Apotheker Krone: Eine soeben von Ihrem Team im Journal of Neurological Sciences veröffentlichte Studie zeigte eine Beteiligung des Nervensystems bei 80% der COVID-19-Erkrankten in der Akutphase. Welche Symptome zu welchen Zeiten sahen Sie häufig?
Prim. Univ.-Doz. Dr. Udo Zifko: Diese Studie wurde sowohl bei ambulanten Patienten als auch bei Patienten im Krankenhaus und auf der Intensivstation durchgeführt. Wesentlich ist, dass insgesamt 80 % der Patienten an neurologischen Symptomen leiden und dies in völlig gleicher Verteilung zwischen leichtem und moderatem Verlauf im ambulanten Setting gegenüber schwerwiegendem Verlauf im Krankenhaus und vor allem auf der Intensivstation. In der Frühphase der Erkrankung sind teilweise heftige Kopfschmerzen, aber auch Rückenschmerzen charakteristisch. Im Laufe der ersten Woche kommen zahlreiche weitere Symptome hinzu, wie Geruchs- und Geschmacksstörungen, Fatigue-Syndrom und Myalgien, aber auch schwerwiegende neurologische Symptome wie epileptische Anfälle, Schlaganfälle oder Halluzinationen sind möglich. Im weiteren Verlauf, oft erst in der zweiten oder dritten Krankheitswoche, kommt es dann zu neuropathischen Beschwerden sowohl in Form von Mononeuropathien als auch Polyneuropathien.
Ab welchem Zeitpunkt sind diese Long-COVID-Symptome zu befürchten?
Die Long-COVID-Symptome gehen meist fließend aus der Akutphase in die Subakutphase und auch in die chronische Phase über. Gelegentlich kommt es nach einem Intervall von einigen Wochen zu immunologisch mediierten Nervenschäden.
Gibt es Unterschiede zwischen den Altersgruppen oder Geschlechtern?
In der Akutphase waren Frauen häufiger als Männer von neurologischen Symptomen betroffen, dies allerdings ohne altersspezifische Verteilung. Beim Long-COVID-Syndrom scheint vor allem die Altersgruppe der 30- bis 60-Jährigen stark betroffen zu sein, wobei auch hier jedes Alter möglich ist.
Welche Erfahrungen machten Sie selbst mit diesen Patienten – wie ist deren Zustand, welche Möglichkeiten der Therapie gibt es?
Zunächst ist zu sagen, dass diese Patienten sehr verunsichert sind. Sie vermuten einen Zusammenhang mit der COVID-19-Erkrankung. Aber natürlich müssen andere Krankheitsbilder, die zeitlich zufällig in einem nahen Abstand auftraten, ausgeschlossen werden.
Die ersten Kontakte zeigten bereits ein sehr weites Feld der Neurologie, beginnend von einem Fall mit schwerer Narkolepsie unmittelbar nach der COVID-Infektion ohne jegliche diesbezügliche Voranamnese über hochgradige Gedächtnisstörungen mit einer kompletten Arbeitsunfähigkeit bei einer jungen Patientin, die einen moderaten Verlauf zu Hause durchmachte, bis hin zu schwerer Fatigue, reaktiven Depressionen, anhaltenden Myalgien, Neuropathien und im Alltag über Monate bestehende und oft auch beruflich stark störende Geruchs- und Geschmacksempfindungen.
Mit 1. Juni eröffnete im Evangelischen Krankenhaus eine Neuro-COVID-Ambulanz. Wie sieht die Betreuung der Patienten vor Ort aus? Welches Fazit ziehen Sie aus den ersten Tagen seit der Eröffnung?
Ziel unserer Neuro-Post-COVID-Ambulanz ist die fachgerechte Abklärung von neurologischen Symptomen nach einer COVID-19-Infektion mit einer möglichst exakten Diagnosestellung. Dies ist zum jetzigen Zeitpunkt oft eine große Herausforderung, da bei vielen Krankheitsbildern in Zusammenhang mit der COVID-19-Infektion genaue Diagnosekriterien fehlen.
Die Ambulanz ist eine zentrale Schaltstelle für die Patienten, die neben Diagnostik und allfälliger medikamentöser Therapie gezielt Kontaktadressen für umfassende Nachbehandlungen wie ambulante Rehabilitation, stationäre Rehabilitation und spezifische Therapieangebote – wie Physiotherapie, medizinische Trainingstherapie, kognitives Training Geruchstraining, Psychotherapie und mehr – bekommen. Zusätzlich dokumentieren wir die Daten in einem Register sehr detailliert, um daraus entsprechend lernen zu können.