Reform wirft noch weitere Fragen auf

„Im Bereich der Sozialversicherung wird heute ein wichtiger Schritt zur Umsetzung der Reform gesetzt.“ Das sagte Anfang April 2019 – vor fünf Jahren – ÖVP-Klubobmann August Wöginger in einer Pressekonferenz mit der damaligen Sozialministerin Mag.a Beate Hartinger-Klein (FPÖ) anlässlich der konstituierenden Sitzung der Überleitungsausschüsse der fusionierten Krankenversicherungen. „Die Regierung ist dieses Projekt zielstrebig angegangen, sodass endlich österreichweit gleiche Leistung für gleiche Beiträge gilt“, sagte Hartinger-Klein und betonte weiters: „Dies ist ein historischer Tag in der Geschichte der Sozialversicherung, deren Zukunft heute startet. Die Politik hat die gesetzlichen Rahmenbedingungen geschaffen, und die Selbstverwaltung kümmert sich jetzt um die Umsetzung. Das Wichtigste bei der Zusammenlegung der Sozialversicherung sind die Effizienzsteigerungen, damit mehr Geld in Leistungen für die Versicherten und Ärzt:innen investiert werden kann.“

„Patientenmilliarde“ war ein Schmäh

Sechs Wochen später begann mit der Veröffentlichung des Ibiza-Videos das rasche Ende der Koalition. Geblieben ist die Kassenreform. Und die wurde unter anderem vom Verfassungsgerichtshof und dem Rechnungshof geprüft. Das Fazit: Gleiche Leistung für gleiche Beiträge wird noch diskutiert, mehr Geld für Versicherte und Ärzt:innen ist nur teilweise in Sicht. Das Vorhaben einer Einsparung von 1 Mrd. Euro wäre nicht ausreichend begründet, um es der Steuerung der Sozialversicherungsträger zugrunde zu legen, schrieben die Prüfer:innen. Die vielzitierte „Patientenmilliarde“ sei „Marketing-Wording“ gewesen und von den Kommunikationsverantwortlichen aus dem türkisen Kanzleramt gekommen, erklärte Hartinger-Klein nun Mitte April im von der ÖVP eingesetzten Untersuchungsausschuss zum „rot-blauen Machtmissbrauch“. Sie selbst habe darüber einen „Wutanfall“ bekommen. Dass die Vereinheitlichung der Leistungen noch offen sei, liege an der Umsetzung, nicht aber an der Reform selbst. Ob es jetzt mit der nächsten Gesundheitsreform gelingt, ist noch offen. „Wir haben jetzt die Grundvoraussetzung geschaffen, aber wenn man bei der Umsetzung nicht dranbleibt, geht das nicht“, sagte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) kürzlich beim C3 Business Talk im Interview mit C3-Geschäftsführer Thomas Prantner und PULS-4-Moderatorin Johanna Setzer.

Denn hinter den Kulissen wird eifrig an der Umsetzung der Reform in der Bundes-Zielsteuerungskommission (B-ZK) gearbeitet. Ihr kommt eine zentrale Rolle zu, verwaltet sie doch in Hinkunft gemeinschaftlich den Einsatz der Gelder und kann entsprechend gestalten. Bei der Umsetzung der Reform soll wie berichtet ein Fokus auf der Erweiterung der Angebote im kassenärztlichen Bereich sowie auf den Primärversorgungseinheiten liegen, wobei seit der Änderung der rechtlichen Grundlagen und vor allem seit der Beseitigung der Vetomöglichkeit der Ärztekammer ein Gründungsboom eingesetzt habe, sagte Rauch. Doch er ortet weiterhin Partikularinteressen bei Stakeholdern: „Jetzt versuchen manche, über den Umweg Zielsteuerungsvertrag noch Sand ins Getriebe reinzubringen. Deshalb muss man dranbleiben. Es ist eben noch nicht alles fertig.“

