Zu selten erkannt und behandelt

Prädiabetes stellt zumeist eine Vorstufe des Diabetes mellitus Typ 2 dar, kann jedoch durch lebensstilmodifizierende Therapie effektiv behandelt werden. Ein entsprechendes Screening trägt maßgeblich zu einer frühen Therapie und damit auch zu einer deutlichen Verzögerung vaskulärer Komplikationen bei. Rund 5 % der erwachsenen Bevölkerung haben einen Prädiabetes und tragen somit ein sehr hohes Risiko in sich, innerhalb der kommenden Jahre einen Diabetes mellitus Typ 2 zu entwickeln. Die heute gültige Definition des Prädiabetes bezieht sich auf das Vorliegen einer gestörten Glukosetoleranz (2 Stunden nach Einnahmen von 75 g Glukose ≥ 140 mg/dl, aber ≤ 200 mg/dl) und/oder einer gestörten Nüchternglukose (≥ 100 mg/dl, aber ≤ 125 mg/dl) und/oder einer Erhöhung des HbA1c-Wertes (5,7–6,4 %).

Störfaktoren

Generell entwickelt sich die Hyperglykämie kontinuierlich, wobei sowohl die Störungen der Nüchtern- als auch der postprandialen Glukose unterschiedliche Zeitverläufe aufweisen. Im Rahmen der Diagnosestellung, für die alle 3 erwähnten Parameter verwendet werden können, soll auf mögliche störende Einflüsse durch interkurrente Erkrankungen oder die Einnahme von Medikamenten Rücksicht genommen werden.
Die entsprechenden labortestsystembedingten Varianzen sollten ebenfalls unbedingt in Betracht gezogen werden. Beispielsweise kann die intraindividuelle Varianz bei der Bestimmung der Nüchternglukose zwischen 7 und 14 % und beim oralen Glukosetoleranztest zwischen 20 und 40 % betragen.
„Die Verzögerung bzw. Verhinderung sowohl mikro- als auch makrovaskulärer Komplikationen ist klinisch äußerst relevant.“

Screeningempfehlungen

Prädiabetes, der bereits das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen erhöht, wird viel zu selten erkannt und behandelt. Aufgrund der hohen Rate an nichtdiagnostizierten Patient:innen mit Diabetes bzw. Prädiabetes empfahlen die Diabetesgesellschaften ein strukturiertes Screening. Generell sollte ab dem 45. Lebensjahr die Nüchternplasmaglukose, alternativ dazu das HbA1c, kontrolliert oder ein oraler Glukosetoleranztest durchgeführt werden. Liegen zusätzliche Risikofaktoren (siehe Kasten) vor, soll unabhängig vom Alter gescreent werden. Bei primär unauffälligen Resultaten wird eine Wiederholung alle 3 Jahre empfohlen.

Risikoreduktion durch Lebensstiladaption

Wurde die Diagnose Prädiabetes gestellt, so stellt die lebensstilmodifizierende Therapie die effektivste Maßnahme dar, um eine Progression des Prädiabetes zu einem Diabetes mellitus Typ 2 zu verzögern bzw. zu verhindern. Da die Modifikation der Ernährung bei Prädiabetes einen besonders wichtigen Stellenwert einnimmt, sollte eine Ernährungsberatung durch entsprechend geschulte Diätologen durchgeführt werden. Zusammenfassend wird eine gesunde Mischkost empfohlen, wobei weniger als 30 % des Tagesenergiebedarfes durch Fett gedeckt werden sollen. Moderate körperliche Aktivität in einem Ausmaß von 30 min/Tag bzw. insgesamt 150 min/ Woche stellt die zweite wesentliche Säule der Therapie des Prädiabetes dar.
Die wissenschaftliche Evidenz für diese Empfehlungen beruht maßgeblich auf den Resultaten der Diabetes Prevention Study und des Diabetes Prevention Program. Im Rahmen dieser Arbeiten bewirkte eine intensivierte lebensstilmodifizierende Therapie eine 56-prozentige Risikoreduktion für das Auftreten eines Diabetes mellitus Typ 2 bei bereits an Prädiabetes erkrankten Patient:innen (definiert durch gestörte Glukosetoleranz). In diesen Studien konnte eine beeindruckende Number Needed to Treat von 6,9 errechnet werden. Dies ist insofern besonders bemerkenswert, da für die verfügbaren Medikamente die entsprechende Number Needed to Treat deutlich höher ausfällt.
Die Lebensstiltherapie ist zwar äußerst effektiv, stellt aber keine direkte Therapie des progredienten, meist polygenetisch bedingten Betazellversagens dar. Dem aktuellen Verständnis der Pathophysiologie entsprechend kann daher davon ausgegangen werden, dass eine entsprechende lebensstilmodifizierende Therapie die tatsächliche Manifestation eines Diabetes mellitus um einige Jahre verzögert. Auf den ersten Blick scheint diese Tatsache etwas enttäuschend, dennoch ist diese Zeitspanne für die Verzögerung bzw. Verhinderung sowohl mikro- als auch makrovaskulärer Komplikationen äußerst relevant.

Medikamentöse Therapie

Neben der lebensstilmodifizierenden Therapie, welche die effektivste therapeutische Maßnahme zur Behandlung des Prädiabetes darstellt, konnten in zahlreichen Studien auch Metformin, Alphaglukosidasehemmer und Glitazone einen therapeutischen Effekt bei Prädiabetes demonstrieren. Die Verordnung entsprechender Medikamente sollte demnach in dieser Indikation nicht routinemäßig, sondern nur nach ausführlicher Nutzen-Risiko-Evaluierung durchgeführt werden.

PATHOGENESE
Bemerkenswert ist …

… dass die Diagnose Prädiabetes nicht automatisch bei jedem Betroffenen immer zu der Entstehung eines manifesten Diabetes mellitus Typ 2 führt.
Aufgrund des heutigen, pathophysiologischen Verständnisses der Erkrankung ist von einer Vielzahl an Defekten auszugehen, die an der Entstehung eines Prädiabetes und in weiterer Folge an der Manifestation eines Diabetes mellitus beteiligt sind. Im Vordergrund der Defekte steht die Dysfunktion der Betazellen in Kombination mit einer Insulinresistenz, die vor allem durch Faktoren des Lebensstils negativ beeinflusst wird. Mit Hilfe des hyperinsulinämischen, euglykämischen Clamps konnte gezeigt werden, dass bei etwa 40 % der an Prädiabetes erkrankten Patient:innen die Insulinresistenz im Vordergrund steht, wobei in den peripheren Geweben die Insulinresistenz eine verminderte Glukoseaufnahme in der Skelettmuskulatur und im peripheren Fettgewebe bedeutet. In der Leber bewirkt die verminderte Insulinwirkung eine reduzierte Suppression der postprandialen Glukoseproduktion.