ÖGPAM – Philosophische Wanderung im Oktober 2024 in Vorarlberg

Unsere Wanderung begann im Stadtzentrum von Bregenz und führte in mehreren Etappen auf den Gebhardsberg. Bei Zwischenhalten wurden viele interessante Kurzreferate zum Thema „Zukünftiges – zwischen Ausdenken, Befürchten und Erhoffen“ gehalten, die bei der Weiterwanderung zu intensivem Gedankenaustausch anregten.

Die einführenden Überlegungen sandte Barbara Degn: Wir blicken momentan besorgt in die Zukunft, die keine Fortsetzung der Vergangenheit und Gegenwart ist, sondern sich oft überraschend entwickelt, manchmal auch mit disruptiven Innovationen, zum Beispiel Smartphones und Social Media, wie uns die Zukunftsforschung aufzeigt. Vieles wird sich ändern, aber Menschen werden Menschen bleiben, und was für immer bleiben wird, ist die Liebe. So positiv eingestimmt starteten wir unsere Wanderung.

Herbert Bachler und Thomas Jungblut brachten ihre Überlegungen zu den Themen „Verstehen, Respektieren und Tolerieren“ ein – eng miteinander verbundene Konzepte, welche die Grundlagen für ein harmonisches Zusammenleben bilden. Verstehen bedeutet, sich die Mühe zu machen, die Perspektiven und Gefühle anderer Menschen nachzuvollziehen. Voraussetzung dafür sind Empathie, Wissen und Bildung sowie die Fähigkeit zum „aktiven Zuhören“. Anwendung findet Verstehen bei Konfliktlösungen, Teamarbeit, Bildung und Erziehung. Respektieren wiederum bedeutet, die Würde und Rechte anderer Menschen anzuerkennen, dafür bedarf es Wertschätzung, Gleichheit und Gerechtigkeit sowie Höflichkeit und Etikette. Dann werden Arbeitsplatzkultur, Familien- und interkulturelle Beziehungen möglich. Toleranz ist die Bereitschaft, andere Lebensweisen, Überzeugungen und Verhaltensweisen zu akzeptieren, selbst wenn sie den eigenen Normen und Werten widersprechen. So können Konflikte auf konstruktive Weise gelöst und ein Umfeld geschaffen werden, in dem Vielfalt als Bereicherung gesehen wird. Das „Paradoxon der Toleranz“ besagt aber, dass uneingeschränkte Toleranz notwendigerweise zum Verschwinden dieser führt, wir also unsere Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz verteidigen müssen.

Renate Hoffmann-Dorninger schickte ihre Überlegungen „zu der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat“. Wünsche zeigen neue Perspektiven auf, sie ermöglichen einen offenen Blick auf unser Leben, bewegen uns dazu, uns immer wieder neu auf die Suche zu begeben. In Märchen, Sagen und Witzen wird jedoch immer gewarnt, achtsam mit ihnen umzugehen, da manchmal etwas anderes herauskommt, als man sich gewünscht hat, so geschehen im Märchen vom Froschkönig. Nachdenklich stimmte uns das Lied „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ gesungen von Marlene Dietrich, dem wir bei einem großartigen Blick über Bregenz lauschten.

Barbara Hasiba referierte zum Thema „Zwischen Befürchtetem und Erwünschtem“ – zwei Seiten einer Medaille, die untrennbar zusammengehören, denen beiden das Streben nach mehr Sicherheit zugrunde liegt. Befürchtungen sind oft mit Sorgen und Ängsten verbunden und stark emotional verankert. Wir können sie als mögliche Herausforderung sehen, die wir bewältigen wollen, und dafür Vorkehrungen treffen. Erwünschtes dagegen ist ein angestrebtes Ereignis, das gerne gesehen wird, verbunden mit der Möglichkeit der Selbstgestaltung und Selbstwirksamkeit im Leben. Um die Realisierbarkeit eigener Wünsche zu überprüfen, ergibt es Sinn, zwischen Erreichbarem und Unerreichbarem, Verfügbarem und Unverfügbarem zu unterscheiden. Nicht jeder Wunsch nach Veränderung führt auch zu dieser, er schafft aber einen Möglichkeitsraum, der betreten werden könnte. Im Ordinationsalltag können wir gemeinsam mit den Patient:innen die beiden Seiten der Medaille betrachten. Der Blick auf die „gemischten Gefühle“ schafft Raum für gegensätzliche Überlegungen, um das gewünschte Therapieziel zu entwickeln, nicht über Patient:innen hinweg zu verordnen, damit Compliance zu fördern, durch das Einbeziehen von Ambivalenzen Widerstand zu reduzieren und Zeit zu sparen sowie Perspektivenwechsel vom symptomorientierten Fokus auf Mögliches und Erwünschtes in der Zukunft vorzunehmen. Zusammengefasst hat das eindrücklich Mascha Kaléko in ihrem Gedicht „Nachts II“: „Die Nacht, in der das Fürchten wohnt, hat auch die Sterne und den Mond.“

Reinhold Glehrs Thema „Zukünftiges – zwischen Ausdenken, Befürchten und Erhoffen, und was dies mit Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen und Selbstwirksamkeit zu tun hat …“ wurde, da er selbst nicht nach Bregenz kommen konnte, von Bernhard Panhofer vorgetragen. Bedeutungsgebung von Dingen, Geschehnissen und Veränderungen sowie Zukünftiges sind häufig Themen der Beratung in Ordinationen. Dafür sind richtige Fragen und gutes Zuhören der Weg, die Fragetechnik ist das Geheimnis des Erfolges. Hilfe zur Problemlösung oder Unterstützung für die Lebensführung ist in der Regel der Auftrag unserer therapeutischen Begegnung. Wir sind wie unsere Patient:innen mit Informationen überflutet. Eine stimmige Beurteilung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sowie die Implementierung dieser in sich selbst brauchten jedoch Zeit und Ruhe. Zu leicht werden Bedeutungserteilungen anderer übernommen, die den eigenen Erfahrungen widersprechen und dann als Unbehagen wahrgenommen werden. Sich Zeit zu nehmen, Selbstwahrnehmung zu üben und zu versuchen, das ideale ans reale Selbst näherzubringen sind die Voraussetzungen für Zukunftsüberlegungen, wenn sie unsere eigenen sein sollten.

Seine eigenen Überlegungen zu „Selbstwirksamkeit“ trug Bernhard Panhofer dann beim nächsten Zwischenstopp vor. Diese kann immer nur aus Beziehung, Bezugnehmen und Begegnung entstehen. Voraussetzungen lassen sich mit Antonovskys Begriff des Kohärenzgefühls beschreiben sowie mit Martin Bubers Worten: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Sehr anschaulich beschrieb Bernhard Panhofer den Begriff der Selbstwirksamkeit an 3 Beispielen: der Geschichte von Odysseus, dem Märchen der Bremer Stadtmusikanten sowie einer sehr persönlichen Geschichte seines Vaters. Die Botschaft an uns Ärzt:innen: Wir sind nicht vollkommen, das würde nicht genügen. Aber wir sind Menschen, das ist genug, uns eint eine Art professionelle Menschenliebe, und jede:r findet seine/ihre eigene Art Selbstwirksamkeit: „Ich bin es selbst in mir.“

Der letzte Beitrag zum Thema „Vertrauen – Verlässlichkeit – Verantwortlichkeit“, geschrieben von Andrea Bitschnau-Friedl, wurde gemeinsam mit Susanne Felgel-Farnholz vorgetragen. Im Vertrauen legen wir unser Wohlergehen und unsere Sicherheit in die Hände anderer Personen, Kooperationspartner:innen sowie Teams und gehen damit ein Risiko ein. Andererseits verringert es die Komplexität im Alltag, es ist der Vertrauensvorschuss, den wir Menschen schenken – bis zum Beweis des Gegenteils. Verlässlichkeit zeigt man durch Umsetzung dessen, was man versprochen hat, und Verantwortlichkeit ist mit den Begriffen „Pflichtbewusstsein“, „Zuständigkeit“, „Sorgfalt“ und „Fachkompetenz“ verbunden. In Andreas Schilderung der persönlichen Erfahrung bei der Gründung einer Gemeinschaftspraxis wird die Wichtigkeit der Umsetzung dieser Kompetenzen sichtbar, was nur mit Respekt und Wertschätzung füreinander, freundschaftlicher Verbundenheit, Kompromissfähigkeit und dem Fokus auf ein gemeinsames Ziel möglich wurde.