Letztentscheidung bei Ärzt:innen

Das betrifft auch das viel diskutierte Bewertungsboard für neue, innovative und teure Therapien, wobei Rauch unterstreicht, dass damit vor allem mehr Transparenz geschaffen werden soll. Bisher habe jedes Krankenhaus eigene Verhandlungen mit Pharmaunternehmen geführt, die zudem völlig intransparent abgelaufen seien und der Vertraulichkeit unterliegen. Außerdem würden nur fachkundige Vertreter:innen aus den Bereichen Humanmedizin und Pharmazie im Gremium sitzen, das außerdem nur Empfehlungen aussprechen könne. Kritiker:innen befürchten allerdings, dass künftig vor allem ökonomische und nicht mehr medizinische Argumente im Vordergrund stehen werden. Allerdings steht auch hier noch eine wichtige Entscheidung an – jene über die Geschäftsordnung des Bewertungsboards. Rauch dazu: „Die Letztentscheidung bezüglich der Arzneimittel liegt weiterhin beim behandelnden Arzt oder bei der behandelnden Ärztin. Und das wird auch in der Geschäftsordnung festgeschrieben. Ich glaube, es ist ein gutes Instrument, mit dem alle zufrieden sein werden, wenn wir die Geschäftsordnung so hinbekommen.“

Deutliche Kostenüberschreitung

Um die Ziele der Gesundheitsreform 2013 umzusetzen, einigten sich damals Bund, Länder und Sozialversicherung auf einen ersten Bundes-Zielsteuerungsvertrag für den Zeitraum bis Ende 2016 zur Planung, Organisation und Finanzierung der österreichischen Gesundheitsversorgung. Der zweite Zielsteuerungsvertrag auf Bundesebene für die Jahre 2017 bis 2021 wurde in der Pandemie verlängert. Jetzt steht der dritte Vertrag an, und es zeigt sich: Österreich bleibt nach wie vor ein Land mit zehn verschiedenen Gesundheitssystemen – neun in den Bundesländern, eines im Bund. Das zeigt nun auch der halbjährlich erscheinende Kurzbericht der Finanzzielsteuerung Gesundheit mit einer Analyse von 2023. Die Detailauswertungen des Monitorings zeigen für Österreich im Vorjahr gesamthaft (Länder und gesetzliche Krankenversicherung) eine deutliche Überschreitung der Ausgabenobergrenzen (AOG) um 2,68 Mrd. Euro (+9,73 %). Grund sind Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronakrise sowie Nachholbedarf in der Versorgung nach der Krise.

Wien Top, Vorarlberg Flop

Die Ausgaben der Bundesländer überschritten die Vorgaben laut aktuellem Bericht um 1,62 Mrd. Euro bzw. 11,06 %. Auch bei der gesetzlichen Krankenversicherung gab es eine Überschreitung um 1,06 Mrd. Euro (+8,22 %). Vergleicht man die Bundesländer im Detail, zeigt sich, dass es die größte AOG-Überschreitung im Burgenland (+26,97 %) gab. Auf weiteren Plätzen folgen Wien (+17,11 %) und Oberösterreich (+14,18 %). Am anderen Ende der Skala finden sich Kärnten (+3,02 %), Niederösterreich (+4,89 %) und Tirol (+6,06 %). Bei der Krankenversicherung gab es die stärkste Überschreitung in Wien (+9,33 %), Oberösterreich (+8,49 %) und dem Burgenland (+8,45 %). Am Ende liegen Vorarlberg (+5,66 %), Salzburg (+7,02 %) und Tirol (+7,1 %).

Mehr Geld für Kassen

Bis zur Pandemie habe der Kostendämpfungspfad eingehalten werden können, danach seien die Ausgaben aber eskaliert, erklärt Rauch. Durch den Finanzausgleich sei es aber gelungen, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, die im neuen Zielsteuerungsvertrag abgebildet werden müssten. Der Ressortchef teilt zudem mit, dass die ÖGK nicht nur 300 Mio. Euro aus diesem Topf erhalten habe, sondern auch noch zusätzlich 300 bis 400 Mio. Euro vom Bund, um neue Leistungen finanzieren zu können.