Gesundheitsreform, Sozialversicherung, Krankenkassen, Apotheken

Kassenreform

Mag. Alexander Herzog: Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass nach den jahrelangen Diskussionen um eine Reform diese im Vorjahr auch umgesetzt wurde. Wie sehr diese Reform letztlich zum Nutzen der Patienten erfolgt, wird sich im Laufe des nächsten Jahres zeigen. Das sollte auch der Fokus bei allen weiteren Reformschritten im Gesundheitswesen sein: dass diese deshalb und in einer Form erfolgen, um letztendlich einen Mehrwert für die Versorgung der Bevölkerung zu schaffen.

MR Dr. Johannes Steinhart: Es müssen regionale Gegebenheiten ausreichend berücksichtigt werden. Ich erwarte mir einen Bürokratieabbau und erhoffe mir weniger Ideologie und mehr Pragmatismus. Dass von den Allgemeinmedizinern mit GKK-Vertrag in den nächsten 10 Jahren 55 Prozent in Pension gehen und von den Fachärzten 60 Prozent, muss von der Politik unbedingt ernst genommen werden. Es müssen also die Rahmenbedingungen für die niedergelassene ärztliche Tätigkeit wieder so attraktiv werden, dass sich möglichst viele Jungmediziner für die Niederlassung entscheiden.

Dr. Christoph Dachs: Das ist für heuer sicher das dominierende Thema. Es gibt eine große Unsicherheit im Gesundheitssystem, wie es gemacht wird. Die Notwendigkeit zur Reform ist unbestritten, die Geschwindigkeit und Unsicherheit, was danach kommt, irritiert derzeit aber. Ich gehe davon aus, dass die angekündigte Milliarde nicht kommt – das weiß heute jeder, dass es die Milliarde nicht gibt.

Digitalisierung

Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres: Schon heute staunen wir, wenn Menschen Herzfrequenz, Schlafgewohnheiten und jüngst sogar das EKG unbesorgt an Google, Apple und Co. senden, sich aber gleichzeitig um die Sicherheit der ELGA-Daten sorgen. Gesundheitsdaten haben den höchsten kommerziellen Wert auf den internationalen Marktplätzen. Hier braucht es klare Regelungen. Das zweite Jahrzehnt dieses Jahrhunderts wird von künstlicher Intelligenz geprägt sein. Selbstdenkende Roboter und implantierte Chips in Textilien, Smart-Housing und Smart-Living. Das alles kann aber niemals Ersatz für die persönliche Zuwendung sein, für die individuelle Diagnose und individuelle Therapie. Die Zukunft der Gesundheitsversorgung wird eine Symbiose zwischen maschineller, künstlicher Intelligenz und Empathie getriebener Humanmedizin sein. Nur so lassen sich solide Strukturen, zum Nutzen der Patienten und Pflegebedürftigen, aufbauen. Dafür braucht es Geld. Mehr Geld für die Honorierung von Ärzten, mehr Geld für flexible Arbeitsmodelle und Kooperationen. Mehr Geld für Forschung und Vernetzung.

MR Dr. Johannes Steinhart: Ich sehe das ambivalent, hier wird wohl im Positiven wie im Negativen vieles möglich. Die Entwicklungen in Richtung Digitalisierung und Online-Medizin müssen unbedingt von uns Ärzten mitgestaltet werden, weil da auch massive Geschäftsinteressen von Anbietern solcher Technologien im Spiel sind – und dabei nicht immer der Vorteil für Ärzte und Patienten maßgeblich ist. Wir müssen aufpassen, dass sich der ­e-Health-Prozess nicht verselbstständigt und auf Kosten der Behandlungsqualität und der Arzt-Patienten-Beziehung stattfindet. Entscheidend ist, dass bei Diagnosen und Therapien immer eine Ärztin oder ein Arzt die Letztentscheidung hat. Ärzte müssen diese Prozesse begleiten, Ergebnisse interpretieren und im Rahmen unserer Freiberuflichkeit und der ärztlichen Verantwortung vorgehen können. Also: e-Health soll uns Ärzte unterstützen, aber keinesfalls ersetzen.

Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr: Eine bessere Nutzung der digitalen Infrastruktur der Apotheken, insbesondere der e-Medikation, wird zu einer größeren Arzneimittelsicherheit führen. Wir sind mit der bisherigen Umsetzung zufrieden. Viele Vorschläge der Apothekerschaft sind darin eingeflossen. Die Vorteile für das Gesundheitssystem und jeden einzelnen Patienten sind evident: Die Medikation kann optimiert, die Arzneimitteltherapie sicherer und effizienter gestaltet, Arzneimittelwechselwirkungen können minimiert und vermeidbare Kosten für das Gesundheitssystem reduziert werden.

DI Volker Schörghofer: Der Roll-out der e-Medikation ist in vollem Gange. Bislang verläuft der Roll-out äußerst erfolgreich und ohne nennenswerte Probleme. Herausfordernd wird sicherlich der Roll-out in Wien im Sommer 2019. Aktuell sind bereits rund 2.780 Ärzte sowie rund 590 Apotheken in den Bundesländern Vorarlberg, Steiermark, Kärnten, Tirol und ­Salzburg angeschlossen und nutzen die ­e-­Medikation. Knapp 17 Millionen Verordnungen wurden bereits in e-Medikation erfasst. Bis Herbst 2019 wird die ­e-Medikation flächendeckend in ganz ­Österreich zur Verfügung stehen. eKOS wiederum ist die Ablöse der papiergebundenen Zuweisungen, Überweisungen und Verordnungen einschließlich allfälliger erforderlicher Bewilligungen durch einen elektronischen Prozess. Auf lange Sicht sollen diese Prozesse rein elektronisch durchführbar sein. Aktuell wird für eKOS mit drei CT/MR-Instituten ein Pilotbetrieb durchgeführt, der es den Instituten ermöglichen soll, ihre Prozesse beim Einlösen der Zuweisung anzupassen. Dieser Pilotbetrieb wird bis Ende Februar 2019 verlängert. Auf Beschluss der Bundeszielsteuerungskommission wurde die ELGA GmbH im Juni 2018 zudem mit der Umsetzung der Pilotierung des elektronischen Impfpasses betraut. Die Projektarbeiten haben unmittelbar danach begonnen. Im Jahr 2020 erfolgt die Pilotphase des e-Impf­passes in Niederösterreich, der Steiermark und Wien.

Arzneimittelfälschungen

Mag. Alexander Herzog: Ab 9. Februar wird es bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln, die über die legale Lieferkette vertrieben werden, maximalen Schutz für die ­Patienten geben. Sicherheit vor gefälschten Arzneimitteln war schon bisher einer der obersten Prämissen der Vertriebspartner. Jetzt wird diese mit Hilfe eines individuellen Erkennungsmerkmals noch weiter erhöht, um damit allfälligen Fälschungs­fällen einen Schritt voraus zu sein. Das kommt letztlich auch jenen zugute, die im direkten Kontakt mit den Patienten stehen – also den Apothekern sowie den Hausapotheken führenden Ärzten. Denn sie ­erhöhen dadurch ihre Serviceleistung für die Patienten.

Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr: Die zwingende Umsetzung der EU-Fälschungssicherheitsrichtlinie fußt auf den bereits seit 2012 laufenden Arbeiten, an denen die Österreichische Apothekerkammer, die pharmazeutische Industrie, der Großhandel sowie hausapothekenführende Ärzte beteiligt waren. Eines der erklärten Ziele war es, die Richtlinie so schonend wie möglich in den laufenden Betrieb der Apotheken zu integrieren. Wie weit sie ­einen tatsächlichen Mehrwert darstellt ­beziehungsweise den Aufwand für alle ­Systempartner rechtfertigt, wird die Zukunft zeigen.

Cannabis als Medikament

Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr: Von Seiten der Österreichischen Apothekerkammer kommt ein klares Ja zu Cannabis für medizinische Zwecke. Es gibt in Österreich rund 1,8 Millionen Schmerzpatienten. Der Einsatz derartiger Produkte in der Schmertherapie bedeutet für viele dieser Menschen einen enormen Gewinn an Lebensqualität. Wenn Präparate mit cannabinoidhaltigen Extrakten zur Verwendung als Lebensmittel bestimmt sind, unterliegen diese unabhängig von der Aufmachung oder der Bezeichnung der Novel-Food-Verordnung und dürfen somit nicht weiter in Verkehr gebracht werden. Von einer derartigen Verwendung von Cannabinoiden (zum Beispiel CBD) ist das natürliche Vorkommen von derartigen Stoffen in herkömmlichen hanfhaltigen Lebensmitteln wie Hanfblättern ­zur Zubereitung von Kräutertees, Hanfsamen, Hanf(samen)öl, Hanf(samen)mehl, Hanf(samen)protein und Getränken (Bier, Limonade) zu unterscheiden. Diese Produkte unterliegen nicht der Novel-Food-Verordnung und sind vom gegenständlichen Erlass nicht betroffen.

MR Dr. Johannes Steinhart: Es ist ein erster, aber noch kein ausreichender Schritt in Richtung Qualitätssicherung, dass cannabidiolhaltige Extrakte jetzt als neuartiges Lebensmittel, als Novel Food gelten und ohne Zulassung und Aufnahme in die entsprechende EU-Liste nicht in den Handel gebracht werden können. Das Ziel sollte aber eine arzneimittelrechtliche Einstufung im Sinne des Patientenschutzes und eine Aufnahme von CBD ins Arzneibuch sein. Solche Substanzen müssen von Ärzten qualifiziert eingesetzt werden – und nicht im Supermarkt gekauft und unkontrolliert verwendet.

Mag. Alexander Herzog: Bei Cannabis und der Substanz CBD ist wesentlich, zwischen den berauschenden Zubereitungen und dem medikamentösen Einsatz der aus der Pflanze gewonnenen Reinsubstanzen zu unterscheiden. Letztere erlauben eine genaue Dosierung und eine rationale, cannabisbasierte Arzneimitteltherapie. Eine solche ist durch eine Ausnahmeregelung auch in der österreichischen Suchtmittelgesetzgebung erlaubt.

Ärztegesetz Neu

Dr. Christoph Dachs: Die Allgemeinmediziner erwarten sich für 2019 eine Aufwertung und damit auch mehr Wertschätzung. Das Ärztegesetz mit der Möglichkeit zur Anstellung von Ärzten schafft uns eine gewisse Flexibilität in Zusammenarbeitsformen und kommt uns als Allgemeinmedizinern damit deutlich entgegen.

MR Dr. Johannes Steinhart: Mit der Möglichkeit, dass Ärzte endlich Ärzte anstellen können, wird eine langjährige Forderung der Ärztekammer erfüllt. Dass ordinationsführende Ärzte Kolleginnen und Kollegen anstellen können, hilft beiden Seiten, bedeutet mehr Optionen in der niedergelassenen ärztlichen Tätigkeit und ist der ideale Einstieg für Jungärzte, die nicht gleich den Sprung ins Unternehmertum wagen möchten.

Mag. Beate Hartinger-Klein: Die Änderungen im Bereich der Palliativmedizin waren eine lange Diskussion. Das Ziel ist hier, eine rechtliche Absicherung für den Arzt zu haben. Die Änderung bei der Ausbildung der Notärzte ist ein wichtiges Thema in der Versorgung. Die Anstellung von Ärzten wiederum ist vor allem für Frauen sehr wichtig. Es gibt viele Frauen, die eine Absicherung haben wollen oder Teilzeit arbeiten möchten. Hier hat man eine gute Lösung gefunden. Persönlich hat es mich gefreut, dass der Beschluss im Parlament einstimmig war.