und sich bei Post-COVID-Patient:innen anhand der CGM-Messungen deutlich ausgeprägtere Exkursionen im Vergleich zu Kontrollpatient:innen zeigten. Insbesondere die Nüchternwerte dürften nach überstandenem COVID-19 deutlich erhöht bleiben. Auch die Spiegel von Insulin und C-Peptid blieben nach der SARS-CoV-2-Infektion im Vergleich zu gesunden Proband:innen erhöht – mit deutlich erhöhter C-Peptid-Antwort nach Stimulation. Anhand der Berechnung des HOMA-IR (Homeostatic Model Assessment for Insulin Resistance) zeigte sich korrelierend eine deutlich erhöhte Insulinresistenz. Interessanterweise konnte nicht nur im Rahmen der akuten Erkrankung, sondern auch bei Post-COVID-Patient:innen ein verändertes inflammatorisches Sekretom nachgewiesen werden.9

Der Nachweis, dass Diabetes als Langzeitfolge von COVID häufiger auftritt, wurde in einer Studie an US-Veteran:innen erbracht. Hierbei wurden 1,8 Millionen SARS-CoV-2-infizierte Patient:innen mit über 4 Millionen Patient:innen in der Kontrollgruppe verglichen, wobei bei den Studienteilnehmer:innen bei Studieneintritt kein Diabetes bekannt war. Nach einem Follow-up von 12 Monaten zeigte sich in der Gruppe mit nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, einen Diabetes mellitus mit einer Hazard Ratio von 1,4 zu entwickeln. Korrelierend hierzu war auch die Wahrscheinlichkeit des Beginns einer antihyperglykämischen Therapie innerhalb von 12 Monaten nach überstandener SARS-CoV-2-Infektion erhöht. Hierbei war auch eine Assoziation mit der Schwere der COVID-Infektion zu erkennen: Während bei nichthospitalisierten Patient:innen das Diabetesrisiko nur gering erhöht war, zeigte sich bei hospitalisierten und insbesondere bei COVID-Patient:innen, die eine Intensivtherapie benötigten, ein sehr deutlich erhöhtes Diabetesrisiko.10

Long COVID und Typ-1-Diabetes

Eine oft diskutierte Frage ist zudem, ob COVID-19 das Risiko für Typ-1-Diabetes erhöht. Seit Beginn der Pandemie wurde eine Häufung diabetischer Ketoazidosen dokumentiert. So wurde beispielsweise in Deutschland festgestellt, dass die Häufigkeit einer Ketoazidose als Erstmanifestation eines Typ-1-Diabetes im ersten Jahr der Pandemie (2020) zunahm.11 Während im Jahr 2019 24,5% der Erstdiagnosen im pädiatrischen Kollektiv aufgrund von Ketoazidosen gestellt wurden, waren es im Jahr 2020 bereits 44,7%. Letztlich scheint dies jedoch eher ein Effekt der Begleitumstände der Pandemie zu sein, insbesondere durch die oft verzögerte ärztliche Vorstellung von Patient:innen bei Beschwerden.
Generell nimmt die Inzidenz des Typ-1-Diabetes in den letzten Jahren zu. So sind in vielen Registern jährliche Zunahmen der Inzidenz an Typ-1-Diabetes von ca. 5% beschrieben. Hierbei ist zu bemerken, dass seit Beginn der Pandemie eine Zunahme der Diabetesinzidenz zu vermerken ist. So ist beispielsweise aus schottischen Registerdaten zu entnehmen, dass 2020–2021 bei 0–14-jährigen Kindern eine Zunahme von 20% im Vergleich zum 7-Jahres-Schnitt zuvor zu registrieren ist.12, 13
Eine genauere Analyse zur Beurteilung eines möglichen kausalen Zusammenhangs zwischen SARS-CoV-2-Infektionen und Typ-1-Diabetes ergab, dass bei Kindern die Diagnose eines Typ-1-Diabetes innerhalb von 30 Tagen nach der Infektion im Vergleich zu Nichtinfizierten häufiger war (OR = 2,62), dass jedoch über die 30 Tage hinaus kein Hinweis auf eine Assoziation zwischen SARS-CoV-2-Infektion und Erstdiagnose eines Diabetes bestand.12 Die zeitlich sehr enge Assoziation zwischen COVID und Erstmanifestation eines Typ-1-Diabetes innerhalb von 30 Tagen lässt eher andere Ursachen als einen kausalen Zusammenhang vermuten. So ist in Anbetracht der oben bereits beschriebenen Assoziation zwischen Inflammation und hyperglykämischen Entgleisungen eine zeitliche Assoziation von Entgleisungen und somit potenziell vorgezogener Erstmanifestation eines Typ-1-Diabetes rund um den Infektionszeitpunkt nicht überraschend. Naturgemäß ist die Frage eines möglichen kausalen Zusammenhangs zwischen COVID-19 und Typ-1-Diabetes jedoch noch nicht abschließend untersucht.

Resümee

Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Diabetes mellitus und Hyperglykämie bedeutsame Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19 sind.
Zusätzlich scheint der Diabetes mellitus auch ein Risikofaktor für das Auftreten von Long COVID zu sein, die Datenlage hierzu ist jedoch heterogen.
Umgekehrt dürfte eine SARS-CoV-2-Infektion das Langzeitrisiko für Typ-2-Diabetes erhöhen, insbesondere nach schwerem Verlauf mit Hospitalisierung und Aufenthalt auf einer Intensivstation.
Während die Inzidenz des Typ-1-Diabetes während der Pandemie gemäß mehrerer Registerdaten zugenommen hat, besteht anhand der aktuellen Datenlage kein klarer Hinweis auf eine Kausalität von COVID-19 als Auslöser eines Typ-1-Diabetes.