ÖGK übernimmt HbA1c-Refundierung

Die HbA1c-Messung wird jetzt von der ÖGK erstattet – was erwartet man sich dadurch?

Univ.-Prof.in Dr.in Susanne Kaser: Zuallererst möchte ich mich für die konstruktiven Gespräche und die gute Zusammenarbeit mit der ÖGK während meiner Präsidentschaft in der ÖDG bedanken, dass dieser Meilenstein der im Jahr 2021 beschlossenen flächendeckenden Refundierung der HbA1c-Bestimmung durch die ÖGK für die Diabetesversorgung in Österreich zum Wohle aller Patient:innen gelungen ist. Vor allem geht es hier zum einen um die Reduktion der Dunkelziffer an DM2-Erkrankten und zum anderen um eine Identifikation von Hochrisikopersonen. Laut der International Diabetes Federation (IDF) sind in Österreich etwa ⅓ aller Diabetesfälle nicht diagnostiziert, jede/jeder Dritte weiß also nichts von ihrer/seiner Erkrankung. Daraus erklärt sich, warum häufig erst im Rahmen eines kardiovaskulären Ereignisses oder einer anderen schweren interkurrenten Erkrankung die Diagnose Diabetes mellitus gestellt wird. Dies ist umso bedauernswerter, weil sich die Therapie des Typ-2-Diabetes in den letzten Jahren dramatisch verbessert hat, nicht nur, was die Verträglichkeit der Medikamente betrifft, sondern auch, was den Schutz vor Langzeitschäden betrifft. Dieser therapeutische Fortschritt kann aber nur dann optimal genützt werden, wenn die Diagnose frühzeitig gestellt und die Therapie begonnen wird. Zusätzlich zur verbesserten Diabetesfrüherkennung besteht durch ein gezieltes HbA1c-Screening die Chance, Patient:innen mit Prädiabetes zu identifizieren und zu behandeln. Diese Patient:innen haben nicht nur ein hohes Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes und von entsprechenden Folgeerkrankungen, sondern weisen häufig auch andere behandlungsbedürftige Erkrankungen wie Hypertonie oder Dyslipidämie auf.

Mit welchem Ausmaß an einer Zunahme von Diabetespatient:innen rechnen Sie?

Schätzungen der International Diabetes Federation zufolge müssen wir von deutlich mehr als 200.000 Menschen mit bisher nicht diagnostiziertem Diabetes ausgehen. Dazu kommen noch mehr als 300.000 Menschen mit Prädiabetes. Zusammengefasst bedeutet dies, dass mehr als 1 Million Menschen in Österreich an einer Glukosestoffwechselstörung leiden.

Was bedeutet dieser Meilenstein für die Versorgung und Früherkennung von Diabetespatient:innen?

Das Ziel einer Diabetestherapie ist eine Reduktion von Morbidität und Mortalität und die Erhaltung der Lebensqualität. Je früher und effizienter eine maßgeschneiderte Diabetestherapie begonnen werden kann, umso geringer ist das Risiko von Spätfolgen. Gerade deswegen ist die Früherkennung von so großer Bedeutung. Bei Menschen mit Prädiabetes besteht zudem die Chance, durch Lebensstilmaßnahmen sowie konsequente Behandlung von Begleiterkrankungen nicht nur das Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes zu minimieren, sondern auch das kardiovaskuläre Risiko zu senken.

„Die im vergangenen Jahr beschlossene flächendeckende Refundierung der HbA1c-Bestimmung durch die ÖGK ist ein Meilenstein für die Diabetesversorgung in Österreich und dient dem Wohle aller Patient:innen!“

 

Wer soll Ihrer Meinung nach ein HbA1c-Screening erhalten?

Abgesehen von allen symptomatischen Patient:innen, die unverzüglich einer Abklärung zugeführt werden sollten, ist ein HbA1c-Screening bei all jenen Personen mit deutlich erhöhtem Diabetes- bzw. kardiovaskulären Risiko indiziert. Dazu zählen Menschen mit metabolischem Syndrom, arterieller Hypertonie, Dyslipidämie, vor allem bei hohen Triglycerid-Werten verbunden mit niedrigem HDL-Cholesterin, positiver Familienanamnese für Typ-2-Diabetes, bei Vorliegen einer Fettlebererkrankung oder Prädiabetes. Auch Frauen mit vorangegangenem Gestationsdiabetes oder polyzystischem Ovarialsyndrom zählen dazu. Selbstverständlich sollte auch ein Screening bei Menschen mit Übergewicht, Adipositas und Bewegungsmangel erfolgen.

Bis zur Erstdiagnose leben Menschen mit einem Typ-2-Diabetes durchschnittlich sieben Jahre lang, ohne etwas von ihrer Erkrankung zu merken. Wie wird sich der Zeitraum bis zur Erstdiagnose verändern?

Dies hängt einerseits davon ab, wie viele Menschen die Möglichkeit einer Vorsorgeuntersuchung nützen, und andererseits auch davon, wie schnell diese einfache und schnelle Diagnostik in den Praxis-alltag implementiert wird. Mittelfristig darf es nur noch eine Ausnahme sein, dass die Diabetesdiagnose im Rahmen von anderen Akuterkrankungen gestellt wird.

Nicht nur hinsichtlich Neuerkrankung, auch auf Spätkomplikationen sollte regelmäßig gescreent werden. Wie sind hier die Empfehlungen und wie gut werden diese umgesetzt?

Neben entsprechenden Laborkontrollen und klinischen Untersuchungen umfassen die Screeningempfehlungen unter anderem eine tägliche Fußinspektion durch die Patient:innen selbst, die regelmäßige Bestimmung von Albumin im Urin und zumindest jährliche augenärztliche Untersuchungen. In der Hektik des Praxisalltags besteht die Gefahr, dass einzelne Untersuchungen nicht oder verspätet durchgeführt werden, Unterstützung bietet hier das Disease-Management-Programm „Therapie Aktiv“, in dem an die wichtigsten Screeninguntersuchungen erinnert wird.

Neue britische Daten zeigen, dass bei Diabetespatient:innen nicht mehr kardiovaskuläre, sondern onkologische Erkrankungen die häufigste Todesursache darstellen. Wie interpretieren Sie diese Studienergebnisse?

Durch konsequente Behandlung von kardiovaskulären Risikofaktoren ist es in den letzten Jahren gelungen, das kardiovaskuläre Risiko für Menschen mit Diabetes drastisch zu senken. Trotzdem sind kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität weiterhin bei Menschen mit Diabetes deutlich höher als bei Menschen ohne Diabetes. Prävalenz und Mortalität von Malignomen bei Menschen mit Diabetes haben sich hingegen leider nicht verringert, weswegen nun Malignome die häufigste Todesursache darstellen.

Vielen Dank für das Gespräch!