Neuromyelitis optica: wenn der eigene Körper blind und lahm macht

Die Neuromyelitis optica (NMO) ist eine seltene Autoimmunerkrankung, die klassischerweise die Sehnerven und das Rückenmark angreift. Ein Großteil der NMO-Patient:innen weist hochspezifische Autoantikörper auf: Aquaporin-4-Antikörper (AQP4-IgG). Im Verlauf wurde das Spektrum durch weitere klinische Symptome erweitert, und der Begriff „Neuromyelitis-optica-Spektrum Erkrankungen“ („Neuromyelitis optica Spectrum Disorders“, NMOSD) löste die NMO als Diagnose weitgehend ab. Nicht alle Patient:innen weisen die spezifischen AQP4-IgG auf, sodass in jenen seronegativen Fällen neben den klinischen auch radiologische Kriterien zu beachten sind. Zusätzlich wurden in einigen Fällen von AQP4-IgG-negativen Patient:innen mit typischer Klinik Antikörper gegen das Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG) gefunden (MOG-IgG). Diese sind jedoch nach heutigem Stand der Wissenschaft als eigenständige Erkrankung aufzufassen: als MOG-assoziierte Erkrankung (MOGAD).

Klinik, Symptome und Diagnostik

Die klassischen Symptome, bei denen an eine NMOSD zu denken ist, sind eine Optikusneuritis (sehr oft beidseits ausgeprägt bis zum vollständigem Visusverlust) und eine Myelitis (klassischerweise als sogenannte longitudinale extensive transverse Myelitis [LETM, über mindestens 3 Wirbelkörper reichend]). Affektionen der Area postrema (unstillbarer Singultus, Übelkeit und Erbrechen) sollten bei entsprechender Läsion in der Bildgebung an eine NMOSD zu denken lassen. Weitere Kernsymptome umfassen: eine Beteiligung des Hirnstamms (Hirnstammsyndrom) und/oder des Diencephalons (dienzephales Syndrom) kann zu Ateminsuffizienz, kardialen Rhythmusstörungen, Schluckstörungen, Okulomotorikstörungen, Vigilanzminderungen und Narkolepsie führen. Bei Läsionen im Zerebrum wurden Aphasie, Apraxie, Krampfanfälle und Verwirrtheit beschrieben (zerebrales Syndrom). Nicht alle Symptome müssen bei den Patient:innen auftreten und treten in der Regel auch nicht auf.

Die diagnostischen Maßnahmen umfassen eine zerebrale (mit besonderer Beachtung des Chiasmas und der Sehnerven sowie der Area postrema und der dienzephalen Region) und eine spinale Bildgebung durch Magnetresonanztomografie (MRT). Im Verlauf kann das Rückenmark atroph werden, denn die Läsionen können im Verlauf so wirken, als ob sie „schrumpfen“ würden. Die MRT des Kopfes lässt sich normalerweise deutlich von jenen von MS-Patient:innen unterscheiden und ist insgesamt häufig unauffällig.
Die Liquoruntersuchung kann eine Pleozytose mit deutlich höherer Zellzahl als bei der MS zeigen. Bei entsprechender klinischer Konstellation muss differenzialdiagnostisch an bakterielle oder virale Infektionen gedacht werden. Die oligoklonalen Banden sind in der Mehrzahl negativ und können im Gegensatz zur MS bei Vorhandensein im Verlauf auch wieder verschwinden.
Entscheidend ist bei Verdacht auf NMOSD die Bestimmung der AQP4-IgG. Bei entsprechender Klinik (ein klinisches Kriterium) und bei Vorhandensein von AQP4-IgG ist die Diagnose der NMOSD zu stellen. Bei fehlendem Nachweis von AQP4-IgG wäre die Diagnose von NMOSD bei mehreren klinischen Kerncharakteristika (mindestens 2 und zusätzliche MR-Kriterien) zu stellen. Da die NMOSD häufig mit weiteren Autoimmunerkrankungen auftreten kann, sollte eine weitere Abklärung bzgl. Autoantikörper (z. B. ANA, ENA, Cardiolipin-AK) erfolgen.

Abgrenzung zur MS

Im Gegensatz zur MS verlaufen die Schübe meistens sehr schwerwiegend und gehen nicht selten mit einem kompletten Visusverlust (einseitig oder auch beidseitig) oder einer hochgradigen Tetra- oder Paraparese einher. Das Frauen-Männer-Verhältnis ist bei der MS zwischen 2,5 und 3 : 1, während bei der NMOSD deutlich mehr Frauen betroffen sind (9–10 : 1). Progressive Verläufe (Zunahme der Behinderung ohne Schübe) sind bei der NMOSD im Gegensatz zur MS nicht beschrieben, obwohl es Hinweise auf eine Akkumulation von „stillen“ Läsionen (ohne entsprechende Klinik) in der MR-Bildgebung gibt. Je nach Symptom können die Einschränkungen im Rahmen der NMOSD zu einer ausgeprägten Behinderung bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen (Ateminsuffizienz) führen. In der Schwangerschaft sind Schübe (in der Abgrenzung zur MS) keine Seltenheit. Außerdem kommen bei der NMOSD häufig weitere Autoimmunerkrankungen (z. B.: systemischer Lupus erythematodes oder auch Myasthenia gravis) vor.

Therapeutisches Vorgehen

Es wird zwischen einer akuten (im Schub) und einer prophylaktischen Therapie (den nächsten Schub durch Therapie verhindern) unterschieden.
Im akuten Schub ähnelt die Therapie jener der MS und umfasst die Gabe von Glukokortikosteroiden (GKS) und die Durchführung eines Plasmapherese (PLEX) oder Immunadsorption (IA). Im Falle von schwerwiegenden Verläufen und von Nichtansprechen auf GKS in früheren Schüben sollte frühzeitig an eine PLEX oder IA gedacht werden.
Als prophylaktische Therapie wurde historisch Azathioprin oder Mycophenolat-Mofetil (derzeit noch in vielen Ländern aufgrund fehlender Alternativen) angewendet. Als Standardtherapie setzte sich Rituximab durch. Bei Therapieversagen – also bei weiterer Krankheitsaktivität trotz Therapie – zeigten einige Fallserien und kleinere Studien gute Erfolge mit dem gegen den IL-6-Rezeptor gerichteten monoklonalen Antikörper Tocilizumab. Zu beachten ist, dass diese beiden Therapien aufgrund ihrer fehlenden Zulassung für NMOSD „off-label“ sind.
Mit dem Komplementinhibitor (C5) Eculizumab wurde in Europa erstmals eine Therapie für die schubförmige NMOSD zugelassen. Die Therapie zeichnet sich durch eine exzellente Erfolgsquote aus. Beachtet werden muss jedoch, dass die Therapie alle 2 Wochen als Infusion stationär zu verabreichen und mit hohen jährlichen Kosten verbunden ist.
Als zweite Therapie wurde der gegen den IL-6-Rezeptor gerichtete monoklonale Antikörper Satralizumab zugelassen. Im Gegensatz zu Tocilizumab wird diese Therapie in Form von Injektionen alle 4 Wochen (in den ersten 4 Wochen 2 wöchentlich) verabreicht. Der CD19-Antikörper Inebilizumab, der auf B-Zellen und Plasmazellen abzielt, ist bereits in den USA zugelassen. In Europa dürfte die Zulassung demnächst erfolgen. Die Therapie soll alle 6 Monate als Infusion verabreicht werden.
Für alle 3 Therapien gilt, dass diese nur für NMOSD-Patient:innen mit AQP4-IgG-Nachweis zugelassen sind